MIKE, Wiki & The Alchemist - " Faith Is A Rock"

Kinder springen, Vögel zwitschern, letzte Sonnenstrahlen brechen sich durch die braun gefärbten Blätter des Central Park und werfen ihren Schatten zwischen die Häuserschluchten des Big Apple. Auf einer Treppe in einer Nebenstraße sitzend diskutieren zwei Rapper über das Leben, die Kunst und New York City. Einer davon ist Wiki. Der Gründer der Crew Ratking sinniert auf dem Opener "Stargate" über die Auswirkungen seines Alkoholkonsums. "Sippin' forties at the 40th Pier / Getting the groggy, my body impaired, I swear / Everything was foggy for years / Pour the backwash out the glass, saw it all clear". Der andere ist Mike Jordan Bonema aka MIKE. Der in London aufgewachsene New Yorker geht gleich tief und macht sich Gedanken über sich und sein Umfeld im Angesicht des Erfolgs: "I felt the odd from this mission, I couldn't call faith / My biggest flaw in my spirit, I should absolve hate".

Die Chemie der beiden Underground-Emceess funktioniert von Beginn an. Mikes dunkler Slow Flow und Wikis hellere, gepresste Stimme ergänzen sich wunderbar. Beide agieren inhaltlich auf einem sehr reflektierten Level, teilweise mit Battle Rap-Arroganz aber ohne egoistisch-hochgepushte Gangster-Attitüde. The Alchemist diggt für den introvertierten Austausch die richtigen Sounds. Streicher-Loops erwärmen die Seele und einzelne Synthie-Piepsereien symbolisieren die freien Vögel im Park. Drums würden diese Atmosphäre dort auf der Treppe eh nur stören.

Das folgende "Thug Anthem" läutet den Abend ein, die Sonne verschwindet hinter den seelenlosen Bürogebäuden, ein funky-schwüler 80er Loop bildet das Gerüst, während Wiki und MIKE an Geschäften und Bars im Viertel vorbei schlendern und sich gegenseitig pushen: "It's me and Wiki, we the ones standing / It's strictly busy when the bus landing / We gon' come candid, it's me and MIKE / Give you a peek of life, something subtle 'bout the semantics".

Mit "Mayers A Cop" bricht die Nacht herein. The Alchemist findet auf einer verstaubten Festplatte seine Bass- und Snare-Drums wieder. Mike und Wiki droppen messerscharfe, sozialkritische Analysen, warum die Mehrheit der afroamerikanischen Gesellschaft auch nach Jahrzehnten in ärmeren Gegenden lebt. Wiki geht zuerst: "The mayor's a cop, the blues quadrupled up / The block is hot, shit, this how they chose to use the guap / With this amount of human loss / Could've been for schools or parks." Und Mike liefert einen der großartigsten Parts 2023 ab, als er diese Kritik auf sein Leben herunterbricht: "Remember first lil' batch of that buzz, I called mom / It's your son, giving back for that love in a dark time / Too above it, too attached to that ruckus and hard grind / Gettin' numb, too much gas in my muzzle to guard pride."

Als die Wut verraucht ist, sitzen Wiki und Mike bei "Bledsoe" alleine im Schlafzimmer und suchen Hoffnung in ihren Träumen und der Liebe. "Regrеt laughing 'til I sulked to subdue stress / I dreamt having me a home, I soon rest" (Mike). Der nächste Tag bricht an und die Energiespeicher sind wieder aufgeladen. Auf "Pray For Him" duellieren sich die zwei Rapper und sprechen sich gegenseitig Mut zu, ihren (Rap-) Weg weiterzugehen. Auf dem fabelhaften Album führt sie dieser Weg noch vorbei an melancholischen Bläsern ("Memory Loss") und klassischen Eastcoast-Kopfnickern ("Be Realistic").

Das schon lange bekannte "One More" beendet das wunderschöne Herbstalbum mit viel Soul und Positivität. "I put my soul inside these lines", so Mike. Die Message: Gib nicht auf, denn "there's always one more thing to do before you let it all go". Holten 90er Klassiker von Mobb Deep und Co. einst den Winter in die Wohnungen der Welt, kleidet "Faith Is A Rock" den beginnenden Herbst in Rap und Beats. Wer jetzt kein "Vertrauen" hat, holt sich keines mehr, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.