laut.de-Kritik
Spätestens jetzt droht von Ratzinger Enterbung.
Review von Ulf KubankePünktlich wie ein Uhrwerk kommt alljährlich zu Ostern eine neue Wumpscutscheibe. "Bulwark Bazooka" heißt der neue Longplayer. Nach dem letztjährigen Clubhit "Zombiebikini" gibt es hier zur Karwoche die "Furunkel Lolita" zu bestaunen. Mit verstörenden Collagen und eingängigen Kloppern glänzt das Werk mit fiesem Grinsen der Elektrofratze.
Schon das eigenwillige Artwork macht Laune. Statt den Gaul ewiger Schockfotos von Verwesung, Schmerz und Qual tot zu reiten, streut Rudy Ratzinger schon seit einiger Zeit gern mal etwas cartooneskere Bildchen ein. Mit dem auf Cover und im Booklet gezeichneten drei Charakteren zwischen Sexploitation, Tabubruch und fast schon knuffigem Ausdruck schießt er den Vogel komplett ab. Der Storyline-Zusammenhang scheint größer als auf den ersten Blick sichtbar. Entsprechend der typischen Ratzinger-Zweideutigkeit bleibt es offen, ob das schräge Duo einander Opfer ist oder doch verschworene Gemeinschaft der Freaks gegen die Normalos.
Mit den ersten beiden Liedern gibt es zwei routinierte Feger für den Dancefloor, durchaus charmant in Szene gesetzt. Doch im Vergleich zu den folgenden Tracks nur ein laues Lüftchen. Ratzingers Rudy packt die große Atmosphärekeule aus und schlägt unweigerlich in seinen Bann.
Seit "Thorns" ("Bunkertor 7", 1995) ist die ebenso eigenartige wie eigenständige Stimmung seiner Songs immer dann besonders intensiv, wenn er in unaufgeregter Gemächlichkeit organische Instrumente ins Mosaik seines Horrorladens integriert. "Cross Of Iron" ist einer dieser effektiven Momente. Die eingebettete, todtraurige Zigeunergeige macht de Wumpscut-Kohl so richtig fett. "Atrocity Dancer" zielt in eine ähnliche Richtung und reichert den Streichern noch eine Prise einsam vor sich hin pluckernden Futurepop-Rudyments an.
Und es wird noch schlimmer! Großes Psychopathen-Hörspiel serviert er in "Vienna" mit untotem, dabei hochintensivem Gruselpiano. Während der Hörer noch hypnotisiert diesen Klängen lauscht, macht Rudy den Sack mit wortreichen Schnipseln samt Hitler-Anspielung so richtig zu. Kein ausgelutschtes Adolf H.-Sample, sondern ein fiktiver Bühnenmonolog von Hitler Senior. "Der Adolf ... ich sag euch, der hat nix von mir, der Bub!" Gänsehaut pur!
Nicht weniger intensiv lockt der wundervoll schreckliche "Flesh Trench". Ein unbarmherzig voran marschierendes Pianothema gibt den Rhythmus vor und degradiert den Beat zur Nebenrolle. Dazu ein warmer Synthie im Hintergrund und zur Krönung ein geschickt eingestreutes Christian Brückner-Synchro-Zitat. Als säße De Niro in Wumpscuts Fleischgraben.
Als Höhepunkt danach "RTL Hariti". Schicker Zeitlupen-Killer, ein wenig als hätte man Elektro-Pioniere wie Klaus Schulze oder Tangerine Dream auf die dunkle Seite gezogem, durch den Fleischwolf gedreht und zum Wumpscut-Ork gemacht. Ebenso anmutig wie kaputt.
Zwischendurch gibt es geschickt eingestreute Lockerungübungen der tanzbaren Sorte. "Supergurl" als unwiderstehlicher Ohrwurm im typischen oldschool :W:-Sound. Dazu mit "Heresy" mal wieder ein Lied gewordener Ausdruck maximaler Verachtung für die christliche Kirche. So streicht Rudy sich in knapp vier Minuten künstlerisch souverän endgültig aus dem Testament von Onkel Josef Ratzinger. Tolle Platte für alte und neue Wumpscutjünger!
4 Kommentare mit einer Antwort
Meh... Das letzte Album, dass ich am Stück hören konnte war "Bone Peeler".
Klar, ist ein kauzig-sympathischer Zeitgenosse und geht auch nicht auf Erwartungshaltungen der "Fans" ein, aber... kommt hier durch die Bank immer übertrieben gut weg.
4 Sterne für :w:? Nur mit Szenebonus...
Wenn ich an die 1/5 für Skinny Puppy im letzten Jahr denke...
Japp, kommt leider seit Jahren nicht mehr an seine alten Werke ran.. Ich würde fast behaupten, wenn er sich mal 2 Jahre Zeit lassen würde, könnte wieder was gutes bei rumkommen.
Ich warte schon seit einigen Jahren, bis der Kram nach einiger Zeit verramscht wird und stell mir dann die "special limited Edition" zum Sonderpreis in die Sammlung Das letzte Album, das insgesamt überzeugt hat war "Cannibal Anthem" - danach nur noch gelegentliche Einzetracks. Insofern bin ich auch skeptisch, werde aber in einem Jahr oder so mal reinhören. Auch, weil dieses Billig-Provozieren mittlerweile nervt. 1995 war "Untermensch" im Kontext gewagt und regte fein mehrdeutig zum Denken an. Aber Sachen wie "Schädling" und jetzt Hitler senior sind so konstruiert wie DSDS, damit Fassade und damit Mist...
Dass auf dem bunten cover ein hakenkreuz zu sehen ist, ist euch nicht aufgefallen?!
Ist mir ehrlich gesagt nicht aufgefallen bis Du es gesagt hast. Ratze, der Depp... genau das meine ich mit Billig-Provokation. So, wie das versteckt ist... Wer genau hinschaut, findet dann auch in den Fugen von Scheißhaus-Fliesen Hakenkreuze. Und sie sind ein auch Bestandteil vieler griechischer Mäander-Muster an klassizistischen Bauten der Goethe-Zeit, wo sie geometrisch quasi nebenbei gebildet werden...