laut.de-Kritik
Gralshüter trifft freundliches Fossil.
Review von Ulf Kubanke"Da haben sich ja die Richtigen gefunden", mag sich so mancher Jazzfan denken. Der erzkonservative selbsternannte Jazz-Gralshüter Wynton Marsalis on stage mit dem ähnlich rückwärts gewandten freundlichen Fossil.
Während der sympathische Brite dabei lediglich die eigenen Vorlieben bedient, gibt Marsalis stets den fanatischen Kreuzritter des Urjazz, der jede Form von Crossover, Fusion oder Free Jazz rigoros als Teufelswerk brandmarkt und gemeinsam mit dem Publizisten Steve Crouch regelrecht bekämpft. Seine Macht als Honorarprofessor in Princeton und Yale nutzt der 50-jährige Musik-Fundamentalist in den Staaten dazu gern. Problem: Genauso steif und determiniert klingt dieser Auftritt im Big Apple leider auch.
Schade. Dabei böte die Ausgangsposition so viel Potenzial. Marsalis (nicht zu verwechseln mit dem weltoffenen Bruder Branford, der schon mit Davis und Sting auftrat) kümmert sich als Profi um die Arrangements, Slowhand wählt die Tracks aus.
Bis hierhin ist noch alles im Lot. Schnuckelige Swing-Niedlichkeiten wie Chris Barbers/Louis Armstrongs "Ice Cream", S
schleppender Delta-Stoff wie der alte Rebelsong "Joe Turner's Blues" vom "Father of the Blues" WC Handy oder den sumpfig marschierenden Louisiana-Trauermarsch "Just A Closer Walk With Thee". Das alles hat der gute Eric mit typischem Kennerblick für ihn und uns erwählt. Doch eine schicke Kollektion macht längst noch keinen guten Gig.
"Eigentlich bin ich nicht gut genug für Jazz", bekannte Clapton hellsichtig vor nicht allzu langer Zeit. Nun, zumindest zeigt er es nicht. Wie ein Bremsklotz stoppt der Engländer aufkeimende Leidenschaft bereits im Ansatz, fast schüchtern und ehrfürchtig gegenüber dieser Bande herausragender Solisten wie dem sensibel anschlagenden Pianoman David Himmer. Es ist ein wenig wie auf der letzten Schlaftablette, bei der Marsalis auch schon seine Hände im Spiel hatte: Man muss die große Charaktergitarre mit der Lupe suchen.
Für Banalitäten wie die effekthaschende Begleitung zum "Kidman Blues" hätte Jimi Hendrix seinen Kumpel sicherlich ins Gebet genommen. Impulse oder Akzente setzt Clapton meist nur, wenn komplett Verrückte wie Ginger Baker ihn regelrecht antreiben oder zuletzt mit Seelenbruder Steve im Madison Square.
Mit den eigenen Vocals riss der Mann aus der Grafschaft Surrey ohnehin noch nie etwas heraus. Im Gegenteil: Nur seine instrumentalen Fähigkeiten haben den blutleeren und papierdünnen Gesang seit fast fünf Dekaden vor all zu harscher Kritik bewahrt. Die Unfähigkeit, den im Original gefühlsbetonten Songs ein ebensolches Dach zu bauen, verschwindet mit zunehmendem Alter nicht gerade. Clapton raubt den Tracks im Ergebnis Ausstrahlung, statt sie zu transportieren.
Marsalis ist erwartungsgemäß keine Hilfe. Seine Chance: ein echtes French Quarter-Knackbrett im Geiste der Ahnen. Die Realität: Backförmchen-Blues ohne jede Voodoomagie eines Dr John oder den abgerockten Stolz des großen Verschmelzers Willy Deville. Alles Erotische, Abseitige, die gesamte zerlumpte Pracht, die die Region und das Genre ausmacht, sind eliminiert. Blütenweiße Bluesfabrik vom Reißbrett in roboterhaften Arrangements.
Kein Wunder, wenn man erst Old Slowhand holt, um dann doch alles wie anno 1930 zu spielen. Die stramme Traditionspolizei dürfte Tränen der Rührung in den Augen haben. Sogar der New Yorker Amateur Woody Allen zeigt mit seine Band live zehnmal mehr Verständnis für das Genre als Professor Wynton mit seinem Sonntagsgedudel.
Ein paar Lichtblicke: "Layla" als Funeral-March macht wirklich Spaß und fügt der Legende eine Nuance hinzu. Geht doch. Hie und da blitzt außerdem das zweifellos ausreichend vorhandene Charisma der tollen Band auf. Egal ob Chris Crenshaws schrille Posaune, Himmers perlende Akkorde oder die fast sprechende Klarinette von Victor Goines: Sie dürfen allesamt nicht so, wie ihre Möglichkeiten es gestatten würden. Schema F geht über künstlerischen Ausdruck? Furchtbare Quintessenz.
Das könnte alles ganz anders sein und liegt mitnichten daran, dass die Musikrichtung per se antiquiert wäre. Ebenfalls ohne den Segen einer goldenen Stimme - dafür mit brenennder Leidenschaft und echter New Orleans-Truppe - fackelt der kreidebleiche, blue-eyed Hugh Laurie ein wahres Feuerwerk ab. Jene Platte möchte ich allen Interessierten stattdessen ans Herz legen. Ansonsten schließe ich mich nur den Worten von Miles Davis an, der Marsalis' Konzerte folgendermaßen beschrieb: "Wynton thinks playing music is about blowing people up on stage. Get the fuck off."
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