laut.de-Kritik
Eine einzige Frechheit: Fremdscham vom Fließband.
Review von David HilzendegenUm es kurz zu machen: "Bei Meiner Seele" ist schlichtweg peinlich. So peinlich, dass die Platte stark an der Grenze zur Unverschämtheit kratzt. Nach den 50 Minuten Spielzeit bleiben nur zwei Erkenntnisse. Erstens: Xavier Naidoo hat endgültig keinerlei Ambitionen mehr, irgendetwas künstlerisch Wertvolles zu schaffen. Zweitens: Er hält seine Hörer für Idioten.
Dabei muss man nicht einmal eine hohe oder überhaupt irgendeine Meinung zu dem Mannheimer haben, um sich von seinem Fünftling beleidigt zu fühlen. "Bei Meiner Seele" ist derart lieblos, dabei aber so prätentiös und schleimig, dass es selbst Naidoo die Schamesröte ins Gesicht treiben sollte. Insbesondere, weil nur er alleine Schuld an diesem Tiefpunkt deutscher Popmusik trägt.
Denn musikalisch ist zumindest der Anfang der Scheibe durchaus hinnehmbar. Erst mit dem Radioballädchen "Der Letzte Blick" verliert die Platte endgültig an Saft und driftet in die Langeweile ab. Vorher bestimmt solider Soulpop die Richtung, nichts Weltbewegendes zwar, aber zumindest erträglich. Hier ein Reggae-Einschlag ("Autonarr"), dort ein verhältnismäßig ordentlicher Groove ("Bei meiner Seele (DJ Release Remix)"), dazu ein bisschen Rock ("Höchste Zeit"). Man muss so glatt nicht produzieren wie Popakademie-Student Jules Kalmbacher es getan hat, aber er tut damit wenigstens niemandem weh.
Im Gegensatz zu Xavier Naidoo mit seinen Texten. Zur Erinnerung: Wir reden hier von einem der erfolgreichsten und bekanntesten Musiker des Landes, der sich in populären Castingsendungen gerne als 'Doktor Ton' geriert. Angesichts des Songwritings auf "Bei Meiner Seele" geht Hartmut Engler als Professor durch. Naidoos Texte sind derart dümmlich und platt, dass sie wohl selbst für Pur zu billig wären.
In seinen besseren Momenten erzählt Naidoo zusammenhangloses Zeug wie in "Das Aufgebot", hinter dessen Sinn er wohl nicht einmal selbst gestiegen ist. Den Rest der Zeit produziert er Fremdscham am Fließband.
Dass Naidoo im Refrain des Titelsongs allen Ernstes "Liebe voll" auf "liebevoll" reimt, ist dabei schon fast nicht mehr der Rede wert. Zu diesem Augenblick ist man noch froh, dass er zur Abwechslung mal fröhlich weint und noch nicht über Gott gesungen hat. Tatsächlich spielt Religion auf "Bei Meiner Seele" keine Rolle. Es ist noch viel schlimmer.
Naidoo gründet in "Autonarr" so etwas wie eine eigene Sekte: "Im Auto fühle ich mich verbunden mit anderen Menschen / Ich nenne uns gerne die In-Car-Nation." Seine gefahrenen Kilometer teilt er in ein goldenes Punktesystem ein, erzählt er weiter. "Es gab Jahre da konnte man meine Punkte vom Weltall aus funkeln sehen." So weit, so unterirdisch. Naidoo scheint die meiste Zeit high durch die Gegend zu fahren.
Wenn er gerade nicht in seiner Karre sitzt, hält er sich offenbar für einen mörderisch erhabenen Frauenversteher. Zumindest entschuldigt er sich in "Höchste Zeit" einfach mal pauschal: "Und (sic!) ich weiß, dass es gar nicht geht / Würd ich mich gerne entschuldigen / Für alle Männer, die gewalttätig sind, lieblos, wortlos, brutal, sinnlos, brotlos, sprachlich fäkal." Dass er in der Strophe vorher noch über einen "Vaffanculo" schimpft und dessen Genitalien an einer Wäscheleine aufhängt – geschenkt. Denn er hat ja Recht: "Ihr seid Göttinnen, ihr bringt das Leben zur Welt / Wir sind nur eure Untermieter, vergebt uns." Wie poetisch.
Frauen, die darauf anspringen, möchte ich nicht mal kennen. In deren Welt gilt hanebüchener Schwachsinn wie "Ich bin dein stiller Teilhaber, ich bin dein Stiller." ("Stiller (Teilhaber)") wahrscheinlich wirklich als romantische Liebeserklärung.
Das alles würde ja noch als Trash durchgehen, wäre Naidoo nicht komplett humor- und ironiebefreit. Man ahnt es schon beim dritten Titel: Naidoo covert "Junge" von Die Ärzte und beraubt das Stück all seiner Schlitzohrigkeit. Selbst Heino hat den unterschwelligen Spott in seine Version gerettet, Naidoo hingegen singt in echter resignativer Enttäuschung. Er kann einfach nicht anders als lahm, bieder und ernst.
So ist es wenig verwunderlich, dass ausgerechnet das Stück am erträglichsten ist, auf dem Naidoo nur eine Nebenrolle spielt. Moses Pelham reißt die düstere Reunion "Deine Last" glücklicherweise fast komplett an sich. So entsteht kurz vor Schluss wenigstens noch einmal Atmosphäre – so man es denn bis dahin schafft.
Der Großteil der zurechnungsfähigen Hörer dürfte schon bei "Hört, Hört" um Fassung ringen: Naidoo hält sich wirklich für einen kantigen und provokanten Künstler. "Meine Stimme hat manche betört / Meine Worte haben viele verstört", singt er da. Und als würde er doch selbst ein wenig zweifeln, unterstreicht er nur eine Zeile später: "Meine Lieder haben viele gehört / Wahrscheinlich hab ich aber viele verstört."
Ein einziges Mal, lieber Xavier, hast du irgendjemanden verstört. Vor Kurzem erst, als du mit Kool Savas den potenziell homophoben Hidden Track von "Gespaltene Persönlichkeit" veröffentlicht hast. Wer so abgehoben ist, auf so etwas stolz zu sein, hält wahrscheinlich auch "Bei Meiner Seele" für einen großen Wurf.
57 Kommentare mit 7 Antworten
ich frage mich, ob es sich bei dieser platte nicht vielleicht um ein perfide angelegtes satireprojekt handelt. dann wäre es ein wirklich großer wurf.
laut.de hat ja voll was gegen deutsche musik und so! echt jetzt!
Oder Laut.de hat einfach was gegen Scheiße
Grosses Kompliment für solche Ahnungslosigkeit und für die Tatsache, dass der Kritiker auch überhaupt keine Scham zeigt, diese öffentlich zu machen. Genau solche Kritiker habe ich gefressen. Hipster-Typen, die beim schreiben eh nur alles dem Anti-Mainstream-Geschmack abgucken, Arcade Fire mit ner Mischung aus Klingelton-und Dreiakkordmusik oder die pseudointellektuellen Tocotronic als total den heissen Scheiss verkaufen und eh nur Platten, die nicht in dieses Muster fallen, anhören, um ihre eh schon festgefahrenen Vorurteile zu bestätigen. Auch inhaltlich grobe Fehler(die Aufzählung wäre müßig, denn es sind derer einfach zu viele), die auf das unprofessionelle Berufsethos des Schreibelings schließen lassen, alles nachzukauen, was andere längst schon mehrfach geschrieben haben. Wie Koto99 richtig schreibt,- wie kann man etwas kritisieren, von dem man schon im vorhinein weiß, dem jeweilen Künstler gebe ich keine Chance. Dann doch lieber so, wie Koto99 es beurteilt(da bin ich zwar anderer Meinung) aber diese Kritik ist wesentlich schlüssiger als der ganze Schmu, den Hilzendegen verzapft hat. Grausam. Tipp an die Redaktion, um nicht in den ewig gleichen Fahrwassern unterwegs zu sein, fragt Koto99, der ganz offensichtlich mehr Ahnung vom Kritisieren von Alben besitzt und schmeißt den Langerweiler raus.
dude
Was ist da eigentlich schiefgegangen im Verhältnis zwischen lauch.de und Naidoo? Früher habt ihr ihm doch noch genüßlich mit Vier-Sterne-Reviews den Cock geblowt:
http://www.laut.de/Xavier-Naidoo/Alben/Zwi…
http://www.laut.de/Xavier-Naidoo/Alben/Tel…
http://www.laut.de/Xavier-Naidoo/Alben/Wet…
Und jetzt soll das plötzlich alles Scheiße sein, was ihr bis kurz vor neulich noch gefeiert habt?
Man kann von seinen Texten halten was man will und auch die Musik ist Geschmackssache. So war es schon immer und so soll es auch bleiben.
Doch nur weil einem das Genre, die Musik oder die Texte nicht gefallen, weil sie nicht den eigenen Vorstellungen und Gewohnheiten entsprechen, dadurch einen genialen Sänger zu diskreditieren, finde ich sehr überheblich und anmassend und veranlasste mich dazu diesen Kommentar zu verfassen.
Von diesem Menschen, der diesen mit Vorurteilen und Selbsthass gespickten Text verfasst hat, möchte ich gar nicht reden. Nur ganz selten so einen arroganten, unprofessionellen Text gelesen. Eine Abscheulichkeit sich als erhabener und klüger darzustellen als andere, die nicht seine Meinung teilen. Ich hoffe, dass der Verfasser mittlerweile gereift ist und nicht mehr ein so verzweifeltes Bild abgibt. Wäre ihm und jedem Menschen zu gönnen, auch wenn man sie nicht mag.
Ich bin keineswegs mit allem immer einverstanden, was er (Xavier) erzählt. Ich respektiere seine Haltung und finde es großartig, dass er diese stolz vertreten kann, ohne in diesem starken Gegenwind einzuknicken.
Für mich ist "Bei meiner Seele" nicht sein bestes Werk aber dennoch reiht es sich wunderbar in seine Diskografie ein und ist in meinen Augen inhaltlich und gesanglich extrem stark.
Die Deutschen sollten viel stolzer sein auf diesen Künstler, denn eines ist unbestritten: Er ist und bleibt ein begnadeter Jahrhundertsänger, mit einer sehr speziellen, unverkennbaren Stimme. Keine 0815-Radiostimme, die man in Deutschland nur zu gut kennt. Ein wahrhaftiger Künstler eben, der es nicht scheut bei jemandem oder sogar einem ganzen System anzuecken und vielleicht dadurch auch Zuspruch zu verlieren.
Aber: Alles kann besser werden!
Falls das jemanden interessiert: Ich bin männlich, 22 Jahre jung und heterosexuell. Dachte das sei für die Leute interessant, die denken, dass Naidoo-Hörer nur Hausfrauen Ü40 sind oder Männer mit starken femininen Zügen. Dem ist nicht so und kann ich auch aus der Erfahrung durch diverser Live-Konzerte nicht bestätigen. Das Publikum ist extrem gemischt. Junge und alte Paare, Singles in Gruppen, Familien, Einzelpersonen, Primarschulkinder, Dünne, Dicke und alle waren sie begeistert im Anschluss.
Ich gehe heute noch zum dritten Mal in diesem Jahr mit meinen Eltern an sein Konzert und freue mich riesig.
..dann wünsche ich dir "viel Spaß" bei Xavier...;
ach übrigens, Madame Blavatsky hätte Ihm bestimmt und sehr gerne ALLES geglaubt........
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@yela1995:
"Eine Abscheulichkeit sich als erhabener und klüger darzustellen als andere, die nicht seine Meinung teilen. Ich hoffe, dass der Verfasser mittlerweile gereift ist und nicht mehr ein so verzweifeltes Bild abgibt."
Selbstdemontage in zwei Sätzen. Respekt!
"Die Deutschen sollten viel stolzer sein auf diesen Künstler, denn eines ist unbestritten: Er ist und bleibt ein begnadeter Jahrhundertsänger, mit einer sehr speziellen, unverkennbaren Stimme."
Xavier Naidoo würde von mir deutlich mehr Fürsprache erhalten, wenn der begnadete Jahrhundertsänger tatsächlich nur einmal im Jahrhundert sänge, dann gerne auch begnadet. Ich meine - sorry, aber eine Joanna Newsom hat ebenfalls eine "spezielle, unverkennbare Stimme", aber "schön" oder "angenehm" geht trotzdem anders.
"Ein wahrhaftiger Künstler eben, der es nicht scheut bei jemandem oder sogar einem ganzen System anzuecken und vielleicht dadurch auch Zuspruch zu verlieren."
Wenn ein Künstler seine Meinung kundtut, so soll er dies ruhig dürfen. Sofern er sie mit Argumenten untermauern kann, die Stichproben standhalten, sei sie die seine. Wenn allerdings die Argumente auf alternativen Fakten beruhen, die mit der Realität nicht viel zu tun haben, täte er besser daran, seine Meinung zu überdenken. So sehr kann man gar nicht Künstler sein, daß man im Alleingang die Geschichte oder die Naturgesetze korrigieren darf.
"Ich gehe heute noch zum dritten Mal in diesem Jahr mit meinen Eltern an sein Konzert und freue mich riesig."
Nun ja, jedem Masochisten seine Lieblingspeitsche. Ich wünsche viel Spaß dabei.
Gruß
Skywise
Danach gibt es dann Pint von Daddy.
"einen genialen Sänger"... "einen g e n i a l e n Sänger".......