laut.de-Kritik

Röntgenbild einer neuen Verletzlichkeit.

Review von

Deutschland rief 2003 das "Jahr der Chemie" aus. Zumindest in musikalischer Hinsicht war es eher das Jahr der Synästhesie. Ein Blick auf das pralle Chaosartwork des Yeah Yeah Yeahs-Debüts, sofort kroch Artpunk aus Garagen in Gehörgänge. Die Platte kurz angespielt, tanzten die schillerndsten Farben vor dem geistigen Auge Pogo. Ein Gedanke an ein Konzert der New Yorker, schon lag der Geschmack von Schweiß und Adrenalin auf der Zunge.

Binnen Tagen erlagen Heerscharen dem pandemischen "Fever To Tell". Der Titel unterstreicht den Umstand, dass Karen O und ihre beiden Mitstreiter von Anfang an genau wussten, was sie taten. Der antizipierte Thronfolger steht dem in nichts nach, "Show Your Bones" ist der akkurate Botenstoff für eine andere, verletzlichere Seite der Band. Alle elf Stücke zehren wieder von unbändiger Dringlichkeit, fließen jedoch durch ein Mehr an Melodien.

Seine Gitarre stöpselt Nick Zinner neuerdings häufig aus, um O akustisch über heiße Kohlen zu begleiten. Ihre ausdrucksstarke Stimme erzählt von betrogenen Herzen und Sehnsucht, Unsicherheit und Selbstzweifel. Dabei verliert sie sich nie in Lagerfeuerromantik, sondern zaubert einen überwältigenden Refrain nach dem anderen aus dem Hut. So bewahrt "Way Out" zwischen Omnichord und heißkalten Riffs rauen Charme, und das Folkkleinod "The Sweets" zeigt stolz seine blutigen Kratzer.

"Fancy" türmt schmutzige Gitarre und sauberen Gesang zu finsterer Klanggewalt auf, während die seelenwunde Außenseiterballade "Warrior" emotionale Täler erschließt, von deren Tiefe der Dreier wohl selbst nichts geahnt hatte. Das Tempo zieht nur gelegentlich an, ein Punkpedal benötigen die meisten Songs gar nicht. Wer dennoch vorrangig mit der ersten Hälfte des Vorgängers Freundschaft schloss, darf zur vollkommen durchgeknallten Liquid Liquid-Adaption "Phenomena" auf einem Bein kreischend durch die Wohnung hüpfen.

"Show Your Bones" sei das Ergebnis, wenn man den Finger in eine Steckdose stecke, meint O. "Vielleicht fließt etwas von diesem Strom durch die Tracks und erleuchtet uns von innen." Es macht in der Tat Sinn, das Zweitwerk als eine Art Röntgenbild zu betrachten. Reflexion und Introspektive können der Selbstfindung kaum schaden, auch wenn die Yeah Yeah Yeahs nie ernstlich erkrankt waren. Ihr ganzheitlicher Ansatz reizt nicht nur äußerliche Sinnesorgane - er berührt mehr denn je auch das Herz.

Trackliste

  1. 1. Gold Lion
  2. 2. Way Out
  3. 3. Fancy
  4. 4. Phenomena
  5. 5. Honeybear
  6. 6. Cheated Hearts
  7. 7. Dudley
  8. 8. Mysteries
  9. 9. The Sweets
  10. 10. Warrior
  11. 11. Turn Into

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