laut.de-Kritik

Sadboy, gefangen in der Dauerschleife.

Review von

"Money, sex, murder, drugs, words on my mind / Riding through the desert like a cowboy in the night."

Nach langen Stunden der Introspektion, beschallt von den so hübsch verträumten wie austauschbaren "Starz"-Beats, in denen ich versucht habe, diese Sadness und emotionale Tiefe zu fühlen, die der Musik von Yung Lean nach wie vor gerne zugeschrieben wird, muss ich sagen: Leider nein, leider gar nicht. Der Versuch, einem Zeitgeist nachzuspüren, erwies sich als Jagd nach einem Phantom. Da ist nichts.

Jetzt kann man sich darüber streiten, ob es unsinnig ist, die Kritik eines Yung Lean-Albums damit zu beginnen, sich über den mangelnden Gehalt seiner Texte zu mokieren. Die vertonten Leiden des jungen Jonatan Håstad waren ja noch nie wirklich Goethe, und wollten das auch nie sein, sondern die ungefilterte Teenage Angst eines Jungen in den Zehnerjahren. Exemplarisch stehen obige Verse aber dafür, dass man ihm diesen Vibe oder diese Mood oder weiß der Geier was einfach nicht mehr abkauft wie noch vor sieben oder fünf, meinetwegen auch noch vor zwei oder drei Jahren.

Die melancholischen Winterlandschaften wollen sich vor dem inneren Auge partout nicht einstellen, der Weltschmerz will sich nicht visualisieren. Hingegen ist das Bild, wie Yung Lean auf einem Gaul reitend a bisserl traurig unterm Buckethead hervorschaut und "mindnight" reimt, sehr präsent. Auf "Starz" erstarrt er in seiner eigenen Pose.

Fairerweise muss man sagen, das Album weist keine krassen Tiefpunkte auf. Ebenso mangelt es aber an Höhepunkten, generell an jenen Stellen, an die man sich erinnert. Durchgang um Durchgang plätschert die Platte durch die Gehörgänge, hier brummt der Bass ganz nett, dort erhebt sich mal nicht eine zarte Synthiemelodie aus verzerrten Soundtexturen, sondern umgekehrt. Nie aber erhebt sich das Album aus der eigenen Dauersedierung oder rafft sich gar mal zu etwas wie einem überraschenden Moment auf.

Wer zum Genrebegriff Cloudrap einen Sound im Ohr hat, denkt sich hin und wieder die Drums und das Autotune weg, dort mal ein belangloses Ariel Pink-Feature hinzu und weiß ziemlich genau, wie "Starz" klingt. Das ist erschreckend durchschnittlich für einen Künstler, dessen damals innovativer Sound die Nerven der freudlosen Realkeeper aller Länder strapazierte.

Stimmlich dargeboten werden Zeilen wie "She walks by, she walks by / but she dances with the stars, with the stars, yeah" in einem saft- und kraftlosen Singsang, wo in den letzten Jahren doch viele bewiesen haben, dass man Cloudrap deutlich spannender produzieren kann. Das alles ist wahrscheinlich äußerst herzzerreißend gemeint und wird von der Fanbase vielleicht auch so empfunden. Doch alles, was mir dazu einfällt, ist 'Komm mal klar, Junge'. Genauso wie man ihm Respekt dafür zollen sollte, erfolgreich demonstriert zu haben, dass Rapper auch einen schüchtern traurigen Jungen aus Stockholm meinen kann, muss man enttäuscht darüber sein, dass er nicht willens oder fähig scheint, diese Kunstfigur nennenswert weiterzuentwickeln. Brach er früher noch aus Konventionen aus, ruht er sich mittlerweile auf solchen aus.

Da einem zur gebotenen musikalischen Substanz beim besten Willen nicht mehr einfällt, hier ein kleiner Schwenk ins Popkulturtheoretische: Die Sadboy-Masche wirkt anno 2020 zunehmend bemüht bis redundant. Ja, Männer können, auch im Hip Hop, sensibel sein. Schön, dass wir das mittlerweile festgestellt haben. Noch schöner wäre es, wenn wir etwas vorankommen beziehungsweise die Sadboys aufhören würden, sich wie Fünfzehnjährige zu geben, die sie, biologisch betrachtet, beim besten Willen nicht mehr sind. "Suicide doors on the limousine, self hatred", mehr Selbstreflektion ist hier nicht zu holen. Das hört sich nicht nach vertonter Depression an, sondern nach Masche, nach der vertonten Stilisierung dieser Depression: Next level toxische Männlichkeit. Mit bald 24 Lenzen muss es einem doch irgendwann langweilig werden, sich von Fans weltweit für pubertäres Selbstmitleid abfeiern zu lassen.

Andererseits, so lange die Knete stimmt, was solls. Aber ob es jetzt Kalkül ist oder schlicht künstlerische Lahmarschigkeit, "Starz" bietet routiniert produziertes Futter für die Fans, nicht weniger, auf keinen Fall mehr. Man kann sich das wahrscheinlich schon anhören und sich zu Versen wie "Ain't nobody know me, but my name is so known / everybody around me high, but I stay low" ergriffen ans Herz fassen, wenn man denn will. Nur mit Yung Leans besonderem Status im Game ist es spätestens mit dieser Scheibe vorbei, vorbei, finito. "My style ain't got no father like an orphan", singt er auf "Pikachu" und hat damit Unrecht. Denn der Vater seines eigenen Styles ist er zweifellos selbst. Nur hat der dem Kind nicht mehr viel zu geben.

Trackliste

  1. 1. My Agenda
  2. 2. Yayo
  3. 3. Boylife In EU
  4. 4. Violence
  5. 5. Outta My Head
  6. 6. Dance In The Dark
  7. 7. Acid At 7/11
  8. 8. Starz feat. Ariel Pink
  9. 9. Hellraiser
  10. 10. Butterfly Paralyzed
  11. 11. Dogboy
  12. 12. Iceheart
  13. 13. Pikachu
  14. 14. Low
  15. 15. Sunset Sunrise
  16. 16. Put Me In A Spell

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