laut.de-Kritik
Vom Rap-Meme zum Meme-Rapper zum Genre-Vorzeigekind.
Review von Yannik GölzVom Rap-Meme zum Meme-Rapper zum Cloud-Rapper zum Cloud-Sonderling Extraordinaire: Manchmal geht das Schicksal seltsame Wege, wenn man eine schwedische Online-Hip Hop-Sensation ist, die schon in den frühen Teenager-Jahren virale, stilprägende Musikvideos veröffentlicht hat.
"Stranger" titelt das jüngste Album von Jonatan Leandoer Hastad. Es stellt den endgültigen Schritt in eine musikalische Selbstständigkeit dar, die man dem etwas unbeholfenen Jungen aus "Gingseng Strip 2002" damals so vielleicht gar nicht zugetraut hat. Immer noch zweifelsohne in der Gangart des Cloud Rap-Genres, nun aber mit einer durchgängigen musikalischen Vision im Hinterkopf und sehr treffsicher in der Umsetzung: So kompetent und einheitlich klang der Rapper noch auf keinem seiner Mixtapes.
Yung Lean setzt auf dieser Platte vor allem auf nostalgische, schwermütige Dur-Melodien. Die schweben irgendwo in den Höhen über entfernten Trap-Drums und hinterlassen derartig luftig-leere Instrumentals, dass Leans Stimme allen Platz der Welt hat, um sich zwischen melancholischen Synthesizern und fast an Lo-Fi-Genres erinnernden 808-Fundamenten zu entfalten. "Red Bottom Sky" oder "Agony" brillieren in diesem Kontext, transportieren sie nicht nur die genretypische Schwermut, sondern auch ein durchdringendes Gefühl der Isolation und Verlorenheit.
Es beeindruckt, wie einsam "Stranger" klingt. Auch wenn die Melodien auf Synthesizer, Piano oder Gitarre oftmals vollmundig und erbaulich geraten, subvertieren Komposition und Mixdown diese Elemente, indem sie sie in ungreifbarer Ferne und Texturlosigkeit verschwimmen lassen. So abstrakt es klingen mag: Über weite Strecken beschwört die Produktion Bilder von verschneiten Landstrichen herauf.
Diesen nuancierten Vibe nutzt der Protagonist überraschend konsequent. Einfach gesagt: Lean klingt durch die Bank wie ein verdammt authentischer Sad Boy. Immer noch mit klaren Inspirationen von Musikern wie Travis Scott oder Lil Ugly Mane, scheint er die Entwicklung seines Genres, vorangetrieben von Rappern wie XXXTentacion und Lil Peep, zumindest im Augenwinkel verfolgt zu haben, während er sich selbst offenbar eher Lo-Fi-Hip Hop, Dream House oder PC Music zugewandt hat.
Sogar textlich tut sich hier mehr als der ein oder andere Augenblick auf, in dem Leandoer Bilder zeichnet oder Juxtapositionen schafft, die man als Hörer aus dem Genre nicht unbedingt erwartet. Der Fashiontalk ist da wohl das konventionellste Element, wird aber nicht einmal unbedingt als reiner Stunt-Rap ausgespielt, sondern viel mehr als weiterer Eskapismus umgesetzt: Es geht um die Sehnsucht nach Anerkennung, Zugehörigkeit, kapitalistischer Rausch als Gegengift für das schwammige Outlaw-Konzept.
Die Idee des Fremden, des "Strangers", illustriert er mit derartigen Details, implizit fehlschlagenden Anpassungsversuchen oder surrealen Gedankenfetzen, die in ihrem Nonsense immer wieder Themen wie Depression und geistige Gesundheit anklingen lassen. Die Art wie er Zeilen wie "I'm chasing witches in the streets" ("Agony") oder "I'm addicted to the feeling, I can't get it out / I feel sick into the ceiling" ("Fallen Demon") vorträgt, fügt sich schlicht überaus passend in die Ästhetik und die Klangfarbe des Albums ein.
Natürlich bleiben viele Schwächen des Schwedens bestehen: Seine Reichweite ist nach wie vor eher limitiert, in vielen Tracks schweift er in wahllos scheinendes Geflexe ab (hilft auch nicht, dass das irgendwo zum Zeitgeist gehört, wenn man es nicht abkann). Kann man aber darüber hinwegsehen, erwartet den Hörer auf "Stranger" ein überaus stimmiges und wie aus einem Guss wirkendes Gebilde mit einzigartiger Atmosphäre, mehreren überraschenden Momenten und ein paar von Yung Leans besten Tracks seiner Karriere. Das könnte nicht nur Fans des Genres gut gefallen.
4 Kommentare mit 8 Antworten
Wer weniger als 4/5 gibt, findet einfach keinen Zugang zu diesem großen Werk.
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
Finde es auch great.
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
Das ist jetzt ehrlich unerwartet. Als ich meinen Beitrag verfasst habe, hatte ich schon einen hämischen Kommentar von dir auf dem Schirm.
Hatte das Album aber auch erst danach gehört und es ist tatsächlich anders geworden.
Nee, bin wirklich Fan.
Nix für mich / lieber neues Heavy Metal Kings Album von Vinnie und Ill Bill hören
"red bottom sky" safe anwärter für besten song des jahres. nach trettmann nächstes highlight in dem genre, hab ich so nicht (mehr) erwartet. "salute" und "drop it" auch überhits. etwas zu lang, daher 4/5 korrekte wertung.
"Red Bottom Sky" mit "Agony" auch mein Favorit bisher.
Ja, Agony ist n richtig massiv, versteh nicht, warum er metallic injunction so pusht, wenn er noch sowas im ärmel hat. Dieses "I'm chasing witches in the streets" killt mich jedes mal ein wenig
"Agony" ist vor allem ein Track, den ich Lean so nie zugetraut hätte. Oder zumindest niemals von ihm erwartet.
"Agony" ist so krass. Gerade wieder durch Zufall gehört.