laut.de-Kritik
Ruhiges Comeback mit Tiefgang.
Review von Kai ButterweckIn den letzten Jahren war es still geworden um Alanis Morissette. Bis 2012 veröffentlichte die einstige Alternative-Queen mit der wallenden Brünett-Mähne noch Studioalben im Vierjahrestakt. Nach Album Nummer acht, "Havoc And Bright Lights", ist der musikalische Schaffensprozess aber weitestgehend eingefroren.
Nun ist der Elan früherer Tage endlich wieder zurückgekehrt. Pünktlich zu den "Jagged Little Pill"-Feierlichkeiten (Morissettes erfolgreichstes Studioalbum erschien vor 25 Jahren) veröffentlicht Alanis Morissette wieder neues Material. Und es dauert keine Minute, da ist man als Zeitzeuge auch schon wieder mittendrin im Frühjahr des Jahres 1998, als die gute Alanis drei Jahre nach ihrem Meisterwerk die Drama-Hymne aller Liebenden auf die Reise schickte ("Uninvited").
Bis auf den Klang der Drums scheint sich nichts verändert zu haben. Statt wuchtiger Stadiontrommeln geben trockene Indie-Drums den Takt an. Der Rest ist pure Nostalgie, die dem Hörer ein ziemlich breites Lächeln ins Gesicht zaubert ("Smiling").
Auch ein Vierteljahrhundert nach ihrer Glanzzeit weiß die Kanadierin noch ganz genau, mit welchen Trademarks sie einst die halbe Musikwelt um den Finger wickelte. Mit ihrem Achterbahn fahrenden Organ, das zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt das komplette Gefühlsspektrum abdeckt, verleiht Alanis Morissette sowohl leicht angerockten ("Ablaze") wie auch zartschmelzenden Klängen ("Diabolis") das gewisse Etwas.
Die ganz großen Hits und Hymnen sucht man auf "Such Pretty Forks In The Road" zwar vergebens. Aber das stört nur am Rande. Man ist als alteingesessener Fan froh und dankbar über jeden neuen Akkord einer Ausnahmesängerin, die auch mit Mitte 40 noch das Herz auf der Zunge trägt. Familienliebe, Alkoholsucht, Depressionen, der Kampf gegen das Patriarchat: Im Leben von Alanis Morissette zwickt und zwackt es innerhalb und außerhalb der eigenen vier Wände immer noch an allen Ecken und Enden.
Mit weitestgehend ruhigen Sounds, die sich auf einem samtigen Teppich aus Streichern, gezupften Gitarren und eingängigen Pianopassagen betten, schafft Alanis Morissette eine Wohlfühlatmosphäre, in der man den inneren und äußeren Dämonen mit unerschütterlicher Ruhe begegnet.
Schlussendlich ist es auch kein Wunder, dass eine aufwühlende Ballade den Höhepunkt des Albums markiert. Mag sein, dass die Welt da draußen immer mehr am Zeiger dreht. Mit einer Sinnesliebkosung wie "Her" in den Ohren empfängt der Hörer auch den Teufel persönlich mit offenen Armen.
7 Kommentare mit 21 Antworten
Kleine Ergänzung: "Jagged Little Pill" ist nicht wirklich eine "Studioplatte". Sie besteht mehr oder weniger aus eher unprofessionellen Demotapes, was auch ein Grund für den Erfolg sein dürfte.
Ich war damals auch vollkommen hin und weg. Konnte mit ihrem ganzen sonstlichen Werk, aber sehr wenig anfangen. Werd die Platte direkt mal wieder anschmießen, schätze die ist gut gealtert / zeitlos. Schade, dass sie hier keine Review hat.
Ja, die ist fantastisch gealtert. Aber das alte Muster kennt man ja. Eine Künstlerin macht etwas Echtes, Unperfektes, Ungeschliffenes, und ein fetter, gänzlich unmusikalischer alter Sack von Virgin, Universal, Sony oder EMI denkt sich: Wir machen das besser, indem wir alles ins Grid aufnehmen und ihr neues Personal vorsetzen, das sich null für sie interessiert. Ist wie heute, nur weniger auf Steroiden.
Gestern dann tatsächlich in eins durchgehört und ich war wieder in 95. Null Staub, ganz tolle Platte.
Absolut. In jeder Hinsicht super. Finde auch, ein Meilenstein wäre angebracht. Dieses weitgehend Unproduzierte ist etwas, das sich heute manche Indie-Pop-Folker gerne abgucken dürfen.
>>Aber das alte Muster kennt man ja. Eine Künstlerin macht etwas Echtes, Unperfektes, Ungeschliffenes, und ein fetter, gänzlich unmusikalischer alter Sack von Virgin, Universal, Sony oder EMI denkt sich: Wir machen das besser[...]
jewel fällt mir da als erstes ein.
Die Info über die "jagged little pill" (=Sammlung von Demos) war mir neu, aber sie ergibt Sinn. Ich hatte mir die Platte ein paar Jahre nach dem Hype mal gekauft und war schockiert von dem Sound. Viele Spuren klangen für mich bei vielen Songs wie auf irgendeinem Home-Keyboard mit General MIDI-Samples programmiert.
Ich hatte das damals so interpretiert, dass die Plattenfirma (böse) nach den erfolgreichen Singles möglichst schnell ein Album auf den Markt werfen wollte und die Spielzeit dann schnellst- und billigstmöglich mit schlampig produziertem Mist auf Albumlänge gestreckt hat.
Konnte den Sound überhaupt nicht ertragen und habe die Platte damals schnell wieder abgestoßen.
Vielleicht muss ich ihr mal wieder ne Chance geben... Geschmäcker ändern sich ja...
Du meinst, Du willst es jetzt - nachdem du diese (eigentlich irrelevante) Info erhalten hast - nochmal hören, es dann jubelpersermäßig abfeiern um hier in der Sinfonie der Claqueure mitspielen zu können?
Hm... nein... nicht zwangsläufig... nur wenn ich beim Neuhören etwas neu entdecken sollte, das ich "damals" völlig anders bewertet hatte.
Passiert manchmal.
Meistens allerdings nicht. Habe mir im Abstand von Jahren insgesamt dreimal die Tommy auf CD gekauft, immer nachdem ich irgendwelche epochalen Lobhuldeleien gelesen hatte und dachte, irgendwas müsse doch dran sein.
Nope.
Schund.
Dreimal wieder verkauft.
Mit der Alanis und mir wird es wohl auch nichts mehr. Habe gerade nach all den Jahren Wiedersehen mit ein paar Clips von der JLP auf Youtube gefeiert.
Gibt mir immer noch so wenig wie damals....
Plattitüde: Ist natürlich Geschmackssache. Gerade der unprofessionelle Schlafzimmer+Taperekorder-Sound gepaart mit tollen, intimen Texten und gelegentlichen Ohrwürmern ist etwas, was sie von vielen Edel-Folkern mit ihrem ultrasauberen Sound unterscheidet. Ganz so schlimm wurde es jetzt nicht recordet, aber eben so, wie viele andere heute es mit ihren ersten Demotakes machen würden.
Klar, Geschmackssache ist alles.
Für mich hört sich vieles auch einfach noch unfertig und nicht zuende komponiert/arrangiert an.
Habe gestern mal wieder die Anthology 2 von den Beatles gehört. Da sind ja auch einige Songs in halbfertigen Versionen drauf ohne die Overdubs von George Martin z.B. I am the walrus. Und da merkt man (=ich) schon: grandioser Song, aber die Overdubs sind das i-Tüpfelchen, das noch fehlt.
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
"Nun ist der Elan früherer Tage endlich wieder zurückgekehrt."
"Jagged Little Pill" gehört für mich irgendwann einmal hier mit einem Stein ausgezeichnet.
Ich gebe es zu, Alanis hat mich damals abgeholt mit ihrem wilden Tanzgesang ( https://www.youtube.com/watch?reload=9&v=x… ). Ein weiblicher Derwisch brachte mich für ne gute Stunde um meinen Verstand und das war perfekt. Bei der Stunde blieb es dann nicht, der Verstand setzte dann doch wieder ein. Ab dem MTV 99 nur guter Durchschnitt, nix Derwisch, alles kalkuliert. So geht´s mir mit dem vorliegenden Album, Alanis hat ein Album gemacht, Alanis ist Mutter geworden, toll! Sorry wollte eigentlich nicht so böse werden, schau aber lieber das alte Video von oben, gerade, verdammt.
Mir fehlt da ganz klar der Spirit. Feist ist viel cooler.
ein lied "ironisch" zu nennen und dann szenarien aufzuzählen die nur ganz wenig bis gar nicht ironisch sind ist so unironisch ironisch meta-ebene, dass man schier von proto-millenial sprechen möchte
"szenarien aufzuzählen die nur ganz wenig bis gar nicht ironisch sind"
Wieso denn? Soweit ich mich an den Text erinnere, kamen mir die Szenarien ziemlich ironisch vor.
ok. textANALyse mit schwingi und breaki
Hey, I, I
Yeah, ah, ah
Yeah, I
An old man turned ninety-eight
He won the lottery and died the next day
It's a black fly in your Chardonnay
It's a death row pardon two minutes too late
And isn't it ironic, don't you think?
It's like rain on your wedding day
It's a free ride when you've already paid
It's the good advice that you just didn't take
And who would've thought? It figures
Mr. Play It Safe was afraid to fly
He packed his suitcase and kissed his kids goodbye
He waited his whole damn life to take that flight
And as the plane crashed down, he thought
"Well, isn't this nice"
And isn't it ironic, don't you think?
It's like rain on your wedding day
It's a free ride when you've already paid
It's the good advice that you just didn't take
And who would've thought? It figures
Well, life has a funny way
Of sneaking up on you
When you think everything's okay
And everything's going right
And life has a funny way
Of helping you out
When you think everything's gone wrong
And everything blows up in your face
A traffic jam when you're already late
A "no smoking" sign on your cigarette break
It's like ten thousand spoons when all you need is a knife
It's meeting the man of my dreams
And then meeting his beautiful wife
And isn't it ironic, don't you think?
A little too ironic, and yeah I really do think
It's like rain on your wedding day
It's a free ride when you've already paid
It's the good advice that you just didn't take
And who would've thought? It figures
And yeah, well, life has a funny way
Of sneaking up on you
And life has a funny, funny way
Of helping you out
Helping you out
dann hau mal raus. vllt ist mein ironieverständnis einfach nicht subtil genug, aber bis auf die Begnadigung, die 2min zu spät kommt und vllt der flugzeugabsturz von mr safety, ist das meiste für mich einfach Pech. Scheisse gelaufen. aber nicht wirklich ironisch.
Das geht eben eher Richtung objektive Ironie. Bekanntes Beispiel: Ironie des Schicksals. Die Ironie, die den Umständen innewohnt. Betrifft so ziemlich alle Beispiele in den lyrics, macht keinen Sinn da jetzt was zu zitieren...
Es ist semantisch wohl nicht exakt der selbe Ironie-Begriff wie im Deutschen. Vielleicht wäre für viele Situationen der Begriff "paradox" oder "skurril" besser geeignet. Es ist mE das Gegenteil von subtil, wie Schwinger sagt: banale Umstände, vom Schicksal geprägt.
Auszug vong Wikipedia:
'Darüber hinaus ist eine Verwendung von Ironie für Ereignisfolgen gebräuchlich, bei denen Absicht und Zufall auf besondere Weise aufeinander bezogen sind (entweder antizipatorisch oder antagonistisch). Dabei ist auch von „Ironie des Schicksals“, „Ironie der Geschichte“ oder „Ironie des Lebens“ die Rede (objektive Ironien). '
Weiter unten:
'Der Ironiker in diesem Sinne ist jemand, der in der Welt den Widerspruch zwischen Ideal (als dem gemeinhin Erwarteten) und Wirklichkeit als eine objektive Ironie erkennt.'
Qualle: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Ironie
Nach dem Verständnis sind das im Text dann auch schon Ironien. Hochzeiten solle eigentlich etwas Freudiges sein, aber es passiert etwas "Trauriges": Regen.
Man braucht ein Messer und stattdessen wird man mit tausenden Löffeln bombardiert, als wollte das Schicksal sich extra über dich lustig machen. Ähnlich auch die Freifahrt, obwohl man sowieso schon bezahlt hat.
wieder was gelernt. ich dachte tatsächlich auch, dass ironie des schicksals eine gewisse subjektive komponente aufweisen müsse, damit es tatsächlich ironie wird. und nicht etwa nur pech
Da hast du aber schon Recht, dass es eine subjektive Komponente und einen Beobachter braucht, auch wenn es "objektive" Ironie heißt. Volles Zitat zur objektiven Ironie:
"Anfang des 19. Jahrhunderts wurde im Zusammenhang mit der Diskussion um die romantische Ironie die objektive Ironie als allgemeines, metaphysisches oder geschichtsphilosophisches Prinzip entwickelt. Die Ironie wird losgelöst von der verbalen Ironie und man sieht jetzt auch Ironie in Dingen, in Pseudoobjekten, die kein Bewusstsein haben, z. B. in der Welt, im Schicksal, der Geschichte, der Natur, in Situationen, im Kosmos. Die sich hieraus ergebenden Ironien, die Ironie der Welt, Ironie des Schicksals, Ironie der Geschichte usw., werden, da es kein ironisches Subjekt gibt, als objektive Ironien bezeichnet. Diese objektiven Ironien benötigen stets einen Zuschauer, ein Subjekt, den Ironiker, welcher die Ironie bemerkt.[12] Der Ironiker in diesem Sinne ist jemand, der in der Welt den Widerspruch zwischen Ideal (als dem gemeinhin Erwarteten) und Wirklichkeit als eine objektive Ironie erkennt.[13]"
Also nur "Pech" reicht eigentlich nicht. Das, was passiert muss halt in einer sinn ergebenden Relation stehen zu dem, was man eigentlich beabsichtigt hat. Wenn mich jetzt aus dem Haus gehe und mich ein Vogel anscheißt, ist das einfach nur Pech. Der Regen bei der Hochzeit ist Ironie, weil die eben etwas Fröhliches sein soll und Regen symbolisch für das genaue Gegenteil steht.
Wobei das natürlich schon etwas dünn ist. Wenn man das so ausdrücken würde, dass es wochenlang nicht geregnet hat und ausgerechnet am Tag der Hochzeit anfängt zu regnen, würde man das wohl eher als Ironie bezeichnen und da eine Verbindung zwischen den Ereignissen sehen, als wenn die Hochzeit im Herbst ist und man da eh mit rechnen muss, dass es die ganze Zeit durchregnet.
Von daher ist deine Kritik auch nicht ganz unberechtigt, weil vieles arg verkürzt beschrieben ist, was es schwerer macht, da eine Ironie drin zu erkennen. Aber das sind dann halt die lyrischen Verknappungen, die man einem Songtext denke ich einmal auch zugestehen sollte.
Hast mich da auf was aufmerksam gemacht, break. Stimmt, diese Definition von "Ironie" gibts im Deutschen zwar auch, ist aber längst nicht so etabliert wie im Englischen. Um mal eine Trope zu bemühen:
Wenn ein alter Bulle drei Tage vor dem Ruhestand abgeknallt wird, ist das im Englischen ganz klar Ironie, während das traditionell humorbehinderte Deutsche das eher nicht so begreifen würde.
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
Ich gebe mal den Kotzbrocken und merke an, dass mir die Selbstdarstellung der Heldin inklusive Kind auf Arm vor mächtiger Bücherwand alles andere als authentisch erscheint. Jagged Fat Ego Pill.
Man könnte fast meinen, es handele sich um Popmusik!
Kunst/Künstler und Selbstdarstellung, ein absolutes No-Go natürlich.
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