laut.de-Kritik

Radio-Mix mit dem Deutschlehrer-Liebling.

Review von

Alligatoah macht ein Album über Liebe, Sex und Trennungsschmerz. Nach einer langen Karriere wortverspielter Liedermacherei gäbe es wohl keinen Themenkomplex, der sich für ihn so altbekannt wie irgendwie unsinnig anfühlt. Wir erinnern uns: Der Mann mit dem Schwarzen Gürtel in Alleinunterhalter kann in Songs im Grunde über alles reden. Er kann Musicals über Urlaubs-Frustration schreiben. Wenn er im Laufe seiner Karriere über irgendetwas nicht rappen konnte, dann darüber, was er wirklich fühlt und denkt. Und das ändert sich auch mit "Rotz & Wasser" nicht. Der deutschlehrerfreundlichste Rapper diesseits von Deine Freunde will einmal mehr die Krawatte lockern. Die Ergebnisse sind ... nett. Ein bemühtes, abgestandenes "nett" in Kleinbuchstaben.

Sein Versuch, die seichte Radio-Pop-Ästhetik von "Willst Du" mit pseudo-provokanter Sprache zu reproduzieren, stellt eher in Frage, ob wir überhaupt das Original gebraucht hätten. Point in case: Die Leadsingle "Mit Dir Schlafen". Alligatoah und Esther Graf suchen zu YouTube-Tutorial-Gitarren den Beweis, dass es einen weniger heißen Song über Sex geben kann als das "Marvin Gaye"-Duett von Charlie Puth und Meghan Trainor. Alligatoah versucht vom "Tier in sich" und vom "Versklaven" zu sprechen, aber die Musik macht niemandem etwas vor: Dieser Song würde kein christliches Vorstadtpärchen zu 15 Sekunden Missionar im Dunkeln verführen.

Generell: Ist es gemein zu sagen, dass Alligatoahs Art zu Texten sich wahnsinnig abgenutzt hat? Er schreibt Texte für Leute, die dann in YouTube-Kommentaren interpretieren, was er damit ausdrücken möchte. Da liest man ja immer wieder im besten gymnasialen Stil der Gedichtanalyse, dass dieser Song auf dieses Problem hinweist und jener sehr gekonnt und klug dieses Thema karikiere. Schnarch. Was er kritisiert und was er ausdrücken will, ist mir an dem Punkt egal geworden, als ich gemerkt habe, dass er nie einen wirklichen emotionalen Bezug dazu entwickelt. Musik ist kein verdammter Essay, und zwei Parts lang Sprüche zu Kettenreime zu verdrehen, ist keine Auseinandersetzung. Für einen vermeintlich so klugen Künstler verlasse ich seine Songs zu oft genau so, wie ich in sie hereingegangen bin. Oho, oho, da ist ein Thema, ja bestimmt. Aber warum sollte es mich interessieren, wenn er es nicht einmal erklärt bekommt, warum es ihn interessiert?

Was will der Künstler uns mit "Feinstaub" sagen? Dass er sauer auf einen Expartner ist? Er findet drei Dutzend Wortspiele dazu, aber sie finden alle zu keiner Aussage zusammen. Auf "Nebenjob" meckert er über Leute ohne Bezug zur Arbeiterschicht. Und die Aussagen darin würde ich alle so unterschreiben. Nimm meinen Facebook-Like, Alligatoah. Aber was ist die Stimmung dieses Songs? Mal ist er genervt, mal ist er selbstironisch, mal überfordert, mal gelangweilt. Er hat immer die Stimmung, die die Line gerade braucht. Dementsprechend juckt es auch kaum, was für eine Stimmung das Instrumental vermitteln könnte. Das spielt irgendwelche Genres, irgendwelche Töne, sehr kompetent, wie immer, aber im Grunde völlig arbiträr. Genau, wie alles an diesen Songs irgendwie wahllos ist. Es gibt keinen Bezug zwischen der musikalischen Untermalung, der Delivery und dem Inhalt. All diese kreativen musikalischen Ideen, all diese kreativen Textideen, all diese kreativen Wortspielerein, sie sind konstant weniger als die Summe ihrer Teile. Alligatoah ist wichtiger, wie er etwas ausformuliert, als was er eigentlich sagt. Und im Rahmen eines Konzeptalbums über Gefühle wird diese Unnahbarkeit schmerzhaft spürbar.

Vor allem, weil manchmal Momente aufkommen, die funktionieren: "Hart Vermissen" zum Beispiel klingt im letzten Moment des Refrains als sei es das erste Mal, dass eine echte Person unter dem Konstrukt Alligatoah herausragt. Er schreibt über eine Partnerin, die sich Freiheit wünscht und gesteht sie ihr zu. "Aber ehrlich gesagt, werde ich dich hart vermissen" schließt er ab, die Folk-Gitarren und seine traurige Stimme kommen richtig schön zusammen. Es ist poppiger Radio-Fluff, aber steht als geschlossenes Ganzes da und vermittelt ein Gefühl, das er wirklich zu fühlen scheint.

Besser wird es nur auf "Nachbeben". Nach einem etwas nutzlosen ersten Part über Gore-Videos im Internet spricht er darüber, wie eine toxische Beziehung beidseitige Traumata auslösen kann. Die Hook wirkt ein bisschen direkter getextet, und im zweiten Part geht er wirklich mal ans Eingemachte. Ich habe das erste Mal so richtig das Gefühl, dass er nicht auf ein 'wichtiges Thema in der Gesellschaft aufmerksam machen will', sondern dass er etwas ausdrückt, das ihn selbst betroffen hat. Auch der letzte Moment auf dem Closer "Nicht Adoptiert" spricht darüber, was für ein Vater er sein möchte und wie er es sich vorstellt, sich emotional auf ein Kind einzulassen. Ja! Super!

Alles in allem traut sich Alligatoah immer noch viel zu wenig zu, keine Kunstfigur zu sein. Ja, das war bisher immer sein Ding, aber gerade die alten Alben, auf die alle sich einigen könnten, ersetzten einen klaren Protagonisten in den Texten durch seine cartoon-hafte und expressive Stimmlage, die wirklich unerwartbaren DIY-Beats und die South Park-Ausstrahlung. Seit sich das nun über ein Jahr zu verschiedenen musikalischen Spielarten mit dem Besten aus dem 80ern, den 90ern und von heute geglättet hat, fehlt Alligatoahs Musik mit jedem Album mehr die Persönlichkeit. Er versteckt sich geradezu hinter seinem Talent. Er versteckt sich hinter den geschmackvollen Referenzpunkten und den Themen.

Er schreibt mit zwanzigtausend Wortspielen jeden emotionalen Affekt aus seinen Parts, er zerbröselt sich zwischen Witzeleien und Redewendungen, er lenkt mit musikalischen Taschenspielertricks vom emotionalen Kern ab. Und wie so oft klingt das oberflächlich recht beeindruckend, führt aber wieder nirgendwo hin. Besonders in Songs wie "Ich Hänge" oder "Fuck Rock N Roll" weiß man einfach nicht, was man daraus nun mitnehmen soll. Er reiht Stilblüte an Stilblüte, Stilmittel an Stilmittel. Aber ich wünschte mir, es wären öfter Stilmittel zum Zweck. Zu irgendeinem Zweck.

Trackliste

  1. 1. Feinstaub
  2. 2. Mit Dir Schlafen (feat. Esther Graf)
  3. 3. Dunstkreis
  4. 4. Hart Vermissen
  5. 5. Fuck Rock N Roll
  6. 6. Unter Freunden
  7. 7. Ich Hänge
  8. 8. Nebenjob
  9. 9. Nachbeben
  10. 10. Stay In Touch
  11. 11. Verloren
  12. 12. Nicht Adoptiert

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