laut.de-Kritik
Brutal, fordernd, faszinierend: die Fifty Shades Of Doom.
Review von Yan VogelVertonung trifft es bei den belgischen Krawall-Ästheten Amenra besser als die schnöde Bezeichnung Song. Die Faktoren Sound, Dynamik und Entwicklung entfachen eine immense Sogwirkung. Man taucht gänzlich ein in die Fülle an Klängen zwischen Sturm und Stille.
"Ogentrost" ist ein Leerstück in Sachen Langsamkeit. Die Fifty Shades Of Doom entführen in zahlreiche Abstufungen der zeitlich gestreckten Klangwelten. Die Stellschrauben lauten Gesang, Härtegrad und Tempi. Düster dräuende Drones führen in den Reigen ein. Aus dieser klanglichen Kaskade schält sich eine cleane Gitarre heraus, deren Tonfolge förmlich nach Vergebung schreit. Storytelling-Vocals steigern die Spannung. Dann implodiert die Tonfolge in eine Wall Of Noise, das Tempo zieht an, die Vocals kippen ins Schreien. Aus dieser akustischen Ursuppe erheben sich engelsgleich die Backings von Oathbreaker-Front-Derwisch Caro Tenghe. Der beschwörendeTribal-Part im Anschluss steigert die Manie weiter, und der Peak ist erreicht. Die doomige Walze gleitet mit reduziertem Tempo direkt ins nachfolgende Klang-Gemälde "De Dood In Bloie" über.
Beim Blick auf die Texte bin ich Feuer und flämisch. In der Landessprache ergibt sich aus der Nähe zum Deutschen eine gewisse Verständnisebene, die durch die poetischere Aussprache einerseits und die harschen Schreie andererseits auch etwas Geheimnisumwittertes in sich birgt. "Ogentroost" etwa bedeutet Augentrost, während "De Dood In Bloie" in der Übersetzung der Tod in voller Blüte lautet. "De Evenmens" (der Mitmensch) lässt in der wütend musikalischen Umsetzung keinen Zweifel daran, welch geistiger Natur dieser Mitmensch denn sein muss.
"Het Gloren" verzückt durch das kontrapunktische Spiel zwischen Gitarren und Bass. Während der Bass, einem Hammerschlag gleich, mit tiefen Tönen das Fundament legt, tänzelt im Vordergrund ein Arpeggio-Voicing. Das vulkanoide Treiben bricht abrupt ein und macht Platz für einen andächtigen erzählerischen Part.
Das abschließende, überlange Stück "Voor Immer" pirscht sich erst langsam an. Sparsame Gitarrenbegleitung bereitet den Raum für die Deklamation der Verse. Die Soundscapes sorgen für Spannung, pointiert gespielte Gitarrenchords lösen ein hypnotisierendes Picking ab. Auch wenn das Unvermeidbare geschieht, und dieser Track ins Bodenlose kippt, überrascht dies den Hörer dennoch. Vielleicht liegt es an der schieren Klanggewalt, die brutal, fordernd und faszinierend zugleich ausfällt. Das Ende zerbirst förmlich vor Verzerrung, bevor ein Gitarrenthema wie aus einer Spieluhr den kollabierenden Wahnsinn verlässt und einsam dem Ende entgegenstrebt.
2019 zelebrierten Amenra eine schwarz-feurige Messe anlässlich ihres 20-jährigen Bestehens. Das Kollektiv verfasste damals extra neue Songs, die nun den Grundstock für "De Doorn" bilden. Im Vergleich zu den bisherigen Mass-Suiten beschränkt man sich ausschließlich auf flämische Texte, wobei die Grundpfeiler aus Doom, Black Metal, Traditionals und Post Rock nur um Nuancen verändert erden
4 Kommentare mit 7 Antworten
Amenra ist aus Belgien, aber super Album!
Warum soll aus Belgien kein super Album kommen?
Im Ursprungstext stand "holländische". Wurde verbessert.
Danke, Alex
Es heisst: "Ogentroost" und "De Dood In Bloei". Graag gedaan!
Ich liebe Amenra, aber diese ganzen Spoken Word Parts nehmen mir den Spaß an der Sache. Der Flow der Song geht dadurch komplett kaputt. Bisher nur einmal durchgehört und seit dem nicht mehr angepackt. Werde ich wohl mal noch machen müssen.
Finde leider auch, dass der Text etwas zu viel hinsichtlich der Platte verspricht. Es ist bei Amenra ja eh schon so, dass Vokalist van Eckhout weitgehend alleine die Fäden zieht bzw. das Gefühl hat, dies zu tun, die Qualität des Outputs mMn aber sehr daran hängt, wer sonst noch so an den Instrumenten und/oder als Gäste zu hören ist.
Die Nummer mit der Oathbreaker-Vokalistin auf der Scheibe hier ist sicher der Breakout-Track. Vielleicht nicht so ein Riesenwurf wie "A solitary reign" von der "mass vi", welcher gefühlt ja nochmal ganz neue Fanschichten akquirieren konnte, aber ganz ähnlich wie auf dem Vorgänger kommt für mich sonst nichts wirklich qualitativ in diesen Höhen an.
Das Problem dabei: Auf "mass vi" war "A solitary reign" das fünfte von sechs Stücken auf der Platte und ergab beim Hören den Eindruck, als würde hier gezielt eine musikalische Klimax zum Höhepunkt der Scheibe installiert.
Mit "Ogentroost" wird auf der aktuellen Platte ein fulminanter Opener geliefert, an den im weiteren Verlauf nichts herankommt, so dass eher das Gefühl bleibt, hier sei bereits zu Beginn der überwiegende Teil kreativen Potenzials der Platte in einem einzigen Track verschossen worden.
Soulibrudi, gib mal n Tipp, welches Album für nen Einstieg in die Diskografie taugt. Ist Mass VI ein solcher Kandidat?
Ja, schon am ehesten, gerade wegen beschriebener Klimax und weil sie das Songwriting in dieser Besetzung mal ein gutesaufgebohrt bekamen. In diesem vormals kleineren Topf, in dem sie ihr Doom-Süppchen am köcheln waren, wäre "mass IIII" und dort speziell "Razoreater" ein Anspieltipp von mir...
...aber Du merkst schon, je weiter es bei denen in der Diskografie zurück zum Anfang geht, umso zähflüssiger (bis hin zum Punkt der Ungenießbarkeit für mich) wird das Süppchen eingekocht.
* ein gutes Stück weit aufgebohrt
Küsschen aufs Nüsschen, sollte klar sein.