laut.de-Kritik
Die ausgewählten Mitschnitte gleichen einer Wundertüte.
Review von Sven KabelitzDie Alkoholvergiftung der zierlichen Sängerin mit der großen Stimme liegt mehr als ein Jahr zurück. Die grimassenartigen Bilder, die uns vor ihrem Tod in der Presse begleitet haben, rutschen mehr und mehr in Vergessenheit. Amy Winehouse wird wie ihre früh verstorbenen Kollegen zu einer unrealistischen Comicfigur überzeichnet. Ein T-Shirt Aufdruck bis in alle Ewigkeit.
Fahrplanmäßig beteiligt sich "At The BBC" an der Legendenbildung. Bis auf zwei Aufnahmen auf der Audio-CD blendet die DVD/CD-Box Auftritte nach 2007 komplett aus. Doch bereits in dem kurzen Zeitraum der ersten Jahre lässt sich der Beginn eines angekündigten Desasters verfolgen.
Dabei war alles einmal ganz anders. Eine gerade einmal zwanzig Jahre junge Frau mit hellblauer Gitarre eröffnet mit "Stronger Than Me" die "At The BBC"-Box. Während ihres ersten Auftritts bei "Later with Jools Holland" zeigt die possierliche Britin mit glatten Haaren und bei voller Stimme, welch Ausnahmetalent als Sängerin, Songwriterin und nicht zuletzt auch Musikerin mit ihr verloren ging. Mit dem Wissen, was diese zerbrechliche Person in den folgenden Jahren noch erwartet und wie sie ihr Leben und Genie wegschenkt, wird "Stronger Than Me" zu einem Atemzug in Moll.
Die für die Box ausgewählten Mitschnitte gleichen einer Wundertüte. Zu keinen Zeitpunkt kann man sich sicher sein, welche Amy man als nächstes zu sehen bekommt. Das Soul- und Jazz-Wunderkind, oder ein vom Showbiz angezähltes und desillusioniertes Zerrbild.
"The Day She Came To Dingle" dokumentiert Amys Auftritt vor achtzig Zuschauern in einer kleinen Kirche in Dingle, einem kleinen 1.700 Einwohner Nest in Irland. Kurz bevor "Back To Black" durchstartet, zeigt sich die Sängerin, nur begleitet von Bassist Dale Davis und Gitarrist Robin Banerjee, in bestechender Form. In Dingle singt sie sich noch einmal ihren Blues von der Seele, bevor die große Welt ihr keine Auszeit mehr erlaubt. Zeitgleich befasst sich ein Interview mit ihren Einflüssen und wie sie ihren Weg von Madonna über Salt 'N' Pepa zum R'n'B und schließlich zum Jazz fand.
In "Don't Go To Strangers" und "I Heard It Through The Grapevine" treffen die wohl schlechteste Tänzerin der Welt (Amy Winehouse) und ein angegrauter Bibo aus der Sesamstraße (Paul Weller) aufeinander und sorgen mit der Hilfe des Hutzelmännchens Jools Holland für eine mustergültige Gänsehaut. Überhaupt verstand Winehouse das Spiel mit ihren Wegbereitern. Egal ob dies Marvin Gaye, George Shearing ("Lullaby Of Birdland") oder ein kurzes eingebautes Lauryn Hill-Zitat betrifft.
Am anderen Ende der Skala findet sich "BBC One Sessions Live At Porchester Hall" wieder. Während sich ihre Band auspowert und ihre Seele gibt, kann man dies von Frau Winehouse nicht behaupten. Bereits während der dritten Nummer geht ihr die Luft aus. "You Know I'm No Good" wird lieblos abgefrühstückt und zum vorzeitigen Tiefpunkt. Für die Sängerin wird die Decke der Porchester Hall, die sie für einen nicht enden wollenden Moment anstarrt, wichtiger als alles um sie herum. Derweil verkommt die Musik, das Publikum und die Welt zur Nebensache. Doch auch an diesem Abend, durch den sie sich überphrasierend nölt, blitzt ihr Können auf. Lauschig und eindringlich betten sich "Take The Box" und "Some Unholy War" in das sie umgebende Chaos.
Warum 152 Minuten Spielzeit auf drei DVDs aufgesplittet werden, bleibt das Geheimnis von Universal Island Records. Hinzu kämpft "At The BBC" mit dem Problem, dass Winehouse es zu Lebzeiten nur auf zwei Alben brachte und "Lioness: Hidden Treasures" kein Abschied à la "Pearl" darstellt. Es fehlt der Box an Abwechslung. Manch ein Track wie "Rehab" oder "Tears Dry On Their Own" werden gleich viermal verwurstet. Die Karriere und das Leben der Amy Winehouse bleibt unvollendet. Der Abspann fehlt.
13 Kommentare
Bin am überlegen, ob ich mir dieses Set hole. Winehouse war ein Meilenstein an sich, ohne sie wäre der Weg für Adele, Duffy und Bruno Mars wohl nicht möglich gewesen.
30,00 ? geht auch noch.
Überleg es Dir. Es schwankt halt zwischen solchen http://youtu.be/uYqGSjg-sGg?t=2m14s und solchen http://youtu.be/uflPTRzkzqU Momenten.
Ich kenne sie seit Frank und hab alle CD's/DVD's von ihr zum Teil doppelt, ich weiss worauf ich mich einlasse ;D
Der Auftritt mit Weller is epic.
... und er hat seine Tochter nicht verkannt. Du begibst dich gerade auf ganz dünnes Eis. Solch eine Situtaion ist sehr schwierig einzuschätzen, wenn z.B. dein Kind unter enormen öffentlichen Druck/beobachtung steht und dazu noch ein schweres Drogenproblem hat.
IEatBounty
Naja, laut eigener Aussage hat er erst nach ihrem Tod erkannt was für ein Genie sie war. Will das jetzt auch nicht auseinandernehmen und Deine Einstellung zu Tonträger/Bildträgern kann ich nachvollziehen, teile sie gerade hier aber nicht.
Da kriegt man echt nen trauriges Sehnsuchts-Gefühl wenn man diese Bilder sieht - was hätte sie alles noch erreichen können, welch wundervollen Lieder noch schreiben können.. only the best die young.