laut.de-Kritik

Melodycore-Schellen gegen die Lethargie.

Review von

"Wo ist eigentlich der Moment, in dem ihr Donald Trump vor den Bus werft?", fragte ein Freund mal den Anti-Flag-Bassisten Chris Barker. Als politische Punkband stünden sie schließlich in der Verantwortung. Mit "20/20 Vision" spinnt das Quartett aus Pittsburgh diese Metapher noch weiter und es wirkt eher so, als lägen sie ihr Staatsoberhaupt in Erwartung eines Güterzuges gefesselt auf die Bahngleise.

Dass Anti-Flag den 45. Präsidenten der USA so gar nicht riechen können, haben sie mit dem Vorgänger "American Fall" vor knapp zwei Jahren schon klargestellt. Auf "20/20 Vision" schiebt die Band aber endgültig alle Indirektheiten beiseite und greift Trump frontal und schonungslos an. Trumps verzerrtes Antlitz, das auf dem Albumcover prangt, gibt die Protest-Marschrichtung für das zwölfte Studioalbum vor.

Inhaltlich klatschen sich Anti-Flag so mit den Autoren Philip Rucker und Carol Leonning ab, die kurz nach dem Release von "20/20 Vision" das Enthüllungsbuch "Trump Gegen Die Demokratie - 'A Very Stable Genius'" veröffentlichten. Interne Quellen aus dem Weißen Haus beschreiben Trump darin unter anderem als notorischen Lügner, Choleriker und unbelesenen Kleingeist.

Das können Anti-Flag so nur unterschreiben, haben aber noch ein paar deftigere Bezeichnungen in petto: "You're a maniac, a liar, you're a piece of shit / Cynical, condescending hypocrite", schmettern sie Trump in "You Make Me Sick" entgegen. Hier erklingt der Frust nach drei Jahren Amtszeit, der sich giftig und tobend entlädt. Musikalisch setzen Anti-Flag dabei auf Altbewährtes und verpacken ihre Wut in melodischen Pop-Punk, dessen Eingängigkeit schon antithetisch zum Inhalt erscheint.

Die Band klingt höchst angepisst, denkt aber zu keinem Zeitpunkt daran, sich dadurch eine gute Party vermiesen zu lassen. Den musikalisch anspruchsvolleren Mittelfinger halten schließlich schon die Kollegen von Algiers in Trumps Richtung. Stattdessen dominieren die für die Band typischen Mitsing-Hooks und etliche Ohrwurm-Garanten, die auf makabere Art gute Laune verbreiten, solange man die Texte ausblendet.

Die fixieren sich nicht nur auf den mächtigsten Mann der Welt, sondern zerren den gesamten rechten Mob der USA in das Spotlight. "Christian Nationalist", das eine Orgel passend einleitet, zielt etwa auf den Neonazi und Holocaust-Leugner David Duke ab: "You're no better than the rest / White neo Christian Nationalist / Religious law your litmus test / White neo fascist supremist." Chris Barker hatte Trump 2017 im laut.de-Interview bereits als "Symptom" dieses Systems bezeichnet. Hier bilden Anti-Flag Antikörper gegen die Erreger.

Beschwingt geht es auch im Titeltrack zu, in dem sie mit Durchhalteparolen den Schlachtplan für das US-Wahljahr vorgeben: bloß nicht aufgeben und weiterkämpfen. Der gewollt poppige Refrain verwässert die starke Botschaft leider zu sehr und verkommt zum banalen Singsang. Bissiger geben sich Anti-Flag dafür an anderen Stellen. Das furiose "A Nation Sleeps" klatscht die Bevölkerung mit harten Melodycore-Schellen aus der Lethargie.

Den amerikanischen Traum trägt die Band schließlich in der gemütlichen Lagerfeuer-Ballade "Un-American" zu Grabe. Die Ironie, die durch die Fusion von Western-Gitarre und Lobbyismus-Schelte entsteht, hat einen äußerst bitteren Nachgeschmack. So betrübt möchten Anti-Flag das Album nicht schließen und setzen hoffnungsvolle Ska-Fanfaren auf "Resistance Frequencies" als Schlusspunkt. Ihr "Call To Arms" soll den Tenor für die Zukunft vorgeben: "Lasst euch nicht unterkriegen."

Mit "20/20 Vision" haben Anti-Flag Donald Trump und seinen Unterstützern erneut den Kopf gewaschen, bevor die Karten in diesem Jahr vielleicht neu gemischt werden. Leider wirkt der Protest zeitweise uninspiriert, verbeißt sich in den starken Momenten aber heftig in die Waden der Machtträger. Zum Entstehungszeitpunkt dieser Rezension läuft noch das Amtsenthebungsverfahren gegen Trump, das er sehr wahrscheinlich überstehen wird. Musikalisch haben Anti-Flag diesen Arschtritt aber schon geliefert: "You're fired!"

Trackliste

  1. 1. Hate Conquers All
  2. 2. It Went Off Like A Bomb
  3. 3. 20/20 Vision
  4. 4. Christian Nationalist
  5. 5. Don't Let The Bastards Get You Down
  6. 6. Unbreakable
  7. 7. The Disease
  8. 8. A Nation Sleeps
  9. 9. You Make Me Sick
  10. 10. Un-American
  11. 11. Resistance Frequencies

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