laut.de-Kritik
Die Indie-Feingeister verwandeln ihr Livealbum in ein besseres Best Of.
Review von Alexander KrollNatürlich hatten auch Belle and Sebastian für 2020 andere Pläne. Während Musikfans auf dem Planeten gern zu Konzerten ausgeschwärmt wären, hätten die schottischen Indiepop-Darlings mit Freude welche gespielt. Doch selbst für diese verzwickte Situation fand die Glasgower Band, die seit 1994 die Herzen erobert, eine gute Lösung. Beeindruckend versorgt das Doppel-Livealbum "What To Look For In Summer" winterliche Wohnzimmer mit dem Besten einer strahlenden Sommertournee.
Nach elf Studioalben und zahlreichen EPs liefern Belle and Sebastian mit ihrem vierten und ambitioniertesten Livealbum den klaren Beweis, dass sie nicht nur eine großartige Band sind, sondern auch als hinreißende Live-Performer überzeugen. Mit dem 23-teiligen 2019-Konzertmix, der von der Mittelmeer-Kreuzfahrt "Boaty Weekender" bis in verschiedene US-Städte reicht, demonstriert die siebenköpfige Truppe vorbildlich, dass ihre liebreizenden Twee-Songs längst nicht mehr an den beschaulichen Schlafzimmern haften, in denen sie vielfach entstanden sind, sondern eindeutig auf die großen Bühnen gehören.
Als Querschnitt durch zweieinhalb Jahrzehnte Bandgeschichte bündelt "What To Look For In Summer" die Strahlkraft der feinsinnigen Lieder. Dabei gelingt das Kunststück, die verwobenen Nuancen des romantischen Banduniversums in einen klaren und kompakten Live-Sound zu überführen. Darüber hinaus gewinnen viele Songs – besonders die frühen, etwas zurückhaltend klingenden Tracks der Alben "Tigermilk", "If You’re Feeling Sinister" und "The Boy With The Arab Strap" – in den Live-Versionen bemerkenswert an Qualität, wirken kraftvoller und zielgerichteter. Kein Wunder, dass selbst Sänger Stuart Murdoch, der bei den frühen Aufnahmen mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte, die Live-Mitschnitte von "The Fox In The Snow“ und "My Wandering Days Are Over" den Originalen vorzieht.
Abgesehen von Tracks wie "Beyond The Sunrise" oder "Nice Day For A Sulk", die auch live nicht wirklich zünden wollen, erhalten viele der frühen verhuschten Werke einen lohnenden Energieschub. Gleich der Opener "Dirty Dream Number Two", der im Original etwas verschüchtert erscheint, setzt das große Ensemble feierlich in Szene. Murdochs Stimmvermögen klingt deutlich gereifter. Der Sänger versteckt sich nicht hinter dem Song, sondern führt ihn in all seinen vielfältigen Impulsen geradeaus nach vorne. Auf der gegenüberliegenden Seite des Albums steigert die Live-Version von "The Boy With The Arab Strap" die verträumte Monotonie des Klassikers zu einem mitreißenden, fast achtminütigen Feelgood-Rhythmus, bei dem nicht nur Fans vor Ort auf die Bühne geholt werden, sondern sprichwörtlich auch die Hörer zuhause.
Die liebenswürdigen Power-Arrangements reichen von den ältesten Aufnahmen bis zum aktuellen Output. Konsequent verpasst die Live-Band dem melancholisch schlurfenden Lo-Fi-Kulthit "Dog On Wheels" mit dynamischen Vocals, Gitarre und Percussion den Drive, der ihm gebührt. Gleichzeitig führt die Gruppe einen neuen Song wie "We Were Beautiful", dessen Elektronik-Touch im Original leicht unterkühlt schimmert, mit breiter Instrumentierung und Mehrstimmigkeit in einen lebhaften Rausch.
Ihre goldene Mitte zelebriert die Band in den vier Tracks der Pop-Perlen-LP "Dear Catastrophe Waitress" von 2003. Begeisternd entfalten sich die Hits "Step Into My Office Baby", "Wrapped Up In Books" und "Stay Loose" als weiträumigere, vollere Rockversionen. Als Glanzlicht des Albums und einer von Murdochs Live-Lieblingssongs entwirft "If She Wants Me" mit beschwingten Keyboards, Gitarren und Streichern eine große, erhebende Zufriedenheitshymne.
Wer hätte gedacht, dass Belle and Sebastian mal für so gute Laune sorgen? Im Plattenladen-Film "High Fidelity" bezeichnete Jack Black die Sounds der Schotten als "old sad bastard music", warf ihre Kassette verärgert aus John Cusacks Tonbandgerät und rockte stattdessen zu den fröhlichen Klängen des Gassenhauers "Walking On Sunshine". Heute könnte man sich bestimmt auf "What To Look For In Summer" einigen.
2 Kommentare
Kaum haßbar!
Kleiner Wermutstropfen: kein "Sleep The Clock Around" drauf