laut.de-Kritik
Die Größe dieser Platte ist schon fast unheimlich ...
Review von Martina SchmidIch hatte Angst vor dieser Platte. Angst, sie könnte die maßlosen Erwartungen nicht erfüllen auf der einen Seite, und Angst, sie könnte genau das tun auf der anderen. Portisheads "Dummy" und Talk Talks "Spirit Of Eden" für sich allein betrachtet, sind schon solch gefühlsgewaltige Meisterwerke, dass der bloße Gedanke an die Konstellation von Beth Gibbons Stimme und Paul Webbs musikalischem Verständnis wohlige Schauer verursachte.
Schönheit und Tristesse sind tatsächlich treffende Attribute dieses leisen, emotionsgeladenen Monsters. Aber von der bedrückenden Schwere der beiden übergroßen Referenzalben ist nur mehr eine Spur geblieben.
Größtenteils unaufdringliche Arrangements bilden den Rahmen, in dem Beth Gibbons Stimme zu voller Blüte erwacht und dabei Facetten ihres stimmlichen Spektrums offenbart, die weit über die Verletzlichkeit hinausweisen, die für Portishead so charakteristisch war.
Wenn sie über das einzige aufwendig instrumentierte Stück "Tom The Model" mit einer Kraft singt, dass die Assoziationskette zwischen Moloko und Shirley Bassey oszilliert, dann ist das die reinste Freude. Ganz ähnlich gibt sich "Romance". Mit klassischen Bläsern unterlegt steuert Beth schon fast ein bisschen lasziv ihren Teil bei, um dem Ganzen einen ehrwürdigen 50er Jahre Charme zu verpassen. Und das bezaubernd zarte "Mysteries" trägt bei aller Fragilität noch eine lebensbejahende Note, die einem den Winterfrost vom Herzen schmelzen lässt.
Nichts desto trotz ist undenkbar, dass "Out Of Season" ohne eine melancholische Grundstimmung auskommt. Eine atemberaubende Kostprobe davon gibt "Show", als Frau Gibbons mit einem schleppenden, schwerfälligen Piano kämpft. Oder "Funny Time Of Year", das eine ergreifende Verzweiflung transportiert - da ist es wieder: das Sehnsüchtige, das gleichzeitig Wehklagende und Starke in dieser unvergleichlichen Stimme.
Und immer wieder bedient sie sich in bildhafter Sprache der Jahreszeiten, besingt den Sommerhimmel, den gehenden Herbst, den Wind und die Schatten - und singt immer von: Liebe.
Die Größe dieser Platte ist schon fast unheimlich, wieder einmal bemächtigt sich meiner dieses Ohnmachtsgefühl, Musik mit Worten nie gerecht werden zu können. Am Ende bleibt ein salziger Geschmack auf den Lippen und eine balsamierte Seele. Diese zeitlose Perle zählt zur wundervollsten Musik, die mir überhaupt je begegnet ist.
24 Kommentare
seltsam, diese business-politik. ich besitze das album schon seit geraumer zeit, habe es ganz normal in einem nicht gerade gutsortierten musikgeschäft gekauft. erstverkaufstag ist aber in "echtigkeit" der 10.02.03. anscheinend wurde das werk zunächst als import (aber zum normalpreis) in den handel gestellt und dann wieder vom markt genommen, um jetzt noch einmal feierlich und offiziell veröffentlicht zu werden. hm ... soll damit das klauen im netz gefördert werden?
zum werk selbst: es lohnt sich - auch wenn portishead zunächst weit weg erscheinen. keine "elektronica" ist darauf zu hören. diese hat bei portishead ja noch eine gewisse distanz geschaffen, das ist hier nicht mehr der fall. so entsteht oft eine unglaubliche fast unerträgliche nähe. die meisten songs sind recht spartanisch gehalten - z.b. nur mit gitarre und engelschor. man meint immer ihre stimme würde gleich zur hymne jubilieren, aber dann kommt ein bruch hin zum jammerei (und portishead sind doch wieder da). ein sehr zeitloses, großes album, dem offentlich ein großer erfolg bescherrt wird (die zeichen dafür stehen auch recht gut, immerhin platz 26 in den amazon.de-charts)
das album hab ich mir gekauft, als ich das letzte mal in wien war. ich kannte zu dieser zeit weder portishead, noch beth gibbons & rustin man. als ich mich im virgin-megastore bei den empfohlenen alben umsah, stach mir das cover von "out of season" ins auge, also hörte ich mir das erste lied an und ging damit gleich zur kasse. zu weihnachten hat mir Glass "Portishead-Live" geschenkt, seitdem hör ich diese beiden alben beinahe täglich. dass das album quasi wieder vom markt genommen wurde, hab ich nicht gewusst, ist aber interessant zu erfahren. ich kann nur noch hinzufügen, dass sich durch diese beiden alben mein musikalischer horizont in dieser kurzen zeit bemerkenswert erweitert hat.
was da schief gelaufen ist, wüsste ich auch mal gern. das label behauptet nach wie vor steif und fest dass der 10.2. der veröffentlichungstag ist. andererseits: ein bisserl wirbel kann auch nich schaden denn die platte verdients ja
Rustin man = Paul Webb
Zitat (« le misanthrope schrieb:
was hat der mir dem album zu tun?
das album hat sie doch mit paul webb gemacht!?!?
komisch...... »):
Ja, aber Paul Webb war doch relativ lange Zeit Bassist bei Talk Talk. Also mindestens bis "Colour of Spring". Später war er irgendwie nur noch auf dem Papier dabei und dann wurde er auch dort gestrichen.
DANKE Martina, für diese Worte...Du sprichst mir aus der Seele - besonders Dein Schlusssatz! Nach einem Dutzend Jahren, trifft es das immer noch genau: "Diese zeitlose Perle zählt zur wundervollsten Musik, die mir überhaupt je begegnet ist." Betörte Grüsse - die andere Martina