laut.de-Kritik
Nicht alles ist magisch, verzaubert aber trotzdem.
Review von Manuel BergerExpectations bedienen ist nicht. Gerade einmal drei Songs auf "Magic Life" sind in dieser Form erwartbar gewesen. Wer nach "Schick Schock", das Hit an Hit reihte, auf eine Manifestation des Hymnen-Darling-Daseins hoffte, den enttäuscht Bilderbuchs viertes Album aller Voraussicht nach zunächst ziemlich.
Einzig "Bungalow", "Erzähl Deinen Mädels Ich Bin Wieder In Der Stadt" und "Baba" halten die "traditionelle" Mitte. Drumherum marschieren die Österreicher in zwei entgegengesetzte Richtungen: einerseits gen Trash und Cloud Rap-Heaven, andererseits gen verkopfte Progressivität.
Was man mit relativer Sicherheit sagen kann: Hätten Bilderbuch nicht den Status, den sie mit "Schick Schock" erlangten, wäre "Magic Life" nicht passiert. Eine unbekannte Band würde sich entweder nicht trauen, so etwas zu veröffentlichen, oder man würde sie dafür in der Luft zerreißen.
Bilderbuch jedoch haben sich mit massenkompatiblen Elementen den Ruf bereits erarbeitet, nicht nach den Regeln zu spielen, und damit das Privileg errungen, genau das auch nicht tun zu müssen. Sie sind im Mainstream präsent und nutzen ihre Popularität, um ihn zu parodieren, zu zerstören. Ein Stück weit mögen sie sich mit der so konstruierten Meta-Ebene auch aus der Affäre ziehen, doch Teile des neuen Albums sind, grob gesagt, großer Mist.
Wenn in "Sprit N' Soda" ein penetrant destruktiver Achtelbeat den darunter begrabenen Liebreiz erbarmungslos zukleistert, erfüllt das zwar einen Zweck (nämlich mit dem Wrecking Ball in die ach so perfekte Poplandschaft zu trümmern), bleibt aber trotzdem unhörbar. Wenn in "SUPERFUNKYPARTYTIME" hyperventilierende Teenie-Gangshouts nach "Party! Party! Party!" verlangen, unterwandert das erfolgreich herkömmliche Songstrukturen, beweist allerdings auch deren Sinn.
Mit solcherlei Experimenten wagen sich Bilderbuch bisweilen etwas zu weit in fremdes Terrain: Wenn Moneyboy, der seine ganze Karriere auf Kaputtheit aufgebaut hat, kaputte Lo-Fi-Drinks sippt, ist das eine Sache. Wenn Bilderbuch das tun, eine ganz andere. Sie können mit "Frinks" (free drinks; "Sneakers4free") um sich werfen so viel sie wollen, schlussendlich stellt sich die Frage, ob sie bei aller Forcierung ihrer "Scheiß' auf Konventionen, Maximum Entlarvung!"-Attitüde nicht manchmal die Grenze zu genau der Unechtheit überschreiten, die sie eigentlich kritisieren wollen.
Trotzdem ist das nur eine Seite des "Magic Life"-All-Inclusive-Clubs, der modernen Pop mal eben aus den Angeln hebt. Sie ist vielleicht das Kind am Nachbartisch, das immer mal wieder in den Soßenteller patscht und das Sommerkleid versaut. Es nervt tierisch, aber mit der Zeit lernt man es der Gesamterfahrung zuliebe halt doch irgendwie dulden. Vielleicht trägt es sogar zur Wahrnehmung der übrigen Angebote bei. Bleibt man nur lange genug dran, kann man in einigen der Soßenflecken sogar kleine Kunstwerke ausmachen.
"I <3 Stress" muss erst einige Male unzugänglich vor sich hin wabern, bevor einem klar wird, wie genial das vermeintliche Störgeräusch Tröte in der Songmitte den Grooveinitiator spielt. Plötzlich ist sie wieder da, die Erhabenheit eines "OM". Wenn auch hervorgerufen durch eine völlig andere Herangehensweise. Denn während "OM" sich regelrecht anschmiegt, ist "I <3 Stress" erst einmal wenig mehr als ein sperriger Klotz im Raum. Man weiß nicht so recht, was man denn nun damit anfangen soll. Bis man merkt, dass man sich an den vermeintlich glatten Kanten super festhalten und herumturnen kann.
Der Gegenentwurf zu Stress und Chaos kommt in Form des direkt anschließenden "Sweetlove". Maurice singt von Liebe und beginnt, eng umschlungen mit Kollege Mizzy zu tanzen: Gitarre und Vocals umkreisen sich, necken sich, liebkosen sich, nibbeln am Ohr des anderen und blenden knappe drei Minuten alles und jeden um sie herum aus. Genug der Extrovertiertheit, jetzt wirds intim.
Das steht der sonst gerne als bunte Gockel auftretenden Truppe erstaunlich gut. Jedenfalls deutlich besser, als mit aufgedrehter Trap-Maschine Hipster-Partys crashen zu wollen und dabei versehentlich Teil des Ganzen zu werden.
"Baba" schlägt in eine ganz ähnliche Kerbe und gibt der trauten Zweisamkeit einen Namen. Wenn Maurice seine Mädels schon nicht mit dem bis auf die Hook doch eher lauwarmen "Erzähl Deinen Mädels Ich Bin Wieder In Der Stadt" rumkriegt, dann dafür ganz sicher mit dieser Ode an Monika. Allerdings: Wenn er mit ihnen so umspringt wie mit dem Lied, wird er wohl viele enttäuscht aus dem Zimmer begleiten müssen. Leider haftet "Baba" nämlich ein Problem an, das sich öfter auf "Magic Life" blicken lässt: Es wirkt wie ein Fragment, das nicht zu Ende gedacht ist, wie ein himmlisches Vorspiel ohne Höhepunkt.
Wobei: So stimmt das nicht ganz. Denn auch wenn die Songs bisweilen auf den letzten Metern schlapp machen, überzeugt einer durchgehend: Gitarrist Mizzy. Der gebraucht seine effektbeladene Klampfe mittlerweile zwar mehr als Synthie denn als Gitarre, stellt dabei aber noch eindrucksvoller als früher unter Beweis, wie eigensinnig genial sein Stil ist. Seinetwegen lässt man sich gefallen, dass ein Viertel der zwölfteiligen Tracklist ("Carpe Diem", "Baba Pt. 2", "Magic Life") nichts weiter als mehrsekündige Interludes darstellt, Er haut Riffs, Leads und Soli raus, die für sich gesehen kleine Schmuckstücke darstellen ("Baba", "Bungalow", "SUPERFUNKYPARTYTIME").
Damit ist es wohl Zeit, endlich auf "Bungalow" zu sprechen zu kommen, den Song, der sich schon beim ersten Durchlauf als übermächtige Hook-Schleuder herauskristallisiert. Hiermit legitimieren Bilderbuch sämtliche Wundertüten, die sie sonst so auf "Magic Life" drapieren. Progressivität darf einmal außen vor bleiben, stattdessen perfektioniert die Band gewohnte Trademarks. Lässige Drums, funky Gitarre, dominanter Bass, und Maurice gibt den Candyboy. Ist man den Strophenohrwurm endlich los, kriecht der Refrain heran und erinnert: "Mama kocht für mich und dich." Also hiergeblieben. Hat man aufgegessen, kommt der Akkulader. Die deutsche Sprache kann so schön und sexy sein.
Bilderbuch wären nicht Bilderbuch, wenn sie nicht auch in diesem perfekten Popsong unerwartet agieren würden. Diesmal geht der Bruch auf: Mizzy serviert den Song im Song, alle trinken Soda und sind happy. Ja, vielleicht hat "Magic Life" nur diesen einen richtigen Hit. Doch ehrlich gesagt: Wer "Bungalow" hat, braucht keinen weiteren. Wem die Nummer tatsächlich ob des bekannten Grundrezepts zu wenig Neuland bietet, dem liefern Maurice, Mizzy, Pille und Peter schließlich reichlich emanzipatorischen Shit im Umfeld.
Leute, die tatsächlich jeden einzelnen Track des Albums bedingungslos abfeiern, wird es ohnehin wohl kaum geben. Den einen ist der aufdringliche Sägebeat von "Sprit N' Soda" zu trashig, den anderen "Bungalow" zu vorhersehbar. Wieder andere hassen das unhandliche Hektikmonument "I <3 Stress" und gehen auf in den warmen Gitarrenidyllen und Maurice-Schmeicheleien von "Baba".
Egal was "Magic Life" letztendlich sonst noch ist, es ist vor allem ein Befreiungsschlag: gegen Konvention, Kommerz und Erwartung. Ohne jedoch die jeweilige Tür komplett zuzuschlagen. Bilderbuch erhalten sich Zugang zu einer Szene, deren Restriktionen sie sich nicht unterwerfen müssen. Das macht sie zur aktuell künstlerisch wichtigsten Band deutschsprachiger Musik und "Magic Life" zu einem für sie extrem wichtigen Album. Es ist vielleicht nicht alles darauf magisch, verzaubern tut es trotzdem.
13 Kommentare mit 13 Antworten
das cover ist ultragut.
Ich finde, dass "Investment 7" hier eindeutig zu kurz kommt - der Songs ist meiner Meinung nach sehr fesch. Eingängig, poppig aber doch sehr speziell - mein Lieblingssong auf dem Album.
Wenn das trollig ist: Immerhin gut recherchiert, das Wort fesch würde der Bilderbuch-Sänger meinem Vernehmen nach auch zur Beschreibung von "Investment 7" nutzen.
Falls es sich doch um den Wahrhaftigen handelt: Ich bin der Amphi-Randalierer mit Presseausweis, der eurem Gitarristen vor 3 Jahren auf'm Mannheimer Maifield Derby nachts im kleinen Zelt während so ner Ami-Hardcore-Truppe gesteckt hat, dass wenn ihr ein ganzes Album im Stil der Feinste Seide EP aufnehmt, euch genau das passieren wird, was letztlich mit Schick Schock eingetreten ist. Dabei war ich allerdings zu aufgedreht, um ihm auch mal meinen spliff rüber zu reichen, also sorry dafür.
Ein "Danke" für die Bekräftigung fänd ich fesch.
Also ich bin mir ziemlich sicher, dass die Band Besseres zu tun hat als am Releasetag ihres neuen Albums oder zu irgendeinem anderen Zeitpunkt im laut Forum rumzulungern, zumindest hoffe ich das für die
„Fesch“ ist doch jetzt nicht so ein ausgefallenes Wort, meines Wissens wird das im Österreichischen andauernd verwendet oder ansonsten auch von Theaterwissenschaftstudenten.
Ich fänd's smoother, wenn mir nicht jedes (zugegebenermaßen kleine) Trittbrett für ne reale Geschichte aus meinem Leben gleich im nächsten Kommentar unter den Füßen weg gezogen würde...
...und der Maurice Ernst, den ich kennengelernt habe, ist genau so ein Schelm, der sich nach nem entspannten Interview auch am Tag der VÖ seiner eigenen Platte noch schnell bei der Seite des Interviewenden anmelden würde, um sein Werk wohlwollend zu kommentieren. Passt zu seinem zunehmend aufgepumpten (Künstler-)Ego, welches DIESEN Ledermantel vor 4 Jahren noch nicht so gut ausgefüllt hätte
Objektiv gesehen zwar immer noch ziemlicher Stuss, aber von den popkulturellen Zitaten her, die hier nun endgültig den Vogel abschießen, witzig.
Ich hätte mir ein Schick Schock 2 erhofft, also in dem Style wie Schick Schock 1. Jeder Song der ersten Platte ist einfach nur grandios und richtig gut. Von dem neuen Album Magic Life bin ich nicht ganz überzeugt worden. Auf der Platte ist einfach viel Trash.
Meine Favoriten von Magic Life:
Bungalow, Sprit n´Soda und I ♥ Stress
Meine Favoriten von Schick Schock:
Alle Songs
Hmm, gerade das angeblich so unhörbare Sprit n' Soda mag ich sehr, während mir Investment 7 auf der Platte eher zu lang kommt. Wirkt auch insgesamt gar nicht so sperrig oder zwangsläufig ironisch/trashig auf mich das Album, wie es ja nicht nur in dieser, trotzdem schön geschriebenen, Rezi behauptet wird. Gut, minus diese Partytime, das ist natürlich kagge.
Meine Favoritos (ich mach mit!): Sweetlove, Sprit n' Soda & Baba
Boar ist das schlecht! Also wirklich, die haben NICHTS zu sagen und die Instrumentierung gibt es so auch schon tausendfach.