laut.de-Kritik
Das Wunderkind ist tot, es lebe der geniale Songwriter.
Review von Matthias Manthe"Getting rid of the old feelings": Eindeutiger könnten die ersten Worte das Leitmotiv von "Cassagada" gar nicht formulieren. Der gefeierte spokesman of a disorientated generation hat endgültig genug von Tristesse und Selbstzweifel. Schon "I'm Wide Awake, It's Morning" brach mit der alten Weltsicht, die Liebe zog Oberst damals aus dem emotionalen Abgrund. Nun verabreicht sich der Bright Eyes-Kopf das nächste Antidepressivum. Einer der hervorragendsten Songschreiber unserer Zeit baut sich vor jedermanns Augen selbst neu zusammen.
Es ist ein festes Vertrauen auf eine ewige Balance zwischen Schwarz und Weiß, das ihn nicht länger mit sich und seiner Umwelt hadern lässt. Ist der Mann mit 27 zum Relativisten geworden? Vorzeitig altersweise und genügsam gar? Textzeilen wie "Better find yourself a place to level out" oder "Everything it must belong somewhere" mögen ein solches Bild zeichnen. In wieweit hier noch eine ironische Brechung vorliegt, lassen die Lyrics interessanterweise offen.
Greifbarer gibt sich der aktuelle Oberst in musikalischer Hinsicht. War es bis in die "Lifted"-Periode hinein dieses Gefangensein in der eigenen Trauer und Wut, das in der brüchigen Stimme und den Stream-of-Consciousness-Geschichten das passende Äquivalent fand, will ein neues Ich auch musikalisch neu unterfüttert werden. Resultat: Lo-Fi ist Geschichte. Stattdessen: Orchester. Flöten. Klaviere. Streicher, Streicher, nochmals Streicher. Und die längste Liste an Bright Eyes-Mitmusikanten ever.
Satter, häufig mehrstimmiger Bandsound ersetzt die narzisstische Ein-Mann-Reduktion. Das sechste Album versammelt euphorische Uptempi, "Digital Ash"-Reminiszenzen und zuckrigen Schlager erstmals ohne ein einheitliches Klangkonzept. Nur die unbeirrbare Zuversicht in den Lauf der Dinge verbindet. Was mancher bedauern mag: Jene unmittelbare Intimität früherer Tage geht im Pomp verloren. Seine persönliche Lichtung im Dschungel der Negationen gefunden zu haben, sollte Oberst aber sicher nicht verübelt werden. Das Folk-Wunderkind ist tot, es lebe der geniale Songwriter.
106 Kommentare
"Clairaudients (Kill or Be Killed)"
"Four Winds"
"If the Brakeman Turns My Way"
"Hot Knives"
"Make a Plan to Love Me"
"Soul Singer in a Session Band"
"Classic Cars"
"Middleman"
"Cleanse Song"
"No One Would Riot for Less"
"Coat Check Dream Song"
"I Must Belong Somewhere"
"Lime Tree"
Am 9.4. draußen.
Ein weiteres Meistwerwerk von Conor??
Hier (http://www.saddle-creek.com/cassadaga/) gibt es schonmal "Four Winds" und "No One Would Riot for Less" zum herunterladen. Beide gefallen mir schonmal sehr gut. Da wird schon wieder was Gutes bei rumkommen.
frühlings-/sommerplatte 07...
soooo toll
Tatsächlich. Monatelanges "Schweigen im Wald" hat ein so tolles Album wirklich nicht verdient. Ich habs gekauft, einige male gehört, fands toll und habs wieder weggepackt. Dass Bright Eyes auf orchestralen Pop machen, stört mich überhaupt nicht, aber ich muss zugeben: Was "Ein Beitrag"-User karmaocean schreibt ist vielleicht unbedacht und verkürzt, trifft aber Wort für Wort meine eigene spontane Reaktion auf die Platte. Hat nur nix mit der - wie gesagt - tollen Musik zu tun.
Ich mag "Lime Tree" und "Middleman" am Liebsten.
Jetzt halt ich mich raus.