laut.de-Kritik
Für eine enge Bindung - in guten wie in schlechten Zeiten.
Review von Vicky ButscherConor Oberst gilt als das neue Wunderkind des Pop. Und das, nachdem er schon vier Alben auf den Markt gebracht hat. Doch warum gerade er? Warum gerade seine Band Bright Eyes und nicht eines seiner anderen Projekte?
Die großen Musikmagazine überschlagen sich, ziehen Parallelen zum jungen Dylan (immerhin ist Conor auch sehr jung, gerade mal 24). Doch all der Aufruhr nur, weil ein relativ junger Mann das wiederholt, was ein inzwischen alt gewordener einmal vollbracht hat?
Nein, Conor Oberst hat mit "I'm Wide Awake It's Morning" kein Folk-Album eines einsamen Mannes mit seiner Gitarre aufgenommen. So einfach macht er es sich nicht. Er, der einst ein Künstlerkollektiv um das Label Saddle Creek im Nirgendwo (Omaha, Nebraska) scharte, gäbe sich nun kaum mit einem solch einfachen Album zufrieden. Um so geradlinige Musik zu erreichen wie sie auf "I'm Wide Awake ..." zu hören ist, hat er sich eine lange Liste an Gastmusikern eingeladen, ohne die er eben nicht Bright Eyes, sondern einfach Conor wäre.
Wie das parallel erscheinende "Digital Ash in a Digital Urn" beginnt auch dieses Album wenig eingängig. Genau genommen beginnt es mit Stille, in die hinein Conor eine traurige Geschichte erzählt. Reibungslos entwickelt er den Übergang zum Song. Die ersten Stücke der Platte halten sich in einem relativ einfachen Schema, in dem die Gitarre und der Erzählstil von Conors Vocals dominieren. Trotz der wenig heiteren Geschichte, die er an den Anfang stellt, zeigt das Album einen anderen Ton als der fast schon suizidale Vorgänger "Lifted ...".
Auf einem Walzer-esken 3/4-Takt schwingt "We Are Nowhere And It's Now", Emmylou Harris' Gesang gibt dem Stück Country-Flair. Die Songs der Bright Eyes wenden sich hier auch der hellen Seite zu, ohne dass die Band ihr schmachtend-schattiges Profil komplett aufgibt. Exemplarisch demonstriert das die sehr vorsichtige, zurückhaltende Single-Auskopplung "Lua". Sie fühlt sich an, als taste man sich auf Zehenspitzen behutsam durch ein dunkles Haus, um den Liebsten ja nicht zu wecken. Auch der "Old Soul Song" mit seinen getragenen Bläsern und dem Conor-typischen, verzweifelten Gesang (bei dem er sich Verstärkung von der in Sachen Melancholie bewanderten Maria Taylor holt) bringt die Bestätigung, dass die Bright Eyes ihre warme Melancholie nicht verloren haben. Der Hörer kann auch auf diesem Album in sich selbst versinken.
Doch nicht nur musikalisch zeigt der junge Musiker sich weise: "What was normal in the evening/By the morning seems insane", scheint er direkt aus der Gefühlswelt des Hörers zu erzählen. "The reasons all have run away/But the feeling never did", vertont er mit "Lua" die Verzweiflung dunkler Stunden. "So if you ask to fight a war that's over nothing/It's best to join the side that's gonna win", prangert Conor Oberst in "Road To Joy" sowohl die bigotte amerikanische Gesellschaft, als auch ihre unfähige und unfaire Regierung an.
So leise, wie das Album begann, so fulminant gebärt sich sein Abgang. Geschickt und doch offensichtlich stricken die Bright Eyes Beethovens 9. Symphonie (bzw. "Freude Schöner Götterfunken") in "Road To Joy" hinein. Treibend schlagen die Drums, fordernd setzt ein immer größer werdendes Orchester ein. All das mündet nach Conors Aufruf "Let's fuck it up boys - make some noise" in einen großartigen musikalischen Orgasmus.
Mit ihren Songs bewegen die Bright Eyes den Hörer. Sie schaffen musikalisch und inhaltlich ein Spektrum, das - möglicherweise - das eigene Gefühlsleben widerspiegelt. "I'm Wide Awake It's Morning" bietet dem Hörer eine Projektionsfläche. Ehe man sich versieht, ist man mit dem Album eine enge Bindung eingegangen - in guten wie in schlechten Zeiten.
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