laut.de-Kritik
Der Boss hält seinem Heimatland den Spiegel vor Augen.
Review von Kai ButterweckIm Jahr 1975 prangt das Gesicht von Bruce Springsteen erstmals auf den Titelseiten des Time-Magazins und von Newsweek. Mit dem opulenten Bombast-Sound von "Born To Run" katapultiert sich der 24-jährige Sohn eines cholerischen Alkoholikers und einer gläubigen Katholikin praktisch über Nacht ins Rampenlicht. Während die Dollars fließen und die E-Street-Kumpanen ordentlich auf den Putz hauen, zieht sich der Boss lieber mit etlichen sorgfältig archivierten Reviews in seine vier Wände zurück und grübelt über das Leben nach. Trotz vieler elementarer Zweifel ist Bruce Springsteen zu dieser Zeit ein glücklicher Mann.
Drei Jahre später präsentiert sich der Songwriter wie ausgewechselt. Nach einem zweijährigen Rechtsstreit mit seinem Manager Mike Appell, der Springsteen nicht nur der Möglichkeit beraubt, neue Songs aufzunehmen, sondern zeitgleich auch dafür sorgt, dass im Privatleben des Sängers alles drunter und drüber geht, ist aus dem lächelnden Shootingstar ein verletzter und zorniger junger Mann geworden.
Als der Sänger im Sommer 1977 endlich grünes Licht vom Gericht bekommt, stapeln sich weit über 60 Songs auf seinem Tisch – Songs, eines Mannes, der mehr denn je auf der Suche nach seinem Platz im Leben ist. Immer noch orientierungslos und irritiert vom Erfolg des Vorgängeralbums, sortiert er aus. Dabei wandert eine Vielzahl von Liedern auf den Tischen anderer Künstler, wie beispielsweise dem von Patti Smith, die sich mit "Because The Night" eine goldene Nase verdient.
Zusammen mit seinem Produzenten John Landau entscheidet sich Bruce Springsteen schließlich für zehn Tracks, die unter dem "Darkness On The Edge Of Town"-Banner eine nicht nur inhaltlich, sondern auch musikalisch neue Ausrichtung offenbaren. Der "Born To Run"-Wall Of Sound weicht einer differenzierteren Struktur, die jedem einzelnen E-Street-Mitglied eine völlig neue Präsentationsfläche ermöglicht. Der Background dankt es den beiden Verantwortlichen mit musikhistorischen Einwürfen, die jeden Roots-Rock-Liebhaber auch heute noch in ihren Bann ziehen.
So duellieren sich Drummer Max Weinberg und die aus Danny Frederici und Roy Bittan bestehende Tastaturabteilung auf Songs wie der eröffnenden Ode "Badlands" und dem treibenden "Candy's Room" auf allerhöchstem Niveau, während Clarence Clemons einige seiner unvergessenen Background- und Saxofon-Arbeiten abliefert.
An vorderster Front zieht der Boss die Strippen. Mit der zerkratzten Telecaster in der Hand zieht er dem amerikanischen Traum das Fell über die Ohren und stellt sich schützend vor die hungernde Arbeiterklasse ("Factory").
Die düstere Ballade "Something In The Night" steht symptomatisch für Springsteens Frust über die Zustände vor den meterhohen Zäunen der Oberschicht. "You're born with nothing/And better off that way/Soon as you've got something they send someone to try and take it away": Mit zusammengezogenen Augenbrauen hält der Boss seinem Heimatland den Spiegel vor Augen.
Zerplatzte Träume, geschundene Seelen und Gesichter, gebrandmarkt von Leid und Tragik, schließen sich Springsteens Protest-Fahrt an. Der 69er Chevi röhrt auf dem Highway, während sich melancholische Verzweiflung, eingehüllt in ergreifende Melodieläufe aus dem klapprigen Autoradio schält ("Racing In The Street", "Streets Of Fire").
Doch da ist auch der Glaube an bessere Zeiten. Der Wille ebnet den Weg, und so bleibt die Hoffnung auf erlösende Selbstfindung ("The Promised Land") ebenso fest verwurzelt, wie das Vertrauen in erfüllte Zweisamkeit ("Prove It All Night").
Am Ende legt sich ein großer Schatten über alles. Mit unbändiger Kraft schleicht die Dunkelheit heran. Während sich Weinbergs Toms zum letzten Mal einer außerordentlichen Qualitätsprüfung unterziehen müssen, holt Roy Bittan seinen finalen Piano-Trumpf aus dem Ärmel. Die Suche endet: "I'll be there on time and i'll pay the cost/For wanting things that can only be found in the Darkness on the Edge of town."
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
16 Kommentare
wirklich tolles album. kann mich nie entscheiden, ob mir nun dieses oder "born to run" besser gefällt.
Na endlich! =)
Da kann ich mich nur anschließen! Eine ganz tolle Platte!
@Olsen
Geht mir genauso...:D
Haette auch mit Born In The Usa oder Born To Run gerechnet. Schoen dass laut.de auch mal die "Kleineren Alben aufleben laesst. Wobei mir Daydream Nation natuerlich mehr zugesagt haette *hust*
Wie wäre es als nächstes mit Welcome to Hell von Venom? Von mir aus auch ansonsten die Black Metal...
Alle reden immer über Darkness..., Born to Run, Born in the USA und The River. Meiner meinung nach ist das beste Springsteen Album Greetings from Asbury Park,NJ. Die besten Texte und Melodien die er Je geschrieben hat. Greetings ist eines der Besten debüt Alben überhaupt.