laut.de-Kritik

Niemand mutiert schneller als Sosa.

Review von

Chief Keef ist ein Typ, den man grundsätzlich gewinnen sehen möchte. Immerhin hat der Junge mit sechzehn quasi den Blueprint der letzten zehn Jahre Hip Hop geschaffen, eine ganze Generation Trap beeinflusst und Drill erfunden. Und nach "Finally Rich" ist er immer noch dagewesen und hat zunehmend verrückte, geradezu experimentelle Mixtapes und Alben gemacht, die den Radius der Weirdness in diesem Genre weiter gepusht haben.

Eines dieser Mixtapes hieß "Almighty So". Das wurde damals 2013 von DJ Scream gehostet, klingt wie mit einem Call Of Duty-Headset aufgenommen, und gefühlt jeder Song endet einfach abrupt, als hätte man mit Audacity den Fadeout irgendwo abgeschnitten. Es ist ein sehr roughes Tape, das aber genau deswegen diese legendär derbe, druffige Ignoranz perfektioniert hat. Es sind hingeschissene Tracks, die sich in der Arroganz sonnen dürfen, dass das Hinscheißen funktioniert. Laughing to the bank. Aber was will man sagen? Das ist wie auf alten Guwop-Tapes, alles Teil des Charmes.

Die Idee eines zweiten Teils für "Almighty So" steht schon lange im Raum. Sehr lange, sogar. Es ist eins von diesen quasi-mythischen Projekten, an denen der Artist schon ewig sitzt, noch ein bisschen vor "Detox", aber über der Wartedauer von "Eternal Atake" oder "Whole Lotta Red". Wie kann das eigentlich sein? Wie kann ein Tape gut werden, das fünf Jahre nach der Inspiration von etwas sucht, das klingt, als wäre es schneller hingeschissen als die ganze Spieldauer laufen würde? "Almighty So 2" zeigt: Wir hatten stets alles Recht zu glauben. Keef war lange nicht so gut wie gerade.

Eigentlich hätten wir es wissen müssen, als er vor ein paar Monaten mit Mike Will Made It schon ein ziemlich randalierendes Tape namens "Dirty Nachos" veröffentlicht hat. Aber "Almighty So 2" ist nicht einfach nur "hier ein paar Beats, hier ein paar Parts": Keef sitzt bis auf einen Track komplett auch als Producer hinter den Reglern und auf über einer Stunde Spielzeit zeigt er, dass er verdammt zielsicher und klug kuratieren kann.

"Almighty So 2" versucht nicht, so zu tun, als wäre er noch ein querköpfiger Teenager, dem das alles im Halbschlaf ins Mikrofon fällt. Aber es würdigt seine Ästhetik von damals und baut sie vorsichtig nach. Vorsichtig im Sinne davon, dass es total viel Spaß mit dem Format alter Mixtapes hat, mit der Roughess, mit den Skits, dem Geballer, aber gekonnt viele Elemente hochlevelt. Das Mixing ist ... erschreckend gut, die Songs sind regelrecht strukturiert, alles wird cleaner, ohne die ursprüngliche Roughness zu verlieren.

Und eine Menge Songs hier hauen komplett rein. "Neph Nem", "Too Trim" und "Tony Montana Flow" sind ganz klassische Chi-Drill-Bretter. Sosas Produzenten-Trademark ist es, diese super-melodramatischen Loops mit so vielen ratternden Plastikdrums zu untermauern, am besten dann noch zwei Vocalschnipsel gleichzeitig an jede Stelle ohne Vocals, drei Layers Adlibs, bis wirklich kein Mensch mehr steht. Snare-Rolls fände man in konventionellen Trap-Beats vielleicht zweimal pro Part als Rampe. Auf diesem Album läuft eine Snare-Roll gerne mal kontinuierlich durch zwei Parts durch. Es hat diesen Maschinengewehr-Sound, aber auch diesen Fruity Loops-Plastik-Swag.

So entsteht bei Keef sein ganz eigener, bizarrer Camp: Die Loops samplen die düstersten Gewitterwolken, O Fortuna zu Songs darüber, wer seinen Schwanz lutscht, dann Drums, die in ihrem Tempo und ihrer Aufgekratztheit Vietkong-Flashbacks auslösen könnten, würden sie nicht ein bisschen wie Producer-Software-Demo-Files klingen. Aber es kommt auch hier wieder alles zusammen – denn was früher einfach Ignoranz und Notwendigkeit war, setzt Chief Keef heute bewusst für den Sound ein. Es ist fast ein bisschen nostalgisch.

Aber der große Sell an "Almighty So 2" ist, dass es Songs gibt, die mit dieser Formel weit über klassische Chi-Drill-Banger hinausgehen. "Jesus" mit Lil Gnar klingt, als würde eine christliche Messe von Space-Piraten attackiert. "Banded Up" holt sich eine unerwartet blutrünstige Tierra Whack als Feature, einen Track später hält Sexyy Red die Messlatte oben.

Hier kommt dann die große Highlight-Serie: "1,2,3" samplet auf altem Kanye-Shit Soul-Samples von Donny Womack gegen sein Snareroll-Armageddon und geht psychotisch aggro darüber. "Drifting Away" kontrastiert das ganze mit psychedelisch-melodischem Trap wie geschaffen für ein Lil Uzi Vert-Feature. Die fast sieben Minuten "Believe" werden sich aber als das große Statement des Albums herauskristallisieren: Sperrig, trippig, irgendwie verträumt, irgendwie hype gleichzeitig passieren auf diesem Song viele Emotionen gleichzeitig.

Die einprägsamste davon ist aber der Stolz. Chief Keef ist tatsächlich erwachsen geworden, ohne den Knacks zu kriegen, den vermutlich jeder andere mit seinem Lebensweg unweigerlich bekommen hätte. Klar, er ist keiner der ganz großen Superstars, aber, wie gesagt: Hip Hop liebt ihn. Wie könnte man ihn nicht lieben? Man würde meinen, all die Artists, die er inspiriert hat, und die, die von denen inspiriert worden sind, hätten ihn lange abgehängt. Aber weder das Genre noch Hip Hop an sich mutieren so schnell wie Chief Keef selber. In seinem seltsamen, kleinen Kopf in seinem trippigen Einsiedlerwinkel in dieser Szene wird er weiter und weiter sein Ding machen. "Almighty So 2" beweist indes, dass wir das Beste dabei eventuell noch gar nicht gesehen haben.

Trackliste

  1. 1. Almighty (Intro)
  2. 2. Neph Nem (feat. Ballout & G Herbo)
  3. 3. Treat Myself
  4. 4. Jesus Skit
  5. 5. Jesus (feat. Lil Gnar)
  6. 6. Too Trim
  7. 7. Runner
  8. 8. Banded Up (feat. Tierra Whack)
  9. 9. Grape Trees (feat. Sexyy Red)
  10. 10. 1,2,3
  11. 11. Drifting Away
  12. 12. Never Fly Here (feat. Quavo)
  13. 13. Prince Charming
  14. 14. Believe
  15. 15. Tony Montana Flow
  16. 16. I'm Tryna Sleep

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