laut.de-Kritik
Ein Fall für die Couch (von Stefan Mross).
Review von Dennis RiegerSeit Januar 2019 sucht ein (im weitesten Sinne) musikalisches Phänomen die hiesigen Breitengrade heim: In der ersten Jahreswoche wirft die Billigbumsbeatschmiede Telamo einen neuesten Tonträger Daniela Alfinitos auf den Markt, auf dessen Cover die Sängerin vor schlecht gephotoshoptem Hintergrund grinst – und erreicht mit ihm Platz 1 der deutschen Albumcharts. Das musikalische Konzept ist denkbar einfach: Zu maximal generischen Kirmesklängen gesellt sich nach wenigen Sekunden der ewiggleiche Stampfbeat, über den die Kalenderspruchqueen Alfinito (dank Reverb gleich mehrfach) von geschäftstüchtigen Textern ausgedachte, sich stets reimende Phrasen absondert. Worum es in den Phrasen geht? Nun ja, das ewig Männliche zieht das lyrische Ich hinan – bis es im folgenden Lied wieder allein dasteht, Giftpfeile gegen den Verflossenen schießt und Durchhalteparolen trällert.
Am bewährten Konzept wird auch auf "Einfach Echt" nicht gerüttelt. Und doch: So manche Zeilen auf dem neuen Opus klingen, so sehr die Vierviertelseligkeit der omnipräsenten fröhlichen Kirmesklänge dagegen anzukämpfen versucht, so passiv-aggressiv, wirr und verdrängend, dass ich es mit einem innovativen Ansatz versuche: Zeit für eine küchenpsychologische Analyse des alfinitoschen Schaffens!
Bereits im Opener und Titeltrack versichert Daniela Alfinito, dass das lyrische Ich mit ihr gleichzusetzen ist: Sie ist eben "einfach echt". Man könnte es sich jetzt einfach machen und davon ausgehen, dass der Titel des Liedes und des Albums auf verquerem Humor der Texteschreiber basiert – "echt" als Codewort für "maximal generisch", in den letzten Jahren auch in der deutschsprachigen Popmusik ein gern in die Tat umgesetzter schlechter Scherz. Zudem klänge "einfach unecht" ja auch doof. Aber ich möchte es mir nicht einfach machen und Frau Alfinito beim Wort nehmen.
Zu Beginn steht sie mit den Worten "Meine Tics und meine Fehler gehör'n zu mir in jedem Moment / Zu 100 Prozent" noch zu all ihrer Unperfektheit – zum ersten und einzigen Mal auf "Einfach Echt". Denn auf allen Folgetracks zeigt sich Frau Alfinito äußerst (!) selbstbewusst und ohne einen Funken Selbstkritik. Der Promotext formuliert es naturgemäß anders, attestiert den Texten, "tiefgründig und emotional wie nie zuvor" zu sein.
Bekanntlich wird das Zentralorgan unseres Blutkreislaufs nicht nur in der Schlagerwelt gern besungen, wenn es um die Liebe geht und alles, was für diese gehalten wird. Doch auf "Einfach Echt" gehen die Texteschreiber noch einen Schritt weiter und personifizieren Alfinitos Herz ständig. Nach – man konnte es erahnen – einer Trennung bleibt das Blutpumporgan "stark und gibt niemals auf", teilt die Sängerin im zweiten Lied mit. Zudem kommt das Herz "mit Schrammen irgendwie davon". Wie muss man sich das anatomisch vorstellen?
In "Nein nicht nochmal" (nein, Kommasetzung gehört nicht zu den Stärken der Damen und Herren im Hause Telamo) projiziert Alfinito ihre eigenen negativen Gefühle gegenüber ihrem Verflossenen abermals auf ihr Herz, das nun "sauer" wäre, wenn es denn nicht (selbstverständlich) längst über den Verlust des nun verabscheuten lyrischen Dus hinweg wäre. Auch ein weiterer Satz hätte unserem Lieblingsseelenklempner Sigmund Freud vermutlich gefallen: "Du hast mich voll überzeugt, dass ich nah am Abgrund stand", trällert Alfinito ungeniert fröhlich – der vielleicht erste interpretationsbedürftige, weil in dermaßen miserablem Deutsch verfasste Satz ihrer Diskografie. Inwiefern besteht eine Verbindung zwischen den beiden Satzteilen? Macht Alfinito ihren Ex dafür verantwortlich, sie nah an den sprichwörtlichen Abgrund gebracht zu haben? Oder überzeugte der Verflossene sie davon, nahe am Abgrund zu stehen? Falls zweitgenannte Interpretation stimmen sollte, wäre dies recht verstörend. Denn dann wäre die sicher gut gemeinte Hilfe ihres Partners, der sie auf ihre negative Situation hinweisen wollte, die Ursache dafür gewesen, ihn zu verlassen. "Nein[,] nicht nochmal" will sie sich offenbar mit so einem Gefühlsheini umgeben und übergibt sich lieber den Kirmesklängen.
Auch in "Das perfekte Chaos" huldigt Alfinito aus unerfindlichen Gründen den Schattenseiten des Lebens, wie es sonst vor allem bei Black-Metal-Kombos Brauch ist. Abermals schlingert sie "immer nah am Abgrund durch unsere Zeit". Doch diesmal ist sie nicht allein, da sie einen neuen Lebensabschnittspartner gefunden hat, der emotional ebenso beschaffen ist wie sie: "In uns tobt der Wahnsinn". Habe ich es nicht gesagt? Damit nicht genug: Mit den Worten "Wir sind das perfekte Chaos, wir sind grenzenlos verrückt", beschreibt Alfinito die neue Beziehung mit ihrem Seelenverwandten, ehe sie sich an einer Verortung des trauten Paares versucht: "Mitten im Inferno" stünden sie – "zum Glück". Ja, ja, der kritische Leser mag argwöhnen, das reime sich nun mal auf "verrückt". Und dennoch: Auch Text von Lied Nummer 4 passt ins (klinische) Bild.
Spätestens in "Felsenfest", wenn Alfinito im bekannten Timbre und mit schlageresker überdeutlicher Aussprache zu fröhlich hüpfenden Synthies die Worte "Die letzte Zeit war echt verrückt, manchmal auch ein Höllentrip in mir / Doch ich bin noch hier" zwitschert, stellt man sich die Frage, ob die gegenseitige Konterkarierung von Musik und Text auf einem etwaigen perfiden Humor der Produzenten Alexs White und Alex Strasser basiert. Balladen scheint es ebenso wie Traurigkeit in Text und Ton in der (semi)musikalischen Welt Daniela Alfinitos nicht zu geben. Balladen zu produzieren, wäre wahrscheinlich auch zu kompliziert und zu teuer. Nicht, dass man noch einen Menschen einstellen müsste, der ein Instrument beherrscht ...
"Auch wenn mein Herz in Scherben liegt" steht wieder ganz im Zeichen des Zweckoptimismus und indirekt der zwanghaften Verdrängung. "Dass der Typ mein Herz belügt / Das macht mich nur stärker", lässt uns Alfinito wissen – und bemerkt offenbar den Widerspruch zur folgenden Textzeile nicht: "Auch wenn es mich verletzt." Verletzungen scheinen Frau Alfinito grundsätzlich noch stärker zu machen: "Und ich sag zu mir: Jetzt erst recht!"
In "Du und ich", wahlweise der lyrische Tief- oder (Trash)Höhepunkt des Albums, gewährt Alfinito einen Einblick in ihre offenbar recht ausgeprägte Beziehung zum Leibhaftigen: "Ich hab den Teufel gesehen und hab dabei an dich gedacht" – was für Frau Alfinito offenbar ein Kompliment darstellt. Offenbar hielt sie mit dem Höllenfürsten ein Pläuschchen über ihren nächsten, bereits ausgeguckten Lover: "Er hat gesagt, du bist öfter hier. / Fragst nach einem neuen Revier." Nicht nur Alfinitos Metaphorik gegenüber ihren Verflossenen lässt auf eine nicht sehr gesunde Beziehungsethik schließen. Auch gegenüber potentiellen zukünftigen Liebhabern äußert sie sich recht drastisch: "Irgendwann verbrennst du dich! / Der Tag wird kommen, denk an mich!". Sie verfährt nach dem guten alten YOLO-Prinzip. Um es in den Worten ihrer Texteschreiber zu formulieren: "Irgendwann sind wir im Universum verlor'n."
"Nach jeder Nacht hab ich dir neu vertraut", berichtet Alfinito in "Das passiert mir nicht nochmal". Was nach jeder Nacht passierte, teilt sie nicht mit. Legte sich das lyrische Du in fremde Betten? Ist ihm die Hand "ausgerutscht"? Im Refrain widerlegt die Schlagersängerin jedenfalls den Liedtitel und offenbart, dass sie "mit jedem Kuss von dir gegen [sich] verloren" habe. Eine Ode an die toxische Männlichkeit, die vergangenes Unrecht einfach wegküsst? Unklar. Auf jeden Fall einmal mehr eine Ode an die eigene Unentschlossenheit respektive Dummheit. Für Frau Alfinito steht dennoch fest: "Ich will nur die wahre Liebe."
In "Eine vergisst, Einer vermisst" freut sich Frau Alfinito darüber, dass "gerade DU es bist, der jetzt bereut und traurig ist". Um so bemerkenswerter, dass die "vergessende" Sängerin dennoch in fast jedem der 15 vorliegenden Songs ihres Albums ihren Ex zum lyrischen Mittelpunkt macht.
Eine vergleichsweise messerscharfe Selbstbeschreibung liefert Alfinito in "Ich geb alles": "Selbstbewusst und gnadenlos" sei sie. Daran dürften angesichts der vorherigen zwölf Songs keine Hörer mehr zweifeln. "Und narzisstisch" hätte sie noch anfügen können. Dafür scheint ihr aber wiederum der Narzissmus (und wohl auch das eingeschränkte Vokabular ihrer Texteschreiber) im Weg zu stehen.
Einen lyrischen Ausbruch aus dem ewiggleichen Schema wagt Alfinito im vorletzten Lied "Für jeden Moment", in dem sie ihren Fans in Worten dankt, wie sie auch ihrem Vater Bernd und ihrem Onkel Karl-Heinz nicht noch schleimiger über die Lippen gekommen wären: "Mein Traum, der wurde Wahrheit. Ihr seid der Grund dafür." Ein Schelm, wem auffällt, dass sie den Text im selben Timbre runterrattert wie ihre nur schlecht übertünchten Hassbotschaften an ihre ehemaligen ... ähm ... innig Geliebten! Aber man nimmt es Frau Alfinito nicht übel, da ihr Stimmumfang ohnehin weniger als eine halbe Oktave zu umfassen scheint.
Im abschließenden, obligatorischen "Hitmix 2024", von dem wohl auch jede Dorfdisko im Erzgebirge aus Pietät gegenüber der Kundschaft die Finger lassen wird, werden die Refrains der wahrscheinlichsten Piratenschlagersenderplaylistkandidaten nochmals lieblos aneinandergereiht – was einem angesichts des identischen Aufbaus aller 15 Lieder gar nicht auffallen würde, hätte man sich nicht durch die vorherigen 14 gequält. Die ganze Selbstgerechtigkeit und Kritikresistenz wird da zusammen mit den Verdrängungsphrasen noch mal auf fünfeinhalb Minuten runtergebrochen.
Auf YouTube zeigen sich bereits Spaßvögel und/oder Bots mit Einzeilern, Smileys und ganz vielen Herzchen begeistert vom neuesten Opus aus der Telamo-Schmiede – nicht nur in deutscher Sprache, sondern auch auf Französisch und Koreanisch. Stehen nun Konzerte in Paris und Seoul für Alfinito an? Ich bezweifle es. Wahrscheinlicher sind Besuche in den deutschen Albumcharts, im ZDF-Fernsehgarten und auf der Couch – der von Stefan Mross in seinem Dauerbrenner "Immer wieder sonntags". Auf welcher Couch denn sonst?
8 Kommentare mit 11 Antworten
Einfach Schlecht
War auch mein erster Gedanke
Einfach überragend
Musik für Leute, die sagen: "Der hat ja noch nie richtig gearbeitet."
Blickt man auf die Politiker von den Grünen und der SPD, muss dieser Satz aber einfach fallen.
Troll woanders
Gummibernd bepropsen, die Skrotumtasche mit Missachtung strafen.
Skrotumtasche = 1 weitere nice Paraphrase dieses herrlichen Nicks, I like!
btw schön, dich mal wieder zu lesen, Tool!
Wie wär's mit Klötenränzel?
Hat viel Schönes, aber zu viele Punkte nach meinem Geschmack. Dann lieber -ranzen
Testikeltornister fand ich ja auch noch schmuck.
Klötenränzel wäre toller Name für eine Metalband.
Hat jemand was mit vergenusswurzeln gesagt?
Ich bekenne, es ist nicht meine Musik. Aber allein deshalb, weil diese starke Frau einen wirklich harten Broterwerbsjob hat, der obendrein wirklich wichtig für die Gesellschaft ist, höre ich mir ihre Alben an – vom ersten bis zum letzten Lied (samt hidden track). Ich bin zwar auch immer nicht traurig, wenn die Platte an ihr letztes Lied kommt, aber Frau Albinito gebührt schlichtweg Respekt. Deswegen strikter Hörbefehl!
Ich klatsch lieber vom Balkon.
Befehl verweigert Herr Obersturmbannführer!
Ist der Schmetterling wirklich echt?!?
Einfach Scheisse.