26. Juli 2016

"Deine Mutter reimt sich nicht!"

Interview geführt von

Degenhardt und die Kamikazes erzählen vom "Krahter", außerdem von rasanten Kennenlernprozessen, kollidierenden Arbeitsweisen und Fan-Lagern, kleinkriminellen Sample-Praktiken und der großen Verachtung gegenüber Themensongs.

In ihren ergebenen Fan-Kreisen hat es sich längst herumgesprochen: Die letzten Lover machen gemeinsame Sache. Am 12. August erscheint als Ergebnis der Kollaboration eine neun Tracks starke EP. Ich muss also gar keinen Grund an den Haaren herbeiziehen, um (schon wieder) mit Degenhardt auf einem Sofa zu landen. Statt dessen krieg' ich den Anlass in Form von "Krahter" auf dem Silbertablett kredenzt - und die Kamikazes, die Gebrüder Antagonist und Mythos, als Sahnehäubchen obendrauf:

Ich unterhalte mich offenbar nur noch mit Leuten, die mir Prezident zugeführt hat. Degenhardt hat er mir angeschleppt. Ihr seid mir auch in seinem Fahrwasser erstmals untergekommen. Nervt es, immer als sein Anhängsel wahrgenommen zu werden?

Antagonist: Nee. Wir werden irgendwie öfter darauf hingewiesen, als es gefühlt der Fall ist. Es ist eher so, dass Leute uns fragen, ob wir nicht mal ein bisschen weniger Anhängsel sein wollen. Natürlich gesehen ist Viktor unser ältester Freund. Ich hab' angefangen, mit ihm rumzuhängen, da war ich 13 oder 14. Er ist einfach, ohne Indianerehrenwort-Pathos, ein Bruder im Geiste. Wir zu dritt haben eine Form der Wahrnehmung, die uns verbindet. Deswegen ist das eine Außenperspektive, die man erstmal einnehmen muss, um sich dann zu überlegen, ob man Anhängsel sein will oder nicht. Trotzdem sind wir gerade dabei, Schritte einzuleiten, die uns doch ein bisschen unabhängiger machen. Weil es doch erstaunlich ist, dass die Wahrnehmung von außen uns nur in diesem Fahrwasser platziert. Das ist für mich auch nicht gerechtfertigt. Deswegen ein paar einfache Schritte. Trotzdem werden wir immer brothers for life sein. Egal, ob vor oder hinter der Kulisse.

Wie sehen diese Schritte aus?

Antagonist: Wir bauen zum Beispiel 'ne eigene Webseite auf, wollen einen eigenen Shop machen und versuchen gerade auch, uns über dieses Produktions-Ding einen eigenen künstlerischen Stempel zu geben.

Ist es, wenn man gerade auf dem Weg in die Eigenständigkeit ist, schlau, sich gleich wieder ein Kollabo-Projekt an die Backe zu binden?

Antagonist: Nee! Eigentlich nicht. Das ist uns auch bei dem Flyer zum KuRT-Festival aufgefallen, dass es vom Regen in die Traufe gegangen ist, als Degenhardt und Kamikazes nur mit Degenhardts Gesicht angekündigt worden sind. So, wie es uns seit Jahren geht, wenn wir mit Viktor auf Tour sind. Yo, Fehler, ne? (Gelächter) Aber bald, wahrscheinlich Anfang 2017, kommt ja auch unser Album. Dann werden wir auf jeden Fall übel auf die Kacke hauen. Kamikazes, Kamikazes, Kamikazes!

Mythos: Die Idee für unser gemeinsames "Krahter"-Projekt ist mittlerweile auch schon fast zwei Jahre alt. Das war jetzt also nicht so eine "Wir machen jetzt noch schnell ein Kollabo-Projekt"-Aktion. Unabhängig davon schließen sich für mich Eigenständigkeit und Kollabo-Projekt nicht unbedingt aus. Die "Krahter"-EP war auch eine Möglichkeit, uns mal in anderer Richtung auszuprobieren. Gerade, was die Beats angeht, ist da meiner Meinung nach etwas sehr Eigenständiges draus geworden.

Irgendwo hab' ich gelesen, ohne Prezident hätte es die ersten beiden Kamikazes-Alben nicht gegeben.

Antagonist: Das ist wahr, ja, auf jeden Fall. Wir hätten selbst das "Kleiner Vogel"-Album, das ja auch als physischer Release kam, einfach hochgeladen. Es war Viktor, der gesagt hat: "Moment mal. Macht das doch mal richtig." Ich weiß jetzt auch nicht, inwieweit wir ohne Viktor bei unserem Zeug am Ball geblieben wären. Weil Viktor dafür gesorgt hat, dass immer was los war. Wir sind ja eigentlich erst seit letztem Jahr so richtig straight geworden, in dem Sinne, dass wir musikalisch unseren eigenen Film verfolgt haben. Das war ja vorher überhaupt nicht gegeben, weil wir viel zu wenig Musik gemacht haben. Und das wär' wahrscheinlich ohne Viktor und seine Live-Performances überhaupt nicht entstanden. Aber es ist entstanden, jetzt sind wir eigenständig und groß und auch alleine unterwegs.

Er war das organisierende Element?

Antagonist: Schon, auf jeden Fall. Wir waren jetzt gerade noch auf der "Limbus"-Tour. Da muss ich auch mal meinen großen Respekt aussprechen, das hat Viktor fast im Alleingang alles gebookt. Er hat da schon 'ne große Stärke, Sachen auf die Beine zu bringen.

Kriegt ihr euch inzwischen alleine organisiert? Oder muss den Part bei diesem neuen Kollabo-Projekt am Ende Degenhardt übernehmen?

Mythos: Natürlich kriegen wir das auch alleine hin. Die Sache mit der Musik ist aber auch für mich nicht in erster Linie Eigenständigkeit und das Wissen darum, dass ich und nur ich alleine die Credits für etwas bekomme. Zusammenarbeit ist ja auf irgendeine Weise immer notwendig. Gut ist, wenn man sich diesbezüglich auf Freunde verlassen kann, wie es bei uns der Fall ist

Antagonist: (Lacht) Jetzt haben wir ja zum Glück auch Sherin kennen gelernt. Wir hoffen, dass wir da vielleicht auch 'ne weitergehende Zusammenarbeit auf die Beine kriegen. Wir brauchen auf jeden Fall immer - und gerne - Unterstützung. Weil wir selber auch sehr faul sind, was Socialising und Werbungmachen und so angeht. Vielleicht sind wir da ein bisschen überbescheiden, manchmal.

Seid ihr schlecht drin? Habt ihr keinen Bock drauf? Oder seid ihr schlecht drin, weil ihr keinen Bock drauf habt?

Antagonist: Jaaa, wir haben keinen Bock drauf, es zu machen. Aber wir haben Bock drauf, dass es gemacht worden ist. (Gelächter) Zukunft II!

Ah. So wie ich Klavier spielen können will. Lernen will ich es nicht. Ich möchte es können.

Antagonist: Genau. Wir möchten in Berlin gewesen sein.

Klingt, als sei eure Arbeitsweise einigermaßen planlos.

Antagonist: Och, nö. Das würd' ich jetzt so nicht sagen. Vor allem nicht musikalisch gesehen, da sind wir sehr diszipliniert. Wir ziehen die Sachen durch und haben da auch einen Arbeitsrhythmus, bei dem wir uns gegenseitig antreiben. Ich glaube, gerade diese Marketingsache oder auch, überhaupt ein Produkt fertig zu bekommen, das haben wir jetzt in den letzten Jahren gelernt. Dass wir so ein paar Tracks ins Blaue machen, das läuft. Aber es ist ja immer noch 'ne ganz andere Sache, dafür zu sorgen, dass alles in den Master kommt, dass nachher Artwork-mäßig Dinge geschehen ... Wie man sowas macht, lernen wir gerade erst richtig, auch durch die aktuelle EP.

Kann mir vorstellen, dass es bei einer Kollabo organisatorisch noch einmal komplizierter ist, wenn man sich absprechen muss.

Antagonist: Schon, ja.

Degenhardt: Vom Organisatorischen her fand ich es überhaupt nicht kompliziert, sondern genau richtig. Weil es sich komplett aufgeteilt hat. Ich mach' das Artwork, und ... wir haben das jetzt nicht abgesprochen. Klar, wir haben alles bequatscht, aber die Aufteilung hat sich irgendwie zwangsläufig ergeben. Das war dann auch richtig gut. Jeder hat gesagt: Ah, cool. Man konnte das dem anderen dann auch gut überlassen. Ich bin ja ein Kontrollfreak, und, Lukas, denk' ich mal, du auch ...

Antagonist: Hmm. Ja, schon.

Degenhardt: Das hat dann zwangsläufig gut funktioniert. Die Kamis machen die ganze Produktion, Abmischen und so, da wo ich sonst, bei Johnny War Ein Tänzer, selbst viel psychomäßiger drin bin. Das hat gut geklappt. Nur von der künstlerischen Seite musste man mehr kucken. Aber das ist ja auch geil, das macht ja Spaß.

Mythos: Das finde ich auch. Und dazu ist es sehr herausfordernd, weil man bei der Arbeit an den Songs immer mal wieder Vorstellungen und Konzepte, die man sich so für sich alleine ausgedacht hatte, über den Haufen werfen musste, weils den anderen nicht gepasst hat.

Ich stell' es mir gerade bei den Texten schwierig vor. Gerade, weil bei eurem Zeug viel Innenperspektive mit reinspielt, Assoziationsketten, bei denen sich einem Außenstehenden vielleicht nicht unbedingt erschließt, was jeweils genau gemeint ist. Für mich als Hörer ist das nicht schlimm, ich nehm' dann halt den Vibe mit. Oder auch nicht. Aber wenn ich mir vorstelle, mit jemandem zusammen etwas zu veröffentlichen, wo dann auch mein Name draufsteht, will ich vielleicht doch wissen, was der damit eigentlich meint. Stellt sich euch die Frage überhaupt?

Antagonist: Ja. Es gab vor zwei Jahren ein berühmtes Treffen, bei dem wir alle Beatskizzen und Songkonzepte mehr oder weniger festgelegt haben.

Scheiße, ihr arbeitet wirklich seit zwei Jahren an diesem Ding?

Antagonist: Ja, aber es lag einfach sehr lange brach.

So wird das nie was mit dem Mainstreamerfolg.

Degenhardt: So wars ja auch nicht geplant.

Antagonist: Zwischendurch hast du ja auch noch ein Album gemacht ...

Degenhardt: Ihr habt 'ne EP gemacht ...

Antagonist: Wir haben für das "Limbus"-Album viel produziert. Es lief einfach sehr viel nebenher. Das hat dazu geführt, dass die Tracks immer wieder liegen geblieben sind. Am Anfang gabs da eher ein paar assoziative lose Ideen, Beatskizzen und Titel. Ich hab' relativ spät angefangen mit Schreiben, und hatte dann nochmal so ein bisschen ein festeres Konzept für die EP, das dann auf das biografische Ding abzielt. Dass wir die EP aufbauen, nach Sollbruchstellen in einer prototypischen Biografie, in der die Texte dann immer so Live-Zuschaltungen sind. Alles ist gerahmt durch die beiden Instrumental-Tracks, die Geburt und Tod widerspiegeln, und dazwischen dann Zuschaltungen über unsere Geburt, der "Namen"-Track thematisiert Identitätsfindung, bis hin zu "Berge", auf dem mit dem Leben irgendwie abgeschlossen wird, das ein Ort ist, an dem das Leben in seiner schlimmsten Intensität schon vorbei ist. Dieses Konzept hat mir jedenfalls nochmal einen Schub gegeben, zu schreiben. Aber das hat sich halt alles sehr lange gezogen. Da kamen einzelne Projekte dazwischen, und ... ja, jetzt sind wir hier.

Mythos: Es tut dem Ganzen auch keinen Abbruch, dass zwei Jahre dran gearbeitet wurde. Für Deutschrap-Verhältnisse, wo die Promophase wahrscheinlich im Schnitt länger dauert als die eigentliche Arbeit an der Musik, ist das wahrscheinlich eine halbe Ewigkeit. Für mich kommt vor dem Erfolg und der Wertschätzung durch andere aber, dass ich selber das Gefühl habe, die Tracks noch in ein paar Jahren anhören zu können und sie gut zu finden.

Degenhardt: Es war ja auch von vorneherein nicht so geplant, dass wir diesen Plan überhaupt hatten. Da kannten wir uns ja auch erst relativ frisch. "Letzte Lover" hatten wir gemacht, dann das Video, da haben wir uns, glaub' ich, zum zweiten Mal gesehen.

Antagonist: Beim "Letzte Lover"-Video haben wir uns das erste Mal gesehen.

Degenhardt: Ach, stimmt!

Antagonist: Ich weiß noch, da kamst du rein, hattest 'ne ganze Tüte voller Zeug dabei und meintest: "Mit dir möchte ich übrigens eine Nacktszene drehen." (Gelächter)

Degenhardt: Wow, stimmt. Es war auch fast 'ne Nacktszene ... Mann, jetzt hast du mich völlig aus dem Konzept gebracht. Auf jeden Fall war das so, dass wir Bock gehabt haben. Aber es war nicht so, dass wir gesagt haben: Das ist der Plan, bis da soll es fertig sein, irgendwas. Ich war halt begeistert vom ersten Meeting danach. Da haben wir uns im Bunker getroffen und waren dann relativ schnell. Nach einem Meeting hatten wir dann schon fast alle Beats zusammen, plus Ideen. Ich will ja auch immer vorwärts kommen, so Pinky-und-Brain-mäßig, geil-geil-geil-machen-machen-machen. Da haben wir megaviel geschafft, bei jedem Meeting lief das richtig geil. Auch in punkto Organisation, nochmal. Vom Künstlerischen, vom Kreativen war das richtig geil. Das ging echt schnell.

"Es gibt Momente, da bin ich versucht, den Azad zu machen"

Soweit zum großen Ganzen. Konkret zu den Texten: Gibts Momente, wo man das Zeug der jeweils anderen hört und sich fragt: "Hä? Was meinste jetzt damit?"

Antagonist: Nö, eigentlich nicht. Ich glaub', wir verstehen uns auch ganz gut, in dieser assoziativen, romantischen Art, Texte zu schreiben. Da diese Phase relativ lang war, dass die Tracks schon standen, als Meilensteine im Kopf, hatten auch alle Zeit, drumherum zu flattern und sich Assoziationen zu bilden. Da, fand ich eigentlich, hat man sich recht gut zusammengefügt, vom Verständnis her.

Degenhardt: Ja, find' ich auch. Vor zwei Tagen haben wir erst noch drüber geredet, dass wir diese ähnliche, ein bisschen verkopfte Romantik haben. Dass, wenn Sachen schön klingen, wir dann auch was Schönes meinen. Ich bräuchte das auch gar nicht. Erstmal maße ich mir so ein bisschen an, dass wir uns gegenseitig einfach verstehen. Oder selbst, wenn wir was anderes verstehen, dass man das einfach schön findet. Is' ja auch geil, wenn ich jetzt was anderes verstehe, als Lukas meinte, aber dass das halt 'ne Schönheit hat. Wenn ich eine andere Schönheit darin sehe: Is' doch wurscht. Wichtig ist doch, dass mir die Schönheit gefällt. Oder dass ich die Schönheit aufnehmen kann. Ich glaube, da sind wir sehr ähnlich. Ich hab' ja auch früher mal gesagt, dass ich wenig Mucke höre, die ich selber mache. Das war mit den Kamikazes jetzt das erste Mal. Das hat mit "Kleiner Vogel" angefangen, da geht das dann auf einmal. Mit den anderen Sachen hab' ich mich immer schwer getan. Da hör' ich dann entweder ganz andere, eher prolligere Sachen. Nach RAG, von den eher deepen Sachen, war Kamikazes das erste.

Gibt es Unterschiede in der Kamikazes-internen Kommunikation im Vergleich zum Austausch zwischen Kamikazes und Degenhardt?

Antagonist: Ja, klar. Es bedarf nach außen einfach mehr Kommunikation, während Linus und ich ... wir funktionieren halt einfach wie ein Typ. Oft. Vor allem beim Muckemachen. Das heißt, wir schieben uns irgendwas gegenseitig rüber. Wir wohnen ja auch immer noch zusammen. Einer gibt dem anderen 'ne Beatskizze, nimmt schon mal einen Part auf, für irgendwas. Da ist indirekt klar, was gemeint ist. Es muss nicht noch irgendwelche Absprachen geben, damit der Song nachher steht. Das ist auch die Herausforderung. Aber ich glaub', mit niemand anderen hätte das jetzt so geklappt, außer mit dem Degenhardt. Weil da das Verständnis auf der künstlerischen Ebene so gut funktioniert hat. Irgendwie war direkt klar, wie die Gesamtvorstellung aussieht. Mit Viktor haben wir das natürlich auch. Auf der EP: 'ne einfache Sache, weil wir uns eben schon lange kennen. Aber ich würde das schon durchaus als etwas Besonderes sehen, dass das jetzt zwischen uns dreien irgendwie so urwüchsig von alleine hochgegangen ist.

Degenhardt: Hm. Dafür, dass wir uns erst so kurz kennen, im Verhältnis.

Antagonist: Das ist ja eigentlich unsere Kennenlernphase. (Gelächter)

Degenhardt: Heavy Petting.

Nicht auszudenken, wo das noch hinführen soll. Dieses Zusammenwohnen-Ding: Wirkt sich das stark auf die Arbeitsweise aus?

Antagonist: Ja. Das hat dazu geführt, dass es bei uns - auch in Bezug darauf, was noch kommen wird, produktionsmäßig - sehr explodiert ist. Wir treten uns einfach die ganze Zeit gegenseitig auf ein höheres Level. Dieses Zusammenleben wird jetzt bald enden. Aber rückschauend hat es auf jeden Fall überhaupt erst dazu geführt, dass wir diesen Kamikazes-Sound für uns gefunden haben. Eben dadurch, dass wir uns nie verabreden mussten. Jeden Abend läuft irgendwas in der Richtung. Auch, wenn es nur was Kleines ist, aber es läuft einfach permanent. Linus hat ja auch irgendwo die Zeilen auf der EP: "Wir sind zu Hause, hier im Rauschen und Knistern, die Wohnung randgefüllt mit diesem lauten Flüstern." Das ist halt genau das Ding, was in dieser Wohnung die ganze Zeit passiert. Es ist einfach die ganze Zeit ... es ist Kamikazes, was da passiert. Ich denk' mal, das wäre nicht passiert, wenn wir in zwei verschiedenen Wohnungen gelebt hätten.

Mythos: Der Vorteil am Zusammenwohnen ist für die Mucke außerdem, dass es die Möglichkeit für ausgedehnte Kreativphasen gibt. Das heißt, dass man sich nicht nur einmal zusammensetzt und darüber spricht, in welche Richtung ein bestimmter Track gehen soll, und sich das nächste Mal dann wieder zum Recorden trifft. Sondern Ideen schweben länger im Raum und können sich entwickeln.

Habt ihr einander nicht auch mal satt?

Antagonist: Nee. Eigentlich nicht. (Lacht) Bisher nicht, nee. Nochmal was die Abgrenzung von Viktor betrifft: Wir sind jetzt auch dabei, 'ne eigene Plattform zu bilden. Wir haben jetzt auch so zwei kleine, junge Dudes aufgenommen, die uns zugelaufen sind, mit nichts außer 'nem Haufen Talent und 'ner Menge Rückgrat. Wir fangen gerade an, mit denen ein Tape für die zu machen, und wollen da auf jeden Fall noch weitere Schritte gehen, mit noch einem anderen Freund, der auch viel produziert, aber eher so im elektronischen Bereich. Ich kann schon mal sagen: Die Jungs nennen sich Axt & Zimmermann, und die werden ihr erstes, von uns produziertes Tape jetzt im Herbst veröffentlichen. Auf unserer Plattform.

Degenhardt: Willst du schon sagen, wie die heißt?

Antagonist: Das Label? Die einsame Spitze.

Ah. Ganz bescheiden.

Antagonist: Ja! Also, wenn man länger drüber nachdenkt, passt es sehr gut. Wir fühlen uns an der Spitze, aber es ist sehr einsam um uns herum. Es bleibt einsam. (Lacht)

Ich seh' schon: direkten Kurs auf den Mainstream-Erfolg eingeschlagen.

Antagonist: Ja!! Mainstream ist halt so eher auf halber Strecke, unterhalb der Wolkendecke. Wir sind die Spitze, die über die Wolken ragt. In der Dachwohnung.

It's lonely at the top.

Antagonist: Ja, genau. It's lonely at the top. Top lonely.

Machen wir uns nix vor: Was ihr alle macht - wirklich massentauglich ist das ja nicht.

Antagonist: Nee. Das wär' ja auch verwunderlich. Es würde mich stark wundern. Es würde auf jeden Fall die Axiome meines Denkens stark in Zweifel ziehen, aus dem Grund, dass sich meine Haltung oft so fremd, so deplatziert anfühlt. Im positiven Sinne, jetzt nicht in so einem negativen Dagegen-Sinn, sondern eher in so 'nem Vereinzelungs-Sinn. Dass man sich wundert, wie Leute so im Großen und Ganzen ihr Leben einrichten, wie das Gros der Gesellschaft eingerichtet ist. Mit der Musik vereinzeln wir uns auf jeden Fall da drin. Da wär' es ja komisch, wenn auf der anderen Seite das Echo wäre, dass der Querschnitt uns irgendwie feiert.

Du fändest demnach eher befremdlich, wenn sich euer Zeug plötzlich wie rasend absetzen ließe?

Antagonist: Ja, ich würde mich schon sehr wundern, auf jeden Fall. Aber ich fänd' es auch nicht schlecht. Ich hätte nichts dagegen!

Glaubst du, du kämst zurecht mit einem Hype?

Antagonist: Joah, doch. Auf jeden Fall. (Lacht) Ich bin bereit für jeden Hype.

Degenhardt: Ich würd' das gar nicht so sehen, dass das nicht möglich ist. Diese richtigen Underground-Sachen ... Prezi hat ja jetzt auch seinen Schub. Das wird auf jeden Fall noch zunehmen, denk' ich mal. Es heißt ja nicht, dass nur mega-flache Musik Erfolg haben kann. Morlockk Dilemma hat auch einen gewissen Erfolg. Oder Audio88. Es gibt schon Leute, die satirische Sachen machen, aber das ist ja auch auf einer gewissen Basis intelligent.

Antagonist: Okay, im Rahmen von den Leuten, die du gerade genannt hast, kann ich mir schon auch Erfolg vorstellen. Dass wir auf deren Level kommen. "Mainstream", da hätte ich jetzt eher gedacht ...

Degenhardt: So Sido-Level.

Antagonist: Ja. So ein wirkliches Durchschnitts-Level, das halt jeder ...

Degenhardt: Da bist du aber auch 'ne Fotze hoch zehn.

Antagonist: Ja. Aber so Audio88 und Morlockk Dilemma, die holen wir uns noch. (Gelächter) Das Level von denen holen wir uns auf jeden Fall noch. Da bin ich auf jeden Fall down mit.

Degenhardt Ja, is' okay.

Antagonist: Peace an die Jungs.

Degenhardt: Das ist doch auch gut! Die sind doch auch aus sehr tiefem Untergrund hoch auf ein gesundes Mittelmaß gekommen.

Degenhardt meinte mal, dass eine gewisse Art von Freiheit drinsteckt, wenn die Kunst nicht zugleich der Broterwerb ist. Seht ihr das genauso?

Antagonist: Ja, das würde ich auch so sehen. Ich hatte letztens, im rappers.in-Interview, einen kleinen Disput mit Viktor darüber. Er meinte so: Nee, das sei das Allerbeste, wenn man nur Rap machen würde, und da hab' ich ihm den Spruch gedrückt, dass er doch jetzt schon nur über Rap rappen würde. (Gelächter) Ich muss schon auch mal um acht morgens mit der Bahn nach Frankfurt City reinfahren, diesen Alltag mitmachen, mich stressen mit Kollegen, mit denen ich klarkommen muss, und diese ganzen Gefühle von Krise für mich miterleben, damit ich überhaupt irgendwas zu sagen hab'. Deswegen gibt einem das schon eine gewisse Freiheit. Vor allem gibt es einem die Freiheit, nicht im Vorhinein in irgendeiner Weise die Hörerschaft seiner eigenen Musik zu antizipieren, weil man jetzt gerade unter Druck steht, ein Album abliefern zu müssen. Ich glaube, das schleicht sich schnell ein, und das würde bei mir alles kaputtmachen. Sagen wir: Wir haben 2016, und damit alles, mit der Miete und dem Kleinen zu Hause, damit das alles gut läuft, muss ich ein Album abliefern, und ich überleg' mir: Was ist meine Zielgruppe? Um dann ein Album für diese Zielgruppe zu machen ... Dann bin ich tot. Dann ist das Ding mit dem Muckemachen auf jeden Fall tot, künstlerisch gesehen. Das ist für mich auch ein wichtiger Bestandteil: dass Musikmachen ausgeklammert bleibt von all diesen Lebenslauf-bezogenen Fragen.

Du fändest also gar nicht erstrebenswert, mit Musik deinen Lebensunterhalt zu bestreiten?

Antagonist: Schlachtruf: Halbe Stelle! Ich hab' jetzt gerade 'ne halbe Stelle, und das ist perfekt. Wenn ich weiterhin auf halbe Stelle arbeiten könnte, oder auf ewig, dann wär' das für mich perfekt.

Der Luxus der Außenseite bedeutet zugleich auch, dass man weniger kritisiert wird.

Antagonist: Ja, das stimmt. Mittlerweile haben wir ein paar Haterkommentare. Da freu' ich mich immer, da denk' ich: Es läuft.

Degenhardt: Die beziehen sich aber alle auf mich! (Gelächter)

Antagonist: Ja, Neid, Alter. Du bist viel mehr Fame als wir!

Degenhardt: Ich kann bald Disslike machen, irgendwann. Das konnte ich vorher nicht.

Antagonist: Aber es stimmt. Es ist auch inhaltlich so. Für mich sind so Kommentare genau so lange präsent, wie Firefox geöffnet ist, und danach ist mein Leben vielschichtig genug, dass ich nicht ... Ich stell' mir vor, dass einem sowas viel mehr nachgehen könnte, wenn die Existenz dran hängt. Es kommt ja immer irgendwie die Enttäuschung durch. Das ist ja am Hate immer das Schreckliche, die große Enttäuschung: Man macht irgendwas, da steckt alles drin, man präsentiert es mit Liebe, und dann sieht man hinterher nur lange Gesichter in der Kommentarspalte. Dann denkt man halt sofort: Fuck! So reflexartig. Aber wie du meinst: Da für uns nicht alles dran hängt, hängt halt auch nicht die Selbstwahrnehmung dran. Und das ist perfekt. Um die Sache abzuschließen: Meine Philosophie ist so ein bisschen, dass ich glaube, die Sachen gelingen am besten, wenn man sie aus dem Augenwinkel erledigt. Sobald man sich drauf konzentriert, ist das wie eine Wortfindungsstörung. Der Fokus ist oft der blinde Fleck. So lange man Sachen irgendwie aus dem Augenwinkel entstehen lassen kann, ist das das beste. Und das ist halt der Fall, so lange man nicht sein ganzes Leben durchs Musikmachen finanziert.

Nochmal zu den Haterkommentaren: Du kannst sowas also wegstecken?

Antagonist: Ich kann das gut wegstecken, ja. Also, manchmal reg' ich mich echt auf. Es gibt so diese Momente, da bin ich versucht, kurz den Azad zu machen und in Großbuchstaben zurückzuschreiben. HALLO!!!? WIR HABEN DAS GANZE GELD IN VIER VIDEOS GESTECKT!! UND IHR PENNER SETZT EUCH HIN, WAS HABT IHR RAUSGEHAUEN, AUSSER KOMMENTAREN??? KACKEN GEHEN!!! Aber dann denk' ich mir, gut. Das wär' halt Azad. Deswegen lass' ichs dann. Das sind so Momente, wie gesagt. Da kann ich mich normalerweise schon von distanzieren.

Du dagegen nicht so, hmm?

Degenhardt: Ich denk' mal, es ist ähnlich. Aber grundsätzlich bin ich einfach mehr Diva, empfindlicher. Ich bräuchte einen Job als Gegenpol nicht mehr, um kreativ zu sein. Was das angeht, bin ich eh der größte Nazi. Ich würde nie Sido werden. Aber ich würde sozial untergehen. Ich würde total abpsychen, würde ich nur noch Mucke machen. Ich komm' ja so schon hart auf komische Filme. Wenn ich dann wirklich nur noch in dem Kosmos wäre, Alter ... Mit den Kommentaren: Ja ... ach, zum Beispiel das mit den Reimen! Wenn dann immer Sachen kommen, von wegen, das würde sich nicht reimen, und du dir einfach nur denkst: Junge, hohl, ey!

Antagonist: Deine Mutter reimt sich nicht! (Gelächter)

Degenhardt: Ja! Weil du nicht diese Standardsachen hast. Jahrelang wird sich aufgeregt, dass man so plumpe Strukturen hat. Dann wird man voll Jazz, und dann regen die Leute sich auch noch auf. Ich kann dann aber auch immer voll in meine Märtyrerrolle rutschen und der traurige Künstler sein. Das ist auch cool.

Ja, gerade wieder. Was haste rumgeheult. "Buäh, ALLE hassen den Degenhardt-Part." Dann schau' ich nach, und, meine Güte: Es waren drei Kommentare. Drei.

Degenhardt: Von zwölf!

Antagonist: Die Coolen schreiben eh gar keine Kommentare.

Das passiert halt, weil euch eure Untergrund-Fans verweichlicht haben. Ihr seid eben, unabhängig voneinander, ganz andere Hingabe gewohnt.

Antagonist: Das stimmt. Das tut auch echt gut, auf Tour zu sein. Nach der letzten EP mit Viktor hatten wir zum ersten Mal seit Jahren ein halbes Jahr Tourstopp. Alle Bedürfnisse nach Aufmerksamkeit nur im Internet befriedigt. Das war echt schlecht, keine gute Idee. Und dann auf Tour war die ganze Liebe auf jeden Fall wieder am Start ... Das hat schon echt gut getan. Das muss ich einfach zugeben.

Jetzt prallen zwei ergebene, aber verschiedene Lager auf ein- und dieselbe Veröffentlichung. Da kann halt schon passieren, dass zum Beispiel die Kamikaze-Fans sagen: Das andere find' ich jetzt aber nicht so geil. Rechnet man damit?

Antagonist: Ja, schon. Auf jeden Fall. Das war auch schon ein bisschen spürbar, als wir hier den Johnny-Kamikazes-Auftritt in Düsseldorf hatten. [Zu Degenhardt] Eure Fans, krass, die waren schon auf einem ganz anderen Film unterwegs. Das hat man schon gemerkt. Ist ja auch okay! Wenns da 'ne kleine Schnittmenge gibt, die nachher beides feiert oder über das eine auch das andere kennenlernt: Ist doch cool. Aber mit dem Gedanken haben wir ja jetzt diese Kollabo nicht gestartet. So nach dem Motto: Wir schmeißen jetzt unsere Fanbases zusammen, zusammengenommen kriegen wir sie alle. (Gelächter)

Degenhardt: Aber das war doch auch immer so. Als es bei mir mit Johnny War Ein Tänzer anfing: Loock, is' scheiße. Jetzt gibts inzwischen auch voll die fette Johnny Tänzer-Base, die Johnny mehr feiert als die Einzelteile. Die Schnittmenge, ich glaube, die muss auch erst wachsen. Das muss man verstehen.

Antagonist: Ich denk' auch, gerade die EP, die wird ein bisschen wirken. Die wird ihren eigenen Weg gehen. Sobald die draußen ist, wird die sich auf unbegrenzte Zeit durch dieses Land fressen und jetzt noch nicht geborene Kinder verderben. (Lacht)

Degenhardt: Uuuh. Dazu möchte ich jetzt nichts mehr sagen. Das war zu schön. Ich glaube sowieso, unsere Releases wirken nicht auf den ersten. Ich kenn' das von mir, und ich glaub', das ist auch bei euch so. Das Release kommt, und so nach drei Monaten merkst du: Boah, is' das geil. Du feierst es einfach nicht beim ersten Mal Hören. Du brauchst vielleicht erst die schrägen Momente, wo es passt.

Kann ich nicht bestätigen. Geht mir damit komplett anders.

Degenhardt: Das sind so meine Erfahrungen. Mein aktuellstes Release war immer das schlechteste. Und hinterher kamen wieder alle: Boah, geilste!

Ich hab' irgendwo gelesen, dass einer von euch Kamikazes-Brüdern prophezeit hat, die Zukunft des Rap-Hörens werde sich ändern. Weg vom Gemeinschaftserlebnis in der Masse, hin zu für sich alleine, unter Kopfhörern.

Antagonist: Echt? Tja, das ist mir fremd. Kann natürlich sein, dass ich das in irgendeinem Kontext gesagt habe, den ich jetzt so genau nicht mehr weiß. Was wir, glaub' ich, gemeint hatten: Bei uns - oder auch bei Viktor - sind die Klickzahlen bei YouTube-Videos kein guter Indikator für Verkaufszahlen. Ich würde sagen, wir verkaufen im Verhältnis schon besser, als es geklickt wird. Das sieht man jetzt auch gerade bei den "Limbus"-Videos, die sind ja schlechter geklickt als Viktors alte Videos. Das liegt daran, dass das jetzt nicht so dieses Typische ist. Wenn fünf Typen auf der After-Hour rumhängen und jeder macht seinen Lieblingssong an, da macht halt keiner Prezi an. So deutscher Rap, der jetzt erfolgreicher ist ... weiß nicht, der ist halt irgendwie lustig oder auf jeden Fall besser geeignet, um ihn bei YouTube anzumachen. Dieses YouTube-DJing in Gruppen ist auf jeden Fall, glaub' ich, 'ne Triebfeder dieser Klicks. Meine persönliche Theorie. Ich glaube, unsere Sachen werden eher gekauft und bestellt. Unsere Fanbase bestellt auf jeden Fall zuverlässig, und dann hören sich die Leute das eben zu Hause alleine an. Oder über Kopfhörer. Das meinte ich vielleicht. Falls ich es überhaupt gesagt habe.

Degenhardt: Unsere Fans wollen halt auch wirklich die Platte haben.

Antagonist: Genau, und das ist schön. Das ist halt auch genau die Art, wie ich pflege, Musik zu hören. In der Öffentlichkeit, in Gruppen, da hör' ich eigentlich nur Techno.

Bei den Sachen, die du dann alleine für dich hörst, legst du Wert auf Inhalte?

Antagonist: Genau. Auf die Inhalte und auf den Vibe. Ich selber hör' total viel Ami-Rap. Ich bin einfach ein Kind des Vibes. Da muss ich mich Fler voll und ganz anschließen. In dieser Hinsicht, dass der Vibe einfach viel mehr zählt, und dass das auf jeden Fall im Deutschrap immer noch total unterrepräsentiert ist. Jetzt vielleicht nicht Flers Vibes, aber der Vibe an sich ist im Deutschrap noch nicht als entscheidende Größe angekommen. Und da find' ich auch, dass dieses textlich schon völlig Entzauberte, Entschlüsselte, das einem fertig hingelegt wird, dass das im Deutschrap immer noch das dominante Ding ist. Es gibt natürlich auch Gegenbeispiele, zu denen ich uns natürlich auch zähle. Wir versuchen schon, vor allem den Vibe zu fördern. Das liegt bei uns auch daran, dass eigentlich immer zuerst die Produktion steht, und wir uns dann sozusagen in diese Atmosphäre zum Texten reinsetzen. Das ist auch der Unterschied zu Viktors Arbeitsweise. Der hat auf jeden Fall so seine Konzepte, da ist er auch einer der Größten drin. Dann braucht er dafür einfach nur noch ein Vehikel, und pickt sich die Beats. Bei uns ist das genau umgekehrt.

"Grauzone, bitte lasst uns in Ruhe!"

Aus allen euren bisherigen Interviews hab' ich eine große Verachtung für Themensongs herausgelesen.

Antagonist: Auf jeden Fall!

Was ist ein Themensong überhaupt - und was ist daran so schlimm?

Antagonist: Ein Themensong ... ja ... du hast ein Thema, darum geht es dann, jeder trägt dazu was bei auf dem Track, in der Hook wird meistens noch das Schlagwort wiederholt. Das ist dann eine Sache, die brauch' ich mir kein zweites Mal anzuhören. Genauso, wie ich mir keinen Aufsatz zweimal durchlesen muss oder auch kein Buch direkt das zweite Mal lese, wenn ich es einmal gelesen habe. Ich will das gar nicht so verallgemeinern, weil es auch sehr gute Konzeptsongs gibt. Aber für mich persönlich, auf den meisten Deutschrap-Alben: Ich feier' die Rapper, wenn sie das machen, worauf sie gerade Bock haben, bevor das Album kommt. Das find' ich total geil. Und dann kommt das Album, und da sind dann fünf harte, geile Songs drauf, und der Rest sind so die typischen Nischensongs, wie zum Beispiel der eine Song für Mama, der eine Party-Song, der Song für die Ladys und so. Die Überschrift hast du dann direkt im Kopf.

"Der Song für die Ladys", den hab' ich immer besonders gern. Was herrschen nur für verquere Vorstellungen davon, was Weiber hören wollen?

Mythos:. So ein Themensong hat halt auch etwas sehr Anonymes. Es wirkt dann mitunter so, als würde sich der Rapper hinter einem Thema oder Schlagwort und dem, was es dazu halt zu sagen gibt, verstecken. Wobei es doch eigentlich beim Rap eher darauf ankommt, der Welt seinen sehr subjektiven Stempel aufzudrücken.

Antagonist: Ja, genau so ist das.

Degenhardt: Naja, es gibt schon die Weiber dazu. Es gibt ja einen "Song für die Ladys" und einen "Song über Ladys".

"Für die Ladys", das ist meistens irgendeine schmierige und dazu bocklangweilige Schlafzimmerscheiße. Wäh.

Antagonist: Das ist halt wie die Entsprechung von hochhackigen Schuhen und überdimensionierten Oberarmen. Beide Seiten der Medaille sind total verkrüppelt, viel zu banal. Es gibt einfach dieses Männlichkeits- und Weiblichkeits-Ding, wo sich Männer und Frauen völlig verkrüppelt auf das jeweilige Ufer stellen und sich nur noch von diesen beiden Seiten gegenseitig beäugen und wahrnehmen können. Aber das ist jetzt ein anderes Thema. Um darauf zurückzukommen, was Themensongs sind: Ich persönlich, und Linus, und ich denk', auch Degenhardt, wir denken halt schon auf Albumlänge. Oder EP-Länge. Das heißt: Irgendwie ist das die entscheidende Größe: ein Film, der sich über mehrere Songs durchzieht, Themen, die immer wieder aufkreuzen, die sich entwickeln, und vor allem die Atmosphäre, in der das Ganze stattfindet. So hab' ich auch angefangen, Rap zu hören. Mit "It Was Written" von Nas. Das finde ich immer noch das beste Beispiel für ein solches Album.

Ein übergeordnetes Konzept als Gegenentwurf zum Themensong?

Antagonist: Ja, würde ich schon sagen. Ein Märchenwald.

Degenhardt: Ein Kessel Buntes. (Gelächter) Zum Konzept möchte ich noch sagen: Ich mag es halt, wenn die Songs für mich zum Konzeptsong werden. Weil sie so offen sind, das dann für mich was rüberbringt und ich das dann so erleben kann. Das ist für mich der Song, der das und das ausdrückt. Aber nicht, weil da draufsteht, das ist der Song zum Kapuze-hoch-und-durch-den-Regen-laufen, sondern weil ich das empfinde und ich mir dann das Thema selber draufschreib'. Also ein Soundtrack. Zu einem Soundtrack muss ich den Film aber nicht schon haben, sondern ich möchte mir den Film machen. Das ist cool. Ich hab' zwar auch immer wieder schon grobe Themen, aber schwurbel' dann trotzdem drum herum. Dann geht es halt um Perversion, aber nicht so "Ja, ich wichs' auf das und das und das", und dann die Hook, wie du gerade sagtest: Das ist behindert. Das ist ja ein Parteiprogramm. Das brauch' ich nicht.

Wir sind vollkommen abgekommen vom Thema Rap-für-sich-alleine-hören. So empfinde ich diese EP auch: Das ist nix, das man in geselliger Runde nebenbei laufen lässt, schon eher für die einsamen Abende.

Antagonist: Ja, schon. Ich kann mir dazu jetzt auch keine gemütliche Runde vorstellen. (Lacht) Es ist ja auch schwierig, da nebenbei noch ein gutes Gespräch zu führen. Stell' ich mir zumindest so vor, wenn da immer so Halbsätze aus der EP dazwischenkommen. Ich glaub', das ist perfekt für Kopfhörer. Kopfhörer und unterwegs sein.

Kopfhörer und Kapuze, ja.

Antagonist: Kapuze ist optional. Hauptsache, die Kopfhörer dichten gut ab.

Gibts Pläne, das live auf die Bühnen zu bringen? Taugt das dafür überhaupt?

Antagonist: Ja, das ist die Frage. Wir haben ja jetzt diesen Auftritt beim KuRT-Festival. Dann hätten wir im Herbst noch 'ne Möglichkeit in Wuppertal, in unserem Heimstadion, eine kleine verspätete Releaseparty zu machen. Aber das müssen wir jetzt auf den Festival erstmal ausprobieren, wie das läuft. [Lief wohl ganz gut, die Bilder sahen jedenfalls … entsprechend aus. Anm. d. Red.] Für ein längeres Programm müssten wir auf jeden Fall erstmal richtig proben, das ist schon eine andere Sache. Das ist irgendwie auch schwierig zu kalkulieren, find' ich. Wir sind jetzt schon ewig mit Viktor live unterwegs. Live sind wir eigentlich auch 'ne Band, zu dritt. Das heißt, wir machen immer ein Set, in dem sich die Songs mischen, und haben da einen guten Modus gefunden. Aber selbst da brauchen wir zum Teil mehrere Konzerte, um rauszufinden, wie ein Song funktioniert. Ob er überhaupt funktioniert. Wir haben zum Beispiel auch einige, die wir nur unter bestimmten Bedingungen bringen, wenn es gerade passt, irgendwie, die Art, wie das Publikum reagiert. Das haben wir jetzt über Jahre herausgefunden, wie das läuft, zwischen uns dreien. Aber ich bin da total offen, ich hab' da immer Bock drauf.

Degenhardt: Ich bin mir auch noch nicht sicher, ob das live funktioniert. Ich find', sowohl von euren als auch von meinen Sachen, sind das wirklich die düstersten von allen. Deswegen ist das ja relativ rund, aber es sind alles extrem ruhige, extrem weirde Sachen. Was einfach schön ist, es aber komplett ungeeignet für live macht. Vielleicht, wenn es der Vibe ergibt. Aber es ist keine Partymucke.

Wäre jedenfalls 'ne seltsame Party.

Antagonist: Wir hatten das schon öfter, mit Viktor. Wir spielen generell aus Überzeugung nie die Animateure, das können wir nicht machen. Es gibt keine "Arme hoch!"-Sprüche und sowas. Wir spielen meistens sehr lange Sets. Auf der Tour haben wir immer zwei bis zweieinhalb Stunden gespielt. Wenn, dann entwickelt sich das bei uns zwischen uns und dem Publikum. Bei uns feiern die Leute tatsächlich schon auch auf diese Sachen hart ab. Die haben dann auch Spaß. Es ist nicht so, als säßen die dann in der Ecke, kucken auf dem Boden und wimmern. Ich glaub' manchmal, dass das für alle Beteiligten etwas Kathartisches hat. Die Leute hängen dann tatsächlich zum Beispiel bei "Auge Um Auge" oder "Kleiner Vogel", was ja eigentlich überhaupt keine Partymusik ist, vor der Bühne, rappen alles mit und bewegen sich auch dazu. Ich glaub', manchmal entsteht da schon so 'ne Art Party. Aber die hat halt irgendwie reinigenden Charakter. Das kann man auch nicht vorherplanen, manchmal ist es auch einfach nur verwirrt. Wenn wir selber der Haupt-Act sind, die Leute kommen wegen uns, dann ist eigentlich immer garantiert, dass es gut läuft. Aber gerade bei so einem Festival weißte halt nicht, wer da steht. Da hat es so Musik wie unsere schwer. Wenn die Leute auf Party aus sind und vielleicht gerade bei den 257ers waren, ja ... (Gelächter)

Covergestaltung, Dege, sagtest du schon, hast du gemacht. Was, bitte, ist das denn für ein ... Ding?

Degenhardt: Eine Statue. In Russland. Eine Statue, die restauriert wird.

Antagonist: Das ist die Arbeit am Kopf.

Wer kümmert sich bei den Kamikazes um so gestalterisches Zeug?

Antagonist: Unterschiedlich. Linus macht schon das meiste, der hat auf jeden Fall unser Logo entworfen. Jetzt gerade haben wir bei einem Tätowierer, den wir aus Offenbach kennen, unsere neuen Logos in Arbeit, die auch bald auf dem Screen erscheinen. Die pushen dann auch hoffentlich unsere Marke ein bisschen mehr. (Lacht) Aber bisher hat Linus eigentlich unser Artwork gemacht. Und wir hatten immer noch einen Kontakt zu Leo Erlbruch. Kennt ihr den Maulwurf, der nicht wusste, wer ihm auf den Kopf gekackt hat? Das hat Wolf Erlbruch gemalt. Und sein Sohn hat das Cover von "Neueste Erkenntnisse Vom Absteigenden Ast" gemacht, und auch unseren "Kleinen Vogel". Den Typ hatten wir auch am Start. Ex-Freund von meiner Schwester ... das ist alles Wuppertaler Klüngel.

Ja, ja. "Untergrund bedeutet, Musik mit den Homies machen." Anderswo heißt das Vetternwirtschaft.

Antagonist: (Lacht) Genau. Isso.

Über die Schreibweise eures Plattentitels seid ihr euch ja offenbar noch nicht einmal untereinander einig.

Degenhardt: Ich hab' mich einfach nur überall verschrieben.

[Leicht panischer Zwischenruf aus dem Tiefen des Melting Pot-Büros: Neiiiin!! Hast du?!]

Degenhardt: Nein!! Ich hab' nur die Gruppe noch umbenannt, im Master steht das auch noch falsch ...

Im "Namen"-Video habt ihr es auch verkehrt auf die Schienen gekippt.

Degenhardt: Nein!

Antagonist: Ernsthaft?

Degenhardt: Mein Gott, ey! Wir haben in zwei Tagen drei Videos hintereinander gedreht. Scheiß doch drauf! (Gelächter)

Was soll das überhaupt, mit dem H? Hauptsache falsch?

Antagonist: Nee, Hauptsache der Degen-HARdT ist dabei. Es sollte ein bisschen nach KAmikazEs und Degen-HARdT klingen.

Degenhardt: Im Nachhinein ist uns das aufgefallen, dass das ein schöner Clash ist. Nö, das war einfach Ästhetik. Es sieht einfach besser aus.

So lange man sich einigen kann, wo man das H hinstellt ...

Degenhardt: (Ironisch) Ich bin Künstler. Ich kann das nur fühlen, ich kann das nicht benennen. Der Krater ist halt größer, mit dem H. Wenn man es mal genau nimmt, ist ein H ja auch ein Krater.

Da wär' ein U aber besser.

Degenhardt: Ein V. U ist megalangweilig. Das ist ein Swimmingpool, aber kein Krater.

Dass diese EP, wie du schon erzählt hast, ein durchgängiges Konzept hat, war das von Anfang an so geplant?

Antagonist: Nee, das war nicht direkt so vorgesehen. Irgendwie war das für mich selber auch so ein Aha-Erlebnis. Die Ideen haben sich sowieso schon so angeordnet gehabt.

Degenhardt: Das hat sich ergeben.

Antagonist: Genau, und das war für mich so der zündende Moment, wo ich endlich mit meinen Parts angefangen hab'. Tatsächlich hat es sich einfach so ergeben. Ich find' "Muttis Jesus" sehr stark, weil: Das gabs ja schon so ein bisschen bei Nas, in diesem einen Song - deswegen haben wir auch den Cut drin - dass er rappt, als hätte er die Zeit im Mutterbauch und seinen Geburt bewusst erlebt. Da rappt er darüber, dass er ungeduldig ist, rauszukommen, und so. Ja, Linus hat da, glaub' ich, den Part vorgelegt, und da hatte ich richtig Bock drauf. Da sind lustige Storys bei rumgekommen. Ich hatte ursprünglich die Coveridee, dass wir uns aufstellen wie die Leute auf so einem Familienfoto zur Jahrhundertwende, und dass dann irgendwie ... zum Beispiel unsere Augen weg sind oder so. Im Endeffekt war das aber zu aufwändig.

Degenhardt: Und es hätte mit der Maske wahrscheinlich auch nicht gut funktioniert. Die hätte stilistisch einfach nicht reingepasst.

Antagonist: Das ist auch die Frage: Wie macht man das dann mit so einem Stilbruch? Ob das dann optisch trotzdem funktioniert? Wissen die Leute noch, was gemeint ist, oder zerbricht sowas dann das Konzept direkt total?

Käme wahrscheinlich auf die Maske an. Mit einer Maske aus der entsprechenden Zeit, irgendsoeinem Pestdoktor-Ding ...

Degenhardt: Wir haben drüber nachgedacht, uns Outfit-mäßig ein bisschen anzupassen. Es kam uns dann aber doch zu gewollt vor, zu konzeptionell.

Antagonist: Ja. Und ich finde das Cover so, wie es jetzt ist, total super. Wir wollten dann ja auch fertig werden. Wir haben erst seit Anfang des Jahres richtig dran gearbeitet, vorher war das immer so tröpfchenweise. So ab Februar haben wir dann die heiße Phase starten lassen. Da wir in Frankfurt wohnen und uns nur alle ein, zwei Monate mal sehen können, gabs da nicht so viele Aktionen, die wir reißen können. Deswegen haben wir auch direkt alle Videos gedreht, weil wir nicht die Zeit haben, uns tausendmal zu treffen.

Du hast die Samples erwähnt. Allein in "Namen" stecken schon Roc Marciano und KRS-One. Habt ihr euch da in irgendeiner Weise abgesichert, oder ist das Vorgehen wieder hochkriminell?

Antagonist: Rakim ist drin. Und das Sample von Roc Marciano ist halt von ihm auch nur ein Sample. Ich weiß gar nicht, aus welchem Film das ist. Wenn der uns verklagen würde, wär' das echt voll gemein. Mann, Rocky! Ich hab' dein Album gekauft! Zweimal! Nee, Samples klären, machen wir nicht. Die Sache ist auch die, dass es Samples von Samples sind. Bei "Berge" ist ein eindeutiges Sample drin, aber ansonsten benutzen wir die Samples nur sehr, sehr verzwiebelt. Mit den Sprachsamples kämen wir sogar vielleicht durch, aber "Hinter den Bergen" ... Grauzone, bitte lasst uns in Ruhe!

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