laut.de-Kritik

Dieser Mann ist ein fucking Chamäleon!

Review von

Die Entstehungsgeschichte von Devendra Banharts fünftem Album "Smokey Rolls Down Thunder Canyon" mutet schon etwas bizarr an. Der Singer/Songwriter, von verständnislosen Pressevertretern als Weirdo, von anderen Kollegen als Genie bezeichnet, zog sich in ein provisorisches Studio in einer Hütte im Topanga Canyon vor den Toren Los Angeles' zurück. Dort spielte er die 16 vorliegenden Tracks ein.

Hört man den ersten Track, wähnt man sich allerdings in den Anden. Der zeitweise in Venezuela aufgewachsene Songwriter singt mal wieder Spanisch. Zu leisen Akustikgitarren singt er vom süßen Regen, der ihn durch die Nacht begleitet. Hier hört man es schon: Eine ganze Armada mehr oder weniger durchgeknallter, auf jeden Fall aber begnadeter Musiker begleitet ihn.

"So Long Old Bean" verbreitet einen etwas altbackenen Lo-Fi-Charme und viel Wärme, bevor "Samba Vexillographica" den Hörer wieder gen Süden schickt. Ja, hier handelt es sich um einen echten Samba. Banhart, der geniale Freak, schreckt vor nichts zurück. Das über acht Minuten lange "Seahorse" beginnt verhalten und mit dem Bekenntnis: "I'm high, I'm happy and I'm free". Im weiteren Verlauf stellt sich hier ein lässiger, entfernt an Dave Brubecks "Take Five" erinnernder Piano-Groove ein.

Das zarte "Bad Girl" trägt eine George-Harrisonsche Melancholie in sich, Devendra selbst erinnert gesanglich mitunter an Antony. "Seaside" fällt dagegen etwas ab, "Shabop Shalom" dagegen gelingt wieder ganz großartig. Der Sänger spricht ein langes Intro, bevor er schwärmerisch sein Herz der Dame seiner Träume ausschüttet.

In "Tonada Yanomaninista" klingt Banhart dann auf einmal wie die Essenz aus Adam Green und Julian Casablancas. Dieser Mann ist ein fucking Chamäleon! Und so wandelt er sich weiter: Erst singt er wieder spanisch, dann verstärkt er sich auf "Saved" mit einem Gospelchor.

"Lover" rockt verhalten vor sich hin, während "Carmencita" wiederum sexy in die Hüftgegend sticht. Die Rhythmen der lateinamerikanischen Volksmusik bereichern "Smokey ..." ganz ungemein, brechen sie doch den engen Singer/Songwriter-Kontext auf. Und noch hat der vollbärtige Musiker nicht alle Ässe aus dem Ärmel gezogen: "The Other Woman" wird von einem entspannten Dub-Reggae-Riddim getragen. Herrlich!

Und dann stiehlt er sich mit den letzten drei Tracks ganz leise davon, der Devendra. Verzieht sich in seine Hütte auf den Bergen vor der Stadt, die zuvorderst Traumfabrik ist, schließt die Tür hinter sich, und das war's. Er ist schon ein Verrückter, aber irgendwie auch genial.

Trackliste

  1. 1. Cristobal
  2. 2. So Long Old Bean
  3. 3. Samba Vexillographica
  4. 4. Seahorse
  5. 5. Bad Girl
  6. 6. Seaside
  7. 7. Shabop Shalom
  8. 8. Tonada Yanomaminista
  9. 9. Rosa
  10. 10. Saved
  11. 11. Lover
  12. 12. Carmencita
  13. 13. The Other Woman
  14. 14. Freely
  15. 15. I Remember
  16. 16. My Dearest Friend

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6 Kommentare

  • Vor 17 Jahren

    Und? Schreibt keiner was dazu? Ich muss mir die CD erst beschaffen und dann noch Zeit finden, sie zu hören. Die Review klingt doch interessant und ist wirklich gut geschrieben. Und schon wegen Vashti Bunyan ist das Album für mich ein Muss. Auf jeden Fall würde mich die Meinung einiger Laut-Member schon vorab interessieren...

    Nur mal so für zwischendurch: Devendra Banhart hat auf einer kürzlich erschienen Compilation mit Interpretationen von Guilty Pleasure Popsongs einen Beitrag geliefert. Das Video dazu hat sogar den ersten Preis einer entsprechenden Umfrage dazu gewonnen. Und zwar mit "Don't Look Back in Anger" von Oasis:

    Schöner Videoclip -->

    http://www.youtube.com/watch?v=Fer_vdrd2L4

  • Vor 17 Jahren

    ah, danke für den hinweis, hatte mich schon gefragt, wo ich den song finden kann. wusste nicht, dass es dazu auch ein video gibt. - wie ich das album finde, weißte ja schon. unbedingt zulegen, gibts auch als special edition mit dickem booklet, sieht nett aus. und danke für die blumen.

  • Vor 17 Jahren

    Habe die CD seit einiger Zeit und hab' sie auch schon zigmal durchgehört. Einige Passagen sind wunderschön, andere mindestens interessant aber letztlich ... so ganz klar werde ich mit der Musik nie kommen. Habe ich schon bei einem Banhart-Konzert letztes Jahr festgestellt. Zu diffus in alle stilistischen Richtungen ausufernd. Ähnlich wie auch schon beim aktuellen Akron/Family-Album.

    Zitat (« Das zarte "Bad Girl" trägt eine George-Harrisonsche Melancholie in sich,... »):

    Ja. Harrison ist überhaupt das Stichwort. "All Things Must Pass". Der große nach-Beatles-Triumph des dritten Mannes. Und natürlich dieses ganze spirituelle Indien-Ding. "Smokey Rolls Down ..." klingt für mich nach allem was so zwischen 69 und 74 im Schatten von Bubble Gum Teenage Pop, Deep Purple und Progrock lief. Irgendwo habe ich noch ein paar alte Vierspur-Tonbandspulen aus der Zeit. Da ist bestimmt auch solches Zeug drauf. Manches geht in Richtung Soul, manches klingt ein bissel nach T.Rex.

    "Rosa" ist mein absoluter Lieblingstitel. Herrlich, diese melancholisch schwebenden Klavierakkorde am Anfang. Ein hochgezüchteter Studio-Konzertflügel klingt geradezu charakterlos dagegen. "Saved" gleich danach geht bei mir zum Beispiel überhaupt nicht. Klingt irgendwie nach Sektenmusik. Bei "Shabop Shalom" musste ich erst an "Atlantis" von Donovan denken, dann an Elvis oder Paul Anka. Was für eine krude Mischung! "Cristobal" wiederum ist wirklich sehr schön.

    Na jedenfalls: Die jüngeren Alben von musikalischen Verwandten wie Vetiver, Vashti Bunyan oder Joanna Newsom gefallen mir besser. Ich gebe schon was auf stilistische Geschlossenheit und einen spürbaren Gestaltungswillen.

  • Vor 16 Jahren

    also ich kenne von devendra nur einiges von der nino rojo und das fand ich eigentlich zumindest so interessant, dass ich dran bleiben wollte.... mal schaun...

  • Vor 16 Jahren

    Uah, mein Stiefvater hört das grad rauf und runter... ich finds unerträglich. :hoho:

  • Vor 16 Jahren

    Das Album liegt bei den laut.de-Redaktions-Charts auf Platz 40 ... (!) Da ist offenbar nicht nur der Rezensent begeistert.

    Ich finde nach wie vor passagenweise Gefallen aber keinen wirklichen Zugang zu der Platte. Das große New Weird Folk-Album 2007 ist für mich definitiv Andrew Birds "Armchair Apocrypha".