laut.de-Kritik

Gute-Laune-Indie mit schiefen Tönen.

Review von

"Jemand redet / und du hörst zu / Du verstehst nichts / Aber die Stimmen klingen gut"

Die ersten Worte der neuen Platte "Ich Glaub Dir Alles" machen deutlich: Die Höchste Eisenbahn sind positiv naiv. Frei und locker beschreiben sie das Leben eines unwissenden Menschen mit seinen von Unwissenheit geprägten Interessen.

"Jede Wolke sieht so aus wie du / oder wie ich / oder wie du"

Man könnte meinen, bei den Berlinern handele es sich um eine Kinderband, dabei erklärt die Gruppe lediglich auf simple Art und Weise das gar nicht so schwer scheinende Leben. Im heiteren Auf und Ab zieht sich der musikalische Realismus des menschlichen Fühlens durch das Album: mal verliebt ("Aufregend Und Neu"), mal provozierend ("Kinder Der Angst"), mal kritisierend ("Umsonst"). Die Holperer hier und die schiefen Töne dort machen da nicht viel aus – im Gegenteil: Sie unterstützen die Texte.

Der Gesang der Frontmänner Moritz Krämer und Francesco Wilking ist prädestiniert für derartige Unfeinheiten und textliche Raffinesse: "Die Algorythmen unserer Streamingdienste sind sogar identisch" singen sie in "Louise" und beweisen, dass sensible Nick-Hornby-Indie-Texte auch im 21. Jahrhundert, fernab von selbst gestalteten Mixtapes noch möglich sind.

Mit dem Gute-Laune-Sound und den schiefen Akkorden geht eine Art lustlose Lockerheit einher. Man hört die Achseln der Sänger förmlich zucken, wenn sie ihre aufmunternden Worte in simpler Prosa von sich geben. Wäre das Leben ein Höchste-Eisenbahn-Text, gäbe es keine Probleme:

"Sag was schlaues / oder sag halt nichts" ("Rote Luftballons")

"Zieh mich zum Laufen um / Aber ich lauf nicht" ("37,5 Grad")

"Mach doch nicht gleich den ganzen Abend mies / Immer ist jemand enttäuscht" ("Enttäuscht")

Musikalisch liefert "Ich Glaub Dir Alles" die zu erwartende Indie-Palette mit unkontrolliertem Gesang. Es ist jedoch vielseitiger und mutiger als der Vorgänger. So wagen sich die vier Berliner an elektronische Sounds ("Überall") und brechen bekannte Songstrukturen in "Louise". Über allem schwirrt ein tanzbarer Indie-Sommer-Vibe, der der Band 2020 sicherlich einen Haufen neuer Artist-Festival-Bändchen bescheren wird.

Trackliste

  1. 1. Aufregend Und Neu
  2. 2. Kinder Der Angst
  3. 3. So Siehst Du Nicht Aus
  4. 4. Zieh Mich An
  5. 5. Job
  6. 6. Enttäuscht
  7. 7. Rote Luftballons
  8. 8. Louise
  9. 9. Derjenige
  10. 10. Überall
  11. 11. 37,5 Grad
  12. 12. Umsonst

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3 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 5 Jahren

    3 Sterne für ein Album, das laut Rezension besser ist als sein Vorgänger, der allerdings von laut 5 Sterne bekommen hat. Mmmmhhhh...

    Ich sehe auch Schwächen (37,5 Grad, Rote Luftballons), aber ansonsten ein grandios überdrehtes Popalbum, das so erfrischend ist in der deutschsprachigen Jungmanntraurigkeit-Musikwelt.

    • Vor 5 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 5 Jahren

      Tja, unterschiedliche Rezensenten. Liest man sich links und rechts so durchs Netz, kommt die Platte überwiegend gut bis sehr gut weg. Da sieht man mal wieder: Musik ist und bleibt Geschmacksache.
      Ich finde das Album grandios!
      5 von 5.

    • Vor 5 Jahren

      "3 Sterne für ein Album, das laut Rezension besser ist als sein Vorgänger, der allerdings von laut 5 Sterne bekommen hat. Mmmmhhhh..."

      Die Information darüber, dass das letzte Album von einem anderen Rezensenten besprochen wurde, ist nur einen Klick entfernt.

  • Vor 5 Jahren

    Ich kann mich nur dem letzten Kommentar anschließen. Für mich ist das Album ein buntes, geniales Pop-Album und gleichzeitig Ihr bestes Werk. Die Rezension kann ich persönlich nicht nachvollziehen, aber Geschmäcker sind zum Glück verschieden. Die beiden angesprochenen Songs (37,5 Grad und 100 Luftballons) zählen für mich zu den Highlights des Albums.

  • Vor 5 Jahren

    Ihr bisher schwächstes Album. Da ist jetzt kein Hit a la Pullover oder Lisbeth drauf (was für mich auch zwei der besten deutschen Popsongs überhaupt sind). Trotzdem ein schönes Album, das sich musikalisch mehr traut als das meiste andere Zeug, das auf deutsch singt. Mir fehlt ein bisschen die Verrückheit der Vorgänger und ich bezweifle, dass Moses Schneider die Produktion besser gemacht hat als die vier zuvor.

    Die Rezension finde ich etwas lieblos. Zeilen wie die erwähnte von enttäuscht als zwanghaft gutgelaunt zu beschreiben, halte ich für eine oberflächliche Betrachtung, aber mit der Einschätzung, dass die vier allen weinerliche Deep-Guys vorzuziehen sind gehe ich d'accord.