laut.de-Kritik

Ein Feuerwerk an geilen Riffs, guten Melodien und Klangspielereien.

Review von

Grenzen sind dafür da, sie zu überschreiten. Dies könnte wohl als Motto des Trios Disillusion gelten. Auch der Nachfolger von "Back To The Times Of Splendor" nimmt den Hörer mit auf eine innovative Reise voller Experimente und genrespezifischer Ausreißer. Schubladen werden dem Werk nicht gerecht, zu weitläufig sind die Einflüsse, zu neu die Wege, die Disillusion da beschreiten.

Mit "The Black Sea" zu Beginn des Albums stellen sie einen der interessantesten Songs an die erste Stelle. Nach dem ersten Durchlauf zeigt sich, dass der Opener fast eine Legierung aus den Elementen ist, die in anderen Songs auftauchen. Der Sound erstreckt sich von verhalten ruhig bis hin zu höchst aufgewühlt und nervös. Harte, geradlinige Riffs ergänzen sich mit dramatischen und hymnischen Melodien, die auch mal abgehackt klingen. Überall hinein spielt das elektronische Element mit verzerrten Riffs und Schmidts nachbearbeiteter Stimme, was wohl die einschneidendste Veränderung im Vergleich zum vorigen Album ist. Der einsetzende Frauenchor verleiht dem Ganzen einen mystischen Touch.

Die Arrangements durchbrechen die Gewohnheit, ab und an dringt latente und offensichtliche Ironie durch. Schmidt singt nicht nur. Er erzählt eine Geschichte, ein Geschehnis, ganz beiläufig, während er an anderer Stelle bedrohlich warnt. Wenn er singt, dann tut er das intensiv und mit einer bebenden Stimme, die den Song trägt. Dabei erinnert er manches Mal sogar an Johnny Cash.

Auffallend sind auch die Nebengeräusche wie etwa Wassergeplätscher, ein Hubschrauber oder ein Schuss. In "Dread It" und im harten "Don't Go Any Further" entsteht der Eindruck, als würde Schmidt in ein Funkgerät sprechen. Den Titeltrack "Gloria" leitet ein Frauenchor ein, der dem Ganzen einen Hauch Mittelalter verleiht. Prinzipiell ist die erste Hälfte der CD dynamischer und interessanter als die zweite. Ein heraus stechender Songs findet sich mit "The Hole We Are In", der einen richtiggehend fetzigen Rhythmus hat und mit einer genialen Stimmlage vorgetragen wird. Am Ende von "Gloria" steht mit "Untiefen" ein würdiger Abschluss, dessen bittersüße und schwere Melodie das anfängliche Wassergeräusch ablöst. Disillusion produzieren ein wahres Feuerwerk an geilen Riffs, guten Melodien und Klangspielereien, ohne den roten Faden zu verlieren.

Hier dröhnt ganz offensichtlich Schräges und Ungewohntes aus den Boxen. Etwas Offenheit sollte man für das neue Werk von Disillusion schon aufbringen. Die Songs besitzen einen besonderen und einzigartigen Charakter und laden ein, sich auf dieses ungewöhnliche Klang-Universum einzulassen. Wer etwas Neues, Unerwartetes und Aufwühlendes hören möchte: Bitte schön!

Trackliste

  1. 1. The Black Sea
  2. 2. Dread It
  3. 3. Don't Go Any Further
  4. 4. Avalanche
  5. 5. Gloria
  6. 6. Aerophobic
  7. 7. The Hole We Are In
  8. 8. Save The Past
  9. 9. Lava
  10. 10. Too Many Broken Cease Fires
  11. 11. Untiefen

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28 Kommentare

  • Vor 18 Jahren

    Wie Worte "befürchten" und "begründen" wurden desöfteren hier durcheinander geworfen. Ich meinte, dass überall steht sie hätten ihren Stil radikal verändert und das habe gar nichts mehr mit der alten zu tun. Das klingt böse, daher schrieb ich von "befürchten", dass ist eine wage Annahme ohne irgendwas "begründen" zu wollen. Joah. Peace Bruder. :)

  • Vor 18 Jahren

    Deine freundliche Antwort überrascht mich. Ich persönlich hatte ja auch wie Du unbegründetet Befürchtungen, insofern sind wir wie geistige Zwillinge, wobei ich der etwas ältere bin und bestimmen darf.

    Zur Platte nochmal:
    Empfehlenswert, aber kein absoluter Knaller aus meiner Sicht. Huluds Befürchtungen sind nicht ganz unbegründet. BTTOS gefällt mir besser.

  • Vor 10 Jahren

    Diese Platte ist bei mir so gut gealtert, dass BtToS wie durchschnittlicher Kinderkram dagegen wirkt udnd rangiert immer noch irgendwo in meinen Top5 Alben des 00er Jahrzehnts.
    Gerade was Gesamtkomposition und Atmosphäre angeht ist die Platte einfach kaum zu schlagen. Die perfekten Wechsel zwischen Riffing und ätherischen Melodien erzeugen Spannungsbögen, die mich auch 8 Jahre später noch staunen lassen. Jeder, der auch nur ansatzweise etwas mit Progrock der härteren Gangart (naja, Genrefizierung ist etwas schwierig hier) anfangen kann, sollte ein paar Durchläufe wagen.