laut.de-Kritik
Und ewig lockt die Tiefe des Basses.
Review von Franz MauererDJ Koze nicht zu mögen, das fällt schwer. Das liegt zum einen an der angenehmen, reflektierten Persönlichkeit des Nordlichts, zum anderen daran, dass wir so viele deutsche Künstler nicht haben, denen sogar international schlicht alles zugetraut wird. So gut "Amygdala" und "Knock Knock" auch waren, gehört zur Wahrheit, dass das unendliche Potenzial von Stefan Kozalla live bisher klarer Umsetzung fand als im Studio.
"Music Can Hear Us" fährt eine noch beeindruckendere Gästeliste als der Vorgänger auf, zwei Namen stechen heraus: Die immer noch sträflich unterschätzte Sophia Kennedy, mit der Koze bereits das Meisterwerk "Drone Me Up, Flashy" aufnahm und Damon Albarn, der zu schlechter Musik wohl gar nicht fähig ist. Neben dem Opener tritt der DJ auf "Aruna", "The Talented Mr. Tripley" und "Buschtaxi" alleine auf und die nehmen wir uns als erste vor.
"The Universe In A Nutshell" zeigt eines schnell auf: Das ist ein Kopfhöreralbum, und zwar eines für die guten, wenn ihr keine gescheite Anlage und tolerante Nachbarn habt. Die Tiefe des Basses, die Komplexität des um das Vocal-Sample herumirrlichternden Geziepes und Gekniedels läuft sonst Gefahr, unterzugehen. In den knapp acht Minuten kann man sich durchaus verlieren, der Song macht es einem aber nicht leicht. Glas Wein, die Nacht bricht draußen an: super. Sonst auch beim mehrfachen Hören vorbeiziehend, ohne eure Aufmerksamkeit wirklich zu bannen, denn selbst eingebaute Harmoniewechsel bringen nie Ruptur, alles geht ineinander über. Das gilt für viele andere Songs des Albums ebenso, deutlicher Hinweis auch für sonst nicht besonders Audiophile.
"Aruna" atmet als vorletzter Song einen ähnlichen Geist von Fingerübung, allerdings mit einer House-Grundlage, auf der Koze-typische gehauchte Samples und gut gelaunte Gitarren im schön gestalteten Zwiegespräch reüssieren. Ganz kurz dreht der Song zwischendrin ab, sucht aber rasch wieder seine Grundmelodie und erst ganz am Schluss reichern Vocoder-Sounds an. Total gut, aber gefühlt die Grundlage für etwas Hervorragendes, das halt nicht da ist. "Buschtaxi" fährt deutlicher auf der Straße Tribal Richtung Club. Man hat nicht den Eindruck, dass Koze einfach keinen passenden Sänger gefunden hätte, auch der hier steht für sich selbst – und das tut er gut, aber mit dem Gefühl, dass mehr gegangen wäre ohne eine überkopfte Limitierung, ohne Angst vorm Durchbrechen des Pathos im Songwriting.
Die von Koze eingesetzten Elemente strahlen oft eine so wohltuende Frische aus, dass es demgegenüber auffällt, wie wenig der Song nach fünfeinhalb Minuten weiß, wohin er eigentlich Schwung holt in einer ruhigen Phase. "The Talented Mr. Tripley" ist von anderer Natur. Der Song weist ebenfalls eine hohe Dichte auf, dazu aber eine klare Songidee, die konsequent verfolgt wird. Das sich ständig hochschraubende Verzweifeln im Kontrast aus Hymne und stark verfremdeter, verhuschter Stimme evoziert viel mehr Gefühle als die anderen drei Solo-Songs.
Ab zum Hauptkorpus, den Feature-Songs, die bei Koze ja immer nur das sind. Die Leute schicken Vokalspuren, den Rest macht er bzw. hat er schon gemacht. Zwei kleine Ausnahmen diesmal: Albarn schickte ihm seine Aufnahmen schon in Autotune, worüber Koze zunächst nicht glücklich war – aber wann hörte man Damon schon so? "Pure Love" ist ein schöner Track, der zur Mitte hin mit seinen spanischen Gitarren dem Kitsch verfällt. Der Track hat mit Elektronik nichts gemein, man merkt ihm die Genre-Herkunft seines Geistesvaters aber im Aufbau an, der für einen so frickeligen Popsong schlicht zu konventionell ausfällt. Der Song ist nicht eintönig, die Haken aber zu wenig dynamisch, zu absehbar.
Die zweite Ausnahme ist "What About Us", zu dem Koze zu Protokoll gab, dass er sich etwas an "Consequence" orientiert habe (das er letztlich auch sampelte), um Markus Acher seine ganz spezielle Sangesart zu ermöglichen. Das ist in der Analyse schon ganz richtig, der Acher braucht für seine wunderschöne, seltsame Stimme einen anderen Rahmen als die allermeisten anderen. Kozalla gelingt das exzellent: Der Song ist merklich nicht The Notwist, erkennt aber all die Anknüpfungspunkte, die diese Band Acher setzt. Ein tolles Stück.
Sophia Kennedy bekommt zwei Gastauftritte. Der erste ist "Der Fall", der zweite das passend dazu benannte "Die Gondel". Das erste gerät wunderschön, wie an überraschend vielen Stellen nimmt eine verspielte Gitarre viel Raum ein und bestimmt den Songverlauf. Kennedy brilliert wie so oft, Koze erkennt, dass seine Kumpeline nicht viel braucht und stellt sie in den Mittelpunkt. Nur zum Ende hin dreht er die Regler auf weird und das hört sich so wahnsinnig interessant an, dass es eine Schande ist, dass die Idee nicht weiterverfolgt wird. "Die Gondel" hält das Niveau nicht, der Song gerät zu simpel, der sparsame, aber dominante Beat wird mit so vielen Effekten befüllt, dass Kennedy und diese beiden anderen Elemente seltsam gleichberechtigt nicht wissen, wie miteinander umzugehen.
Die Single "Brushcutter" ist auf dem Album so langweilig wie sie vorab war. Ein fades, viel zu langes, ideenarmes Strecken, das Marley Waters und Koze nicht konsequent genug Richtung Reggae treiben und das im genrelosen Nirvana irgendwo um Big Beat herum einfach verlorengeht. "Wie Schön Du Bist" baut große Teile von Holger Bieges "Bleib Doch" ein und versammelt mit Armin von den Beatsteaks und The Düsseldorf Düsterboys illustre Mittäter. Das ist alles gefällig im schönen Sinne, ein wenig zu viel wird es, wenn von "meiner wunderschönen Frau" gesungen wird, oder "Wir tanzen Wange an Wange". Dafür baut der lockere Song vorher nicht genug emotionale Intimität auf, schmiegt sich eher dem Sommergrillen an als einer bestimmten Frau.
"Tu Dime Cuando" nimmt sich viel Zeit, bevor Ada und Sofia Kourtesis flott einsteigen; der Song lässt dann aber erneut Luft raus, bevor die beiden ihre Passagen quasi wiederholen. Nichts gegen einen entspannten Vibe, aber der hier ist nicht dezidiert entspannt, eher kurz vorm Pop-Ausbruch, der ausbleibt. Das kann ein schönes Softcore-Gefühl sein, an dieser Stelle bleibt man aber unbefriedigt zurück. Ada leiht auch "Unbelievable" ihre wunderschöne Stimme und dazu kreiert Koze eine wunderschöne Melodie mit getupftem Bass, der den Pinsel selten, dafür fest aufdrückt. So geht das viereinhalb wirklich schöne Minuten und man denkt an Albarn, der besonders bei seinen lieblicheren Reben aufpasst, dass sie immer starke Kontranoten bekommen. Das versucht "Unbelievable" leider nicht.
"Wir gehen an den Strand" antwortet Soap&Skin auf "A Dónde Vas?" und nimmt damit den nächsten Song "Vamos A La Playa" schon vorweg. Das kann sie auch, denn auf "A Dónde Vas?" kommt sie nach ihren einleitenden Worten nicht mehr zur Sprache, es übernimmt ein sehr griffiger, ruhig gespielter Bass und viel Sustain & Decay statt Soap & Skin. Nach knapp drei Minuten wäre es exzellent gewesen, danach übernimmt nach kurzem Leerlauf eine Gitarre, deren Part aber gekappt wird, unvollendet wirkt. Das folgende "Vamos A La Playa" ist eine Schwester im Sound des vorherigen Songs, aber weniger interessant und lebt nur von der Fallhöhe, dass der Song eigentlich eine nukleare Dystopie beschreibt.
Auf dem Closer "Umaoi", zu deutsch Pferdetreiben, gastiert das weibliche Ainu-Gesangsquartett Marewrew aus Hokkaido. Das ist so ungewöhnlich und fremd, es ist geradezu anmaßend, die Upopo-Tradition irgendwie tauglich übersetzen oder einbetten zu wollen. Das schafft der Koze in unnachahmlicher, souveräner, herrlicher Weise, man möchte ihm auf den Kopf hauen, so sehr blüht er bei dieser Herausforderung auf.
Bei Kennedy merkt man es nicht, weil sie so saustark ist, Acher unterwirft sich Koze, aber bei allen anderen Gästen krankt "Music Can Hear Us" daran, dass sie zulassen (müssen), dass Koze es sich zu leicht macht mit ihnen. Der Produzent von Roisin Murphys "Hit Parade" liefert ein gutes Album ab, das trotzdem etwas unter seinen Möglichkeiten bleibt. "Music Can Hear Us" fühlt sich an wie eine Songsammlung, nicht wie ein Album, und nimmt beharrlich oft mit Ansage die erste, einfache Ausfahrt, präsentiert bis dahin aber eine makellose, steinchenfreie Asphaltdecke, die einen umso mehr lechzen lässt nach mehr Spiel und Spaß und weniger Kitsch.
1 Kommentar
Der weiß immer, wie man Trends erkennt, aufgreift und sogar mitfördert und dann ist auf den Alben trotz einiger hörbarer Nummern immer so viel verschenktes Potential mit dabei, wo es sich Kozalla zu sehr in seinem eigenen Kosmos bequem macht. Die Clubbanger bleiben immer noch am Besten.