laut.de-Kritik
Der Hiob des Rock erstickt Melodien in Tristesse.
Review von Julia KindelMister Everett ist eine Art moderner Hiob. Wir erinnern uns: Das war dieser biblische Typ, dem Gott permanent in die Eier trat, um zu schauen, wie groß sein Durchhaltevermögen in Glaubensfragen ist. Dem Eels-Sänger hat das Leben ähnlich übel mitgespielt. Er wird auch nach neunzehn Jahren Musikerdasein nicht müde, dies zu beklagen. Aber er macht weniger hilflos als Hiob weiter und rotzt dem Leben Album um Album entgegen, auf dass es abhaut und ein besseres kommen möge.
"Life is hard and so am I" sang er schon vor langer Zeit, und es scheint, als wäre es nach Jahren der musikalischen Selbsttherapie etwas leichter geworden für den US-Amerikaner. Sein elftes Album ist eine Bestandsaufnahme des Vergangenen, manifestiert das Jetzt und blickt in die Zukunft. "The Cautionary Tales Of Mark Oliver Everett" ist wieder eine Nabelschau, und einmal mehr trieft die Platte geradezu vor Schwermut und trüben Gedanken. Aber E wirkt dennoch auch zuversichtlich, genügsam und hoffnungsvoll.
"The Cautionary Tales Of Mark Oliver Everett" ist ein Lehrstück darüber, wie man ein Leben führen kann. Die Chronologie startet mit der Gegenwart. "Where I'm At" beginnt das Album mit sanften Bläsern und einem bestimmten Klavier. Der Instrumentaltrack vermittelt eine prächtige Gemütslage seines Autoren und gleitet ruhig zum sachten Gitarrenspiel von "Parallels". Hier singt Everett vom Weitermachen trotz Widrigkeiten und dem Suchen nach Antworten, nach etwas Größerem und dieser einen Person.
Das erhabene "Lockdown Hurricane" protzt mit einer instrumentalen Fülle von Orgel, Klavier, Streichern und einem sehr präsentem Schlagzeug samt Percussions. Das um eine gleichnamige verflossene Liebe trauernde "Agatha Chang" ist an dieser Stelle der Höhepunkt an Zähheit. Das hofft man jedenfalls bis die ersten Minuten des Folgetracks "Swallow In The Sun" vergangen sind und klar ist, dass man nicht auf einen speziellen Turn im Song warten muss.
Irgendwann kommt wieder das Ausfaden und die Eels haben fast schon das halbe Album mit schleppender Tristesse verspielt. Das Handwerk sitzt, aber die imposante Instrumentierung kann nicht über die Öde innerhalb der Songs hinwegtäuschen. Dann kommt "Where I'm From" und entschädigt mit seiner leichtfüßigen Melodie und dem kontrastierten Thema. Everett besingt mit den drei Geistern der Vergangenheit seine Familientragödie, vermittelt dabei jedoch ein warmes Grundgefühl.
Ein Glockenspiel zu zarten Streicher und geisterhaft hohen Vocals bei einer eingängigen Melodie kennzeichnen "Series Of Misunderstandings". "Kindred Spirit" schlägt zwar keine hohen Wellen, glänzt aber mit leichtem Sound, schönen Zeilen und einem tollen Arrangement. Wie auch schon in vorangegangenen Songs erinnert Everetts Vortragsweise in "Gentlemens Choice" an den klassischen Frank Sinatra. Der ist jedoch schnell wieder verschwunden und wird in "Dead Reckoning" von einer göttlichen Stimme aus dem Off ersetzt – Es Stimme plus Autotune und elektrischem Paukendonner. Der vorletzte Song "Mistakes Of My Youth" geht endlich mal voran und schlurft nicht von Zeile zu Zeile. Auch hier zeichnet sich wieder ein Kontrast zwischen schweren Lyrics und verspielter Melodie ab.
E macht Musik, weil ers kann. Sein steter Erfolg und eine treue Fanbase geben ihm Recht. Obwohl der Titel ein Soloalbum erahnen lässt, haben seine Bandkollegen Kool G Murder, The Chet, P-Boo und Knuckles nicht nur beim Performen, sondern auch beim Songwriting und den Arrangements Hand angelegt. Schon vor den Aufnahmen des letzten Albums waren große Teile der "Cautionary Tales" entstanden. Der unzufriedene Perfektionist E ließ sie jedoch erst einmal ruhen und legte nach der "Wonderful, Glorious"-Welttournee noch einmal Hand an. Die Songs seien ihm bis dahin noch nicht unbequem genug gewesen.
Das Entstandene, das er mit Tiefgang labelt, könnte man jedoch auch zäh und überdehnt nennen. Ein einfach gestricktes Konzept provoziert die hoffnungsvolle Ader, die das Album durchzieht: Jenes war einmal, das hier ist jetzt und was auch immer kommen möge, "I've got a good feeling 'bout where I'm going" singt er in der letzten Zeile der Platte.
Den grenzenlosen Optimisten gibt er trotzdem nicht. Vielmehr bereut er, besingt die Geister seiner Familie und den Tod, trauert verflossenen Gelegenheiten und Lieben hinterher. Seine Autobiografie gibt nun mal keinen Stoff für einen Gute-Laune-Supersommerhit, und locker, flockig, flauschig würde ihm auch keiner abkaufen. Trübsinn steht Eels sehr gut, aber den plakativen "Ärmel hoch und weiter machen, Ende gut alles gut"-Habitus hätten sie sich sparen können. Er wirkt zu gewollt. Das Leben gab Mark Oliver Everett Zitronen und er macht Songs daraus. Manchmal wünscht man jedoch, er hätte ein wenig Salz und Tequila hinzugezogen. Hat man den mächtigen Kaugummiberg eintöniger Tracks durchgekaut, knirschen einige wunderschöne Perlen zwischen den Zähnen. Den sauren Nachgeschmack der Tristesse machen die wenigen großartigen Songs jedoch nicht wett.
6 Kommentare mit einer Antwort
Hab es jetzt 2-3 Mal im Stream gehört und kam bisher nicht auf die Idee, fünf Sterne zu vergeben. Vielleicht habe ich aber auch nur nicht genau hingehört. Momentan sehe ich es, ähnlich wie den Vorgänger, bei soliden vier. Hoffe nach wie vor auf einen Live-Version von Wonderful, Glorious, auf Tour haben die Songs alle 200% zugelegt.
Ich bin von der Wertung auch überrascht. Für mich hebt sich das qualitativ nicht sonderlich von den letzten Eels-Auswürfen ab, an "Daisies" oder "Freak" reicht's für mich lange nicht heran.
Ich würd' irgendwas zwischen drei und vier Sternen geben, muss es aber noch ein paar mal hören.
Äh, okay, nun ist die Redaktionswertung auf drei ...
War wohl ein (jetzt korrigiertes) Versehen mit dem Redaktions-Fünfer.
Jetzt sind es auch drei Sterne. Na ja, wie auch immer.
Plätschert komplett vor sich hin - total belangloses, uninspiriertes und eintöniges Album. Bestenfalls 2/5 (weil zumindest "Where I'm From" ganz gut ist).
Ich bin großer EELS-Fan (obwohl ich das Wort Fan eigentlich doof finde) und finde jetzt - nach mehrmaligem Anhören - die Platte ziemlich gut. An Blinking Lights kommt es nicht heran, das ist aus meiner Sicht unerreichbar gut. Ich stimme der Rezension einerseits zu, es ist ein "zähes" Album, das anfangs wirklich nicht beeindruckt. Andererseits ist es aber gerade das, was die EELS auszeichnet, dass man sich "reinarbeiten" muss, und dass jedes Album einen Tick anders funktioniert, bei gleichzeitiger Konstanz des Stils. Die EELS versuchen halt nicht, irgendwelchen Trends hinterherzulaufen sondern ziehen ihr Ding durch. Entweder man mag es oder nicht. Man muss auf jedenfall eine melancholische Ader haben (manche verwechseln Melancholie mit Langeweile , um sich mit dem Album anzufreunden. Es ist nicht das beste Album, aber es ist gut. Für mich sind es 4 Sterne...
Gekauft, gehört und erst einmal liegen gelassen weil irgendwie fehlt was!
3 Monate später läuft es und ich finde es gut! Je öfter ich es höre, desto besser wird es!