laut.de-Kritik
Amanda Palmer und Jason Webley erfinden sich neu.
Review von Mathias DeneckeAmanda Palmer von den Dresden Dolls ist im Clinch mit ihrem Label. Sie trotzt ihm, marschiert wild entschlossen mit Folksänger Jason Webley ins Aufnahmestudio und produziert zwölf Lieder. Doch wie bringt man nun die neue Scheibe unter die Leute? Ganz einfach! Amanda und Jason erfinden sich neu und stiften Verwirrung.
Manege frei - beide zeichnen für das Album lediglich als Dompteure verantwortlich und setzen einen Zwilling ins Scheinwerferlicht. Genauer: einen Siamesischen Zwilling. Pressewirksam mischten die beiden eigentlichen Köpfe eine zirkusreife Geschichte um Evelyn Evelyn unter das Publikum. Diese seien sehr menschenscheue "Parapagus-Tripus-Dibrachius-Zwillinge", die sich "drei Beine, zwei Arme, zwei Herzen, drei Lungen, und eine einzige Leber" ("The Tragic Parts Of September Part I") teilten.
Evelyn und Evelyn wuchsen als Waisen auf und machten erstmals von sich reden, als sie 1996 im Wanderzirkus "Dillard und Fullertons's" ihren ersten öffentlichen Auftritt bestritten. Hier entwickelten sie ihre Liebe zur Musik und zur Bühne. Mit 19 Jahren stiegen beide – wie auch sonst? – frustriert aus dem Zirkusleben aus und stellten ihre Musik auf MySpace. Prompt entdeckten Palmer und Webley die beiden und förderten sie.
Damit dürften ausreichend Showplakate ausgehängt sein. Wer noch nicht abgeschreckt ist, bekommt ein ziemlich buntes Bonbon voll süßer Ironie, säuerlich-schäumendem Humor und einen harten Kern kindgerechten Trübsinns im Innern geboten, der die Verzehrzeit hinauszögert.
In ihre Studiomanege mixten die beiden Künstler neben Piano, Ukulele und Akkordeon ein paar Gitarren, Contra-Bass, Cello und Tuba zu einem mal antiquierten, mal recht eingängigen Arrangement zusammen. Sie schweifen von Epochen in die verschiedensten Genres und besingen im Duett Evelyn und Evelyn. Dialoge und Traumeinschübe über die Geburt, Ängste und Vergangenheit ("The tragic parts of September Part I", "Tragic Events part II" und III ), wenig rosige Aussichten ("Evelyn Evelyn") und natürlich das Zirkusleben ("A Campaign of Shock and Awe") sind Teil der Vorstellung.
Die Selbstreferenz pulsiert von Lied zu Lied stärker. So z.B. in der 80er-Ballade "My Space", die auf die vermeintliche Entdeckung der Zwillinge verweist. Die Darbietung wirkt erwartbar verquer und wirr. Die Zugabe ist zugleich der absolute Höhepunkt, der das ganze Vorhaben doppelt unterstreicht: mit einem Cover von Joy Division. Welcher Song passte hier auch besser als "Love Will Tear Us Apart."
Der Langspieler markiert eine nette Abwechslung im Frühling und steht dem April in seiner Wankelmütigkeit in nichts nach. Man muss auch kein Zirkusfan sein. Dennoch ist Vorsicht geboten, dass einem das Bonbon nicht quer im Halse stecken bleibt. Geschmackssache eben.
1 Kommentar
Ziemlich cooles Teil. Erinnert mich persönlich ein wenig an Tim Burton... aber das kann auch täuschen!