laut.de-Kritik
Siehe Lukas-Evangelium 23, 34.
Review von Yannik GölzWir haben in den letzten Jahren immer wieder Rapper gesehen, die in ihrer Nische so sehr explodiert sind, dass sie sich auf einmal auf der großen Bildfläche behaupten mussten. Und es ging nicht oft gut. Denn oft verzweifeln eindimensionale Rapper daran, dass ihnen auf einmal ein vieldimensionales Projekt abverlangt wird.
Kurz sah es trotzdem so aus, als könnte Fivio Foreign diesem Aufstieg gewachsen sein. Immerhin zeigte er in Freestyles, vereinzelten Storytellern und auf seinem unglaublichen Verse auf Kanye Wests "Donda", dass er mehr zu bieten hat als das Adlib-Sperrfeuer seines großen Hits "Big Drip". Aber was er an Herz und Seele zu bieten hat, das lässt er an Vision vermissen, "B.I.B.L.E" fehlt es gänzlich an Richtung. Mit jedem fehlgeleiteten Versuch, jede gerade populäre Pop-Rap-Formel zu verfolgen, zeigt er nur, dass er als Performer noch sehr limitiert ist.
Es fehlt vielleicht schlichtweg der Blueprint, was man nach dem New York Drill tun könnte. Denn was dort gilt, lässt sich auf Albumlänge schlecht anwenden. Die Jagd nach der aberwitzigsten Single mit dem absurdesten Sample und dem ruppigsten Musikvideo hat Rappern wie Fivio, SleepHallow oder 22Gz Hits beschert. Aber dieser Sound kann nur so weit wachsen, weil er für den Mainstream zu hart klingt und sich für das Medium Album auch nur bedingt anbietet. Es müssen also Ideen entlehnt werden. Fivio borgt sich diese Soundentwürfe von Pop Smoke, Kanye und Lil Tjay - aber findet in keinem von ihnen eine überzeugende Heimat.
Für den unterschwelligen R'n'B von einem Lil Tjay klingt seine Stimme viel zu hart, und so richtig gefühlvolle Texte bekommt er auch nicht zustande. Es ist ja nicht mal so, dass er nicht irgendwie süß wirkt, wenn er in Interviews sitzt, aber er rappt und textet einfach zu grobmotorisch und klotzig, um eine sensible Seite zu entfalten. Vor allem, wenn sein bester Entwurf von Atmosphäre aus extrem offensichtlichen Samples besteht. Brooklyn-Sample-Drill wurde dieses Genre schon geschmäht, und der Reiz davon, Ne-Yo, Destiny's Child oder Ellie Goulding richtig plakativ neu aufzulegen, flacht schnell ab.
Ansonsten macht man, was jedes Major-Label mit neureichen Rappern macht, die kreativ sonst nicht viel anzubieten haben. Man lässt sie einfach quer durch die Industrie featuren und guckt, ob irgendwo Synergie entsteht. Warum sonst würden wir hier Duette mit Lil Yachty, A$AP Rocky, Coi Leray, Polo G oder Quavo finden? Immerhin merkt man allen Gästen an, dass sie musikalischen Respekt für Fivio mitbringen und Bock haben, mit ihm Musik zu machen. Aber da der gerade wohl musikalisch in einer kompletten Identitätskrise steckt, wusste keiner, mit was für einem musikalischen Gegenüber man eigentlich verhandeln soll. Schlechtes Omen, wenn Blueface die organischste Zusammenarbeit ergibt.
Auch die übriggebliebenen "Donda"-Tellerreste, die vor allem in aus dem Nichts auftauchenden Gastauftritten von KayCyy und Vory äußern, bauen nicht viel Atmosphäre auf, wenn ihre orchestralen Industrial Gospel-Klänge dann nur wieder in die nächste halbherzige Feature-Nummer überleiten. Wenn dann schließlich DJ Khaled auf einem überdramatischen Drill-Beat doziert, dass Fivio da "Bible-Talk" betreibe und sich auf noch mehr Neider gefasst machen sollen, verstehe der Himmel, was eigentlich die Themen dieses Albums sein sollen.
Fivio selbst steht als letzter Lichtstrahl im Auge dieses chaotischen Projekts und wartet eigentlich nur auf die Gelegenheit, endlich so richtig aus sich heraus rappen zu können. Mit "Feel My Struggle" und "Whoever" finden sich zwei Solonummern unter den besten Songs, er hat offensichtlich Bock, zu rappen. Das war doch immer seine große Stärke: Dass er wirklich dieser Kerl ist, der jetzt mit Anfang dreißig Jahrzehnte ganz tief in der Szene gesteckt hat, dass er wirklich richtig harte Scheiße gesehen hat und mit seiner eigenen Stimme darüber sprechen kann. Aber "B.I.B.L.E." ist so ersoffen in wahllos zusammengeschobenen Fragmenten, dass sein eigener Protagonist darin wie eine Randerscheinung wirkt und immer, wenn er gerade anfängt, einen Fuß in die Tür zu kriegen, wieder von irgendjemandem unterbrochen wird.
Eigentlich wirkt es absurd, wie dieser erzsympathische und charismatische Rapper wieder und wieder von seinen eigenen Songs geschwemmt wird, weil sein Label oder er selbst ihm nicht zutrauen, für eine Pop-Rap-Hörerschaft präsentierbar zu sein. Aber was ist denn dann der Sinn des Ganzen? Vielleicht lautete der Plan, ein Album so ähnlich wie das Kollaborations-getriebene "Donda" zu schaffen. Aber Fivio fehlt die Autorität und Erfahrung als Kurator, um so ein Album um ein kohärentes Epizentrum zu drehen. Was ist "B.I.B.L.E." schließlich? Drill? Pop? RnB? Gospel? Es ist ein beeindruckend desorientierter Versuch, alles gleichzeitig zu sein, der sich schließlich auf nichts von alledem so richtig einlässt. Man will wirklich, dass Fivio allen Erfolg der Welt findet. Aber das kann sich erst einstellen, sobald er bereit ist, sich auf sich selbst zu verlassen.
1 Kommentar
Verstehe Kritik nicht… Also 3/5 hätte das Werk schon verdient gehabt…Wer US Drill à la Pop Smoke mag kommt hier schon auf seine Kosten… Magic City & City of Gods ballern böse ????????