laut.de-Kritik

In dicker Hose auf Mission Weltverbesserung.

Review von

Style genügt nicht mehr. Wer auf sich hält, hat mindestens den Überstyle. Klar, dass Karuzo da noch einen draufsetzen muss. "Ich hab' den Überüberstyle und ich lass' es raus." Stimmt wohl: An Style mangelt es Genetikk wahrlich nicht. Die Masken, das ganze Auftreten, das Artwork, die Optik der Videos, die Soundästhetik: allesamt stylish as fuck.

Genetikk haben den Überüberstyle. Dieser Umstand und die Erfolge in der Vergangenheit rechtfertigen durchaus die gepflegte Arroganz, die der Mann am Mic, "getroffen vom göttlichen Blitz", in jeden, Vers, jede Zeile, jedes Wort, jede Silbe spuckt: "Alles, was ich anfass', so unendlich premium." Stimmt das denn?

Muss wohl: "Widerspruch zwecklos, ich habe gesprochen", nölt der "Rap Superstar" gleich im zweiten Track ganz explizit, mit angekratzter Stimme, lallendem Zungenschlag und übermenschgroßem Ego. Das hat durchaus etwas Eigenes, viel Besonderes. Karuzo rappt selbst mit durchgedrücktem Gaspedal trittsicher und schmiert entsprechend auch in A-Cappella-Passagen nicht ab, in denen mancher Kollege arg blass aussähe. Die mangelnde Abwechslung in seiner Darbietung lässt sich trotzdem schwer übersehen: Auf Albumlänge klingt Karuzo verdammt eintönig.

Ein Vorwurf, den sich Produzent Sikk nicht gefallen lassen muss: Musikalisch entspricht "Achter Tag" voll allen "Überüberstyle"-Lorbeeren, die im Vorfeld der Veröffentlichung in die Runde flogen. An den Beats liegt es nicht, dass der "D.N.A."-Nachfolger einen wahnsinnig zerklüfteten Eindruck hinterlässt. Vom filmreif bombastischen Auftakt im Titeltrack über nostalgische Gefühle befeuerndes Rauschen und Knistern in staubig verhangenen Atmosphären lädt er direkt ins "House Of Flying Daggers", wo der Wu-Spirit wohnt.

Boom-Bap, rollende Snares über mächtigen Bässen, von leichter Hand eingestreute elektronische Akzente, dunkle Streicher-Klavier-Melancholie, Kirmesorgel, Klingeling zwischen flüchtigen Saitenspielereien, scheppernde Gitarren, packende Grooves, Scratches, Filmschnipsel: All das und noch viel mehr schüttelt Sikk aus seinen Reglern, prügelt zudem noch den bei den Toten Hosen entliehen Kinderchor in Form und lässt all das so leicht aussehen, wie Karuzo es in "Rap Superstar" von seinem Vortrag behauptet.

Vielleicht liegt das unentschlossene Gefühl, das "Achter Tag" beschert, auch an der seltsam zwiegespaltenen Themenwahl. Karuzo wechselt übergangslos von grandioser Überheblichkeit zu harmonieseliger Nächstenliebe. Das mutet ob des scharfen Kontrasts ziemlich merkwürdig an. Ja, was denn nun? Jedem mit Respekt und mit Ehre begegnen, oder ihn mit einem "Ihr habt alle ausgedient" abkanzeln? Konsum- und Kapitalismuskritik üben, wie in "Wünsch Dir Was" oder "Luxus pur plus Uhren und Schmuck für meine Crew im Tourbus" anstreben, wie in "22MMM"? Die Erinnerungen an diverse erste Male in Ehren halten, wie es "Mal Es In Die Wolken" fordert, als Summe der Erfahrungen, die einen ausmachen, oder doch nur als schnöde Trittstufen auf dem Weg zur ersten Million?

Mit der ganz dicken Hose ist man vielleicht doch nicht unbedingt adäquat angezogen für die Mission Weltverbesserung. Vielleicht kommen mir die positiven, menschenfreundlichen Botschaften, etwa in der "König Von Deutschland"-Neuauflage "Die Welt Heilt", deswegen so deplatziert vor, weil Karuzo sie vom hohen Ross herab verkündet. Zwischen dem breitbrüstigen "Dago" und dem Rächer der Witwen und Waisen aus "Einer Von Den Guten" scheinen mir jedenfalls Welten zu liegen, zwischen denen sich nicht so ohne weiteres hin- und herhüpfen lässt.

In "Don't Legalize It" redet Karuzo der Dealerzunft das Wort, die sich das Kräutergeschäft natürlich ungern von staatlichen Stellen aus den Händen nehmen lassen will. Eine Thematik, aus der Pop-Superstar Sido so unwiderruflich herausgewachsen ist wie aus seinem auch hier noch einmal strapaziertem Block. Sein Auftritt auf "Achter Tag" wirkt in etwa so fehl am Platz, wie die ganze Nummer im Albumkontext dasteht.

"Jungs Ausm Barrio" will sich irgendwie auch nicht so richtig einfügen, erscheint, wie nachträglich auf die Platte geworfen. Über Ssio, der hierfür einen Gastpart ums Eck schickt, muss ich aber einfach immer lachen, Nuttööö! Deswegen: geht schon klar. Warum Genetikk für "Sterne" a) die ausgelutschtesten Bibelstellen, das Vater Unser und den 23. Psalm nämlich, noch weiter auslutschen und b) zudem Max Herre ins Boot holen mussten, entzieht sich wieder komplett meinem Verständnis.

Aber Karuzo ist eben nicht von dieser Welt, wie "Outta This World" noch einmal betont. Deswegen stimmt er sein Requiem auch höchstpersönlich an. Ehre, wem Ehre gebührt, und damit das richtig passiert, lässt man sie sich am besten gleich selbst angedeihen. Auch keine völlig neue Idee, aber auf jeden Fall ein ruhiger, stimmungsvoller Ausklang.

Am Ende herrscht neben diffuser Ratlosigkeit die düstere Ahnung, dass von diesem Werk höchstens einzelne Tracks überdauern werden. "Achter Tag" als Ganzes jedoch dürfte eher keine allzu lange Halbwertszeit beschieden sein. Schade, eigentlich. Das Ding sieht von außen betrachtet nämlich durchaus wie ein Gesamtkunstwerk aus, und besonders auf Produzentenseite steckt ganz schön viel Talent unter der Maske. Vielleicht hätte man ein bisschen weniger Energie in die Beschwörung, und dafür einen Hauch mehr in die Kontrolle des Monsters investieren sollen.

Trackliste

  1. 1. Achter Tag
  2. 2. Rap Superstar
  3. 3. Überüberstyle
  4. 4. Einer Von Den Guten
  5. 5. Dago
  6. 6. Wünsch Dir Was
  7. 7. 22MMM (Prelude)
  8. 8. 22MMM
  9. 9. Caput Mundis
  10. 10. Mal Es In Die Wolken
  11. 11. Mein Kung Fu
  12. 12. Die Welt Heilt
  13. 13. Don't Legalize
  14. 14. Jungs Ausm Barrio
  15. 15. Sterne
  16. 16. Outta This World

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20 Kommentare mit 35 Antworten

  • Vor 9 Jahren

    Sehr gute Review! Spiegelt meine gespaltene Meinung über das Album sehr gut wieder. Während Sikk zur neuen Höchstform aufläuft wirkt Karuzo satt undals ob seine lyrics den biss verloren hätten. (Meine Zukunft ist positiv wie mein Urintest o.O)

  • Vor 9 Jahren

    die tracks klingen wie mittelmass..schon ein bisschen entäuscht aber ich gebe der scheibe noch ne chanche..

  • Vor 9 Jahren

    Die Review ist top, kann ich so eigentlich unterschreiben! :)

    Ich habe mir gestern mal einen Durchgang gegönnt, da ich dem Style der inzwischen 8 (wtf? :D) Leute schon hier und da was abgewinnen konnte und mir gerade die ersten Releases größtenteils zugesagt haben. Die Produktionen hier suchen in Deutschland teilweise auch echt ihresgleichen. Ganz groß, was Sikk da leistet. Umso schlimmer sind dann auch diese Beatverschwendung und Sikks grundsätzliche Unlust, auch mal für andere Sprechgesangsartisten zu produzieren.
    Technisch kann man Karuzo ja nicht viel vorwerfen, auch harmoniert er an sich gut mit Sikks Glanztaten, wenn man das Album im Hintergrund laufen lässt. Sein unsympathisches, aufgesetztes, langweiliges und widersprüchliches Gelaber kann ich mir aber überhaupt nicht mehr geben. Habe auch den Eindruck, dass das von Release zu Release schlimmer wird.
    SSIO liefert hier mal wirklich mit Abstand den besten Part des Albums, Sido mit seiner ekligen Hook einen erwartbaren Tiefpunkt und Herre scheint irgendwo Ende der 90er hängen geblieben zu sein. Insgesamt sehr durchwachsen. Eher 2/5, da ich auf einen weiteren Durchgang keinen Bock habe.

    • Vor 9 Jahren

      Will ja eigentlich nich schon wieder mit der verbalen Schwanzlutscherei anfangen, aber man stelle sich mal einen hanseatischen Afghan auf Sikk Beats vor...

    • Vor 9 Jahren

      Diese Vorstellung hat auf jeden Fall ihren Reiz. Ich habe aber auch rein gar nichts dagegen, diesen hanseatischen Afghanen hoffentlich noch zur Jahresfrist auf Albumlänge über AON-Biester flowen zu hören. :D

      Davon abgesehen habe ich das Album heute aus einer Laune heraus übrigens ein weiteres Mal gehört und es gab leider keinen Aha-Effekt, mein Eindruck hat sich eher verfestigt. Ein recht solider Beginn, aber es baut immer mehr ab und ein paar Nummern gegen Ende möchte ich am liebsten nie wieder hören. Definitiv das ambitionierteste, aber auch schwächste Genetikk-Album. Bin momentan echt abgeturnt von Selfmade.

  • Vor 9 Jahren

    Wie können ein Produzent, der in Deutschland seinesgleichen sucht, und ein Rapper, dessen Atmosphäre, Flow und normalerweise auch seines Lyrics ebenso in deutscher Sprache einzigartig sind, so ein mittelmäßiges Album kreieren? Ich hätte nicht gedacht, dass ein Genetikk-Album sich wirklich hinter dem Machwerk von Lance Butters verstecken müsste, was am gleichen Tag erschienen ist...

  • Vor 9 Jahren

    Nachdem ich nun das Album oft genug gehört habe, eine solide 2,5/5 weil einfach richtig viel Scheiße dabei ist.
    Enttäuschendstes Release seit Jahren für mich.
    Degeneration zu Hipster-Sellout-Jockeln übrigens auch in vollem Gange, aber Hauptsache pseudointellektuelle Floskeln und riesen Gesülze und schon sind sie die geistigen Retter der Nation weil die Hälfte ihrer Fans pseudointellektuell nicht buchstabieren könnten und jeden Hirnschiss für den Stein der Weisen halten.
    Schwarzer Pullover wo "Hikids" draufsteht - 110Euro.
    Fanboys, echte FB-Kommentare: -Das sie "soviel" Geld nehmen müssen liegt daran, dass HiKids kein rießen Label ist mit hohen Produktionschargen. Daher müssen sie mehr Geld verlangen um überhaupt etwas einzunehmen.
    -adidas können ihre pullis halt für 50-80€ verkaufen, weil die zich verschiedene pullis in zich verschiedenen farben haben! HiKids hat nunmal nicht so viele Pullis „grin“-Emoticon.
    -Außerdem finde ich es gut wenn die Alben Abwechslung haben, dann ist das nicht immer der selbe Rotz wie bei Farid Bang oder Kollegah. Tracks wie Einer von den Guten, Jungs ausm Barrio, Überüberstyle oder die Welt heilt sind einfach jetzt schon classic! Genetikk ist mehr als Musik, eher eine Bewegung. Erinnert mich ein bisschen an Guy Fawkes, ihre Prinzipien.
    -Die Leute, die meinen Achter Tag sei "0815", die hören Musik zwar, verstehen Sie aber nicht. Allein schon "Die Welt heilt" ist einfach ein Meisterstück, was sich jeder zu Herzen nehmen sollte. Wenn ihr Gangster Straßen shit sucht, dann hört Farid Bang oder einen von den Affen.

    Falls einer der Verfasser seinen Kommentar wiedererkennt: du bist ein Schwachkopf und Huso.

    • Vor 9 Jahren

      Wird also nicht besser, hm? Habs mir ja immer noch nicht ganz gegeben, aber dann lass ich das wohl auch. Schade! ... Die Kommentare sprechen für sich. Mittlerweile tragen auch vollbärtige Hornbrillen ("Sonst höre ich ja kein Rap, aber...") Schwarz-Weiß. Jeder die Fans, die er verdient.

    • Vor 9 Jahren

      Mach ruhig, paar gute Beats sind bei.
      Aber als Album kann man sichs nicht auf Dauer geben, 2/3 der Tracks löschen, Rest in ne große Playlist mischen mit guten Sachen, dafür ist es aber auf jeden Fall ok :-)

  • Vor 9 Jahren

    Ich verstehe die ganzen durchschnittlichen Bewertung zu den Album nicht. Feier das bis zum es geht nicht mehr. War letztens noch auf der Achter Tag Tour und die Jungs rocken auch Live richtig. Finde ihr bestes Album neben D.N.A.! Bekommt 5/5