laut.de-Kritik
Autos, Knarren, Messer und jede Menge Testosteron.
Review von Dani Fromm"Abhängen, Drogen nehmen, dumm sein: Das ist nicht gesund. Verschwende keine Zeit, deine Zukunft bleibt Mittelpunkt." Man möchte zustimmend nicken, lauscht man den gar nicht dämlichen Erkenntnissen, die Haftbefehl und Jonesmann in "Narben Bleiben" ausbreiten. Angesichts der davor und danach ausgewalzten, vor Waffengefuchtel, Dealergeschichtchen und Statussymbol-Protzereien strotzenden Eindimensionalität mutiert die Bewegung jedoch zu verzweifeltem Kopfschütteln. Alter Vatter!
Das soll "humorvoll, eigenständig und trotzdem glaubwürdig" sein und "das totgesagte Genre Straßenrap reanimieren" - wie man bei der Juice behauptet? Haftbefehl soll sich damit unter die "beliebtesten und talentiertesten Künstler des Landes" rappen? Hallo, 16bars? Bei solcher Begeisterung unter der versammelten Kollegenschaft frag' ich mich schon, ob ich möglicherweise einen der zahlreich zelebrierten Schüsse nicht gehört habe.
In meinen Ohren hat Haftbefehl jedenfalls kaum mehr als die üblichen, inzwischen wirklich strunzlangweiligen Hustlerstorys und Ghettoposen zu bieten - diese dafür aber noch mäßig formuliert und unsauber gereimt. "Ein Stilmittel", wie mich Kommentare bei rap.de belehren. Nicht etwa Unvermögen. Aha.
Haftbefehls Vortrag: unbestritten speziell. Wiedererkennungswert gestehe ich seiner im Kontrast zu seinen Testosteron-starrenden Texten verblüffend hohen Stimme zu. Sein ungewöhnlicher Flow, seine seltsame Art, Worte und Zeilen zu betonen, mag einem auf den Senkel gehen. Immerhin: So macht es nicht jeder Zweite.
Reicht das? Rechtfertigt es den nahezu völligen Verzicht auf Grammatik? Darf man sich deswegen komplett sparen, irgendeinen Satz auszuformulieren oder seinen Zeilen doch wenigstens einen simplen Endreim zu suchen? "Im Park kannst du nachts meine Tracks und Parts hör'n / Gangster rappen mir nach aufm Ghettoblas-tör." Autsch.
Autos, Knarren, Messer, die Rolex - wie begehrenswert all das glänzt, haben uns schon längst dreihundert andere Schmalspur-Ganoven erzählt und dazu die vermeintlich überpotenten Pimmel geschwenkt. Immerhin: In Haftbefehls Gegenwart kommen mir Manuellsen, Chaker und Massiv vor wie die reinsten Flowgranaten.
Warum Haftbefehl allerdings neben einem Azad oder einem Kollegah mit der eigenen Darbietung nicht vor Scham im Erdboden versinkt, wird mir wohl so unbegreiflich bleiben wie die Umstände, die all diese Großkaliber zu Gastauftritten verlockt haben mögen.
"Azzlack Stereotyp" langweilt mich zu Tode, lässt an zwei oder drei Stellen aber dennoch die Ahnung aufblitzen: Das müsste nicht so sein. Haftbefehl besitzt, wie sich in unter anderem "Hass Schmerz" offenbart, ein scharfes Auge für seine offenbar recht unfrohe Umgebung.
Wenn er sich einmal nicht auf Wortfetzen und Satzbruchstücke beschränkt, zieht er mühelos mit einigen wenigen Worten erschütternd nachvollziehbare Szenarien auf wie im Einstieg zu "Dunkle Träume". Der dunkel-melancholische Beat dazu samt verrauschtem Klavier stammt wie einige andere aus Stis bewährter Schmiede.
Dem eingangs zitierten "Narben Bleiben" lässt sich ebenfalls wirklich nur ankreiden, dass man Haftbefehl die hier beschworene Witzlosigkeit von Äußerlichkeiten nach all dem Blödsinn der Marke "Scheiß auf die Schule, nur der Knast macht dich hart", den er bis hierher verzapft hat, einfach nicht mehr abnimmt. Es stimmt offenbar: "Dieses Leben macht dich schizophren."
"Deutscher Rap ist am Arsch und richtig Blamage." "Azzlack Stereotyp" hält dieser ebenso weit verbreiteten wie verzerrten Wahrnehmung nichts entgegen - auch das muss man also so hinnehmen. Dass ein Konstrukt namens "Frankfurt - Offenbach" existieren könnte, wird jeder aufrechte Frankfurter dagegen weit von sich weisen. Für ihn bleibt Offenbach, was Fürth für den Nürnberger darstellt: der Pickel am Arsch der eigenen Stadt.
372 Kommentare mit 7 Antworten
Schon die vierte CD in dieser Woche mit nur einem Punkt...
autsch, mal wieder ein grandioser fail seitens laut.de. und noch dazu weniger als bmw. lol.
Billig-Rap wie ihn keiner braucht.
Deutschland vermüllt durch Billig-Rap, und die wirklich guten finden kaum Gehör (z.B. umse)
Ein Klassiker
Könnte langsam mal den Meilensteinstatus bekommen, den es verdient hat. Sein bestes Album, deutlich besser als RR!
Absolute Zustimmung.
Ein Meilenstein wäre durchaus angebracht. Wenn ich seine entspannten, freshen Raps hier mit dem wahlweise überdrehten Geschrei oder verplanten Gelalle vom neuen Album vergleiche, könnten mir die Tränen kommen, und das, obwohl ich Haft damals nach einer mehrjährigen Deutschrap-Abstinenz für mich erst bei "Blockplatin" entdeckt habe.