laut.de-Kritik
Ein fette, fette Party.
Review von Simon ConradsWenige Alben verdeutlichen so sehr, was dieses Jahr alles nicht geht, wie das Debüt des australischen Kollektivs Haiku Hands. Tanzen kann man immerhin nur im kleinen Rahmen, und beim Hören der Songs wird einem richtiggehend schmerzlich bewusst, dass es Musik gibt, die erst durch gemeinsames Zelebrieren und kollektive Ekstase ihre volle Energie entfalten kann.
Haiku Hands Musik ist tanzbarer Hipster-Pop, der auf Partys in linken Studi-WGs gehört werden kann, ohne dass sich irgendwer an sexistischen oder sonst wie diskriminierenden Texten stören muss. Und eigentlich ist Pop auch nicht das richtige Wort, weil die drei Frontfrauen sich mit ihrer Eigensinnigkeit und ihrem Witz dem Mainstream verwehren.
Trap-Beats werden mit Techno, House, Funk und Old School Hip-Hop-Elementen verknüpft und baden in einen sympathischen Lo-Fi-Sound. Schon der aufgedrehte Opener "Not About You" ist eine großartige Hymne, die sich an all jene zu richten scheint, die sich in jede Debatte einmischen wollen, obwohl sie eigentlich nicht betroffen sind: "It's not about you / Shut up". Der oft getroffene Vergleich mit den Beastie Boys ergibt schon hier Sinn. Direkt darauf folgt das noch eindeutigere "Manbitch", in dem sich Haiku Hands über einen fetten Trap-Beat und Synthies das Wort "Bitch" zu eigen machen: "I manhandle your man handles / I down sample your man rambles / I lady vandal your man dangles / Damn, man, you're a man animal".
Haiku Hands besteht vornehmlich aus den Schwestern Mie und Claire Nakazawa und Beatrice Lewis. Das Trio macht allerdings immer wieder klar, dass die Truppe als Kollektiv verstanden werden will, und Musik nur einer von mehreren Pfeilern darstellt. Tanz und visuelle Kunst gehören genauso dazu. Den Großteil der Instrumentals produziert der Melbourner Joelistics, aber die Energie liefern die drei Frontfrauen, die gesellschaftliche Themen genau so launig servieren wie banale.
"Fashion Model Art", eine Kollaboration mit dem amerikanischen Duo Sofi Tukker, besteht überwiegend aus der Wiederholungen der drei Wörter im Titel und ist trotzdem wahnsinnig unterhaltsam und spaßig. In dem Stück machen sich Haiku Hands über die prätentiöse Kunstwelt lustig, in der sie sich auch teilweise gerne bewegen. "Onset" beginnt wie ein Major Lazer-Song, entwickelt sich aber zu einem düsteren Hip-Hop-Knaller mit West Coast-Einschlag und selten klang Leittier-Gehabe so cool: "You wanna hang with us, we know / You know, we came to steal the show / Up here, we all get Vertigo".
Ähnlich auf die Fresse klingt "Eat This Bass", in dem es heißt: "Fuck, you fuckin' feel my wrath / It lives inside your gut". Haiku Hands sind unglaublich gut darin, solche eingängigen Zeilen über stramme Beats zu schreien und sie so im Ohr festzukleben. Das auf einer Funk-Gitarre basierende "Jupiter", der radiotauglichste Titel, ist eines der Highlights. Lediglich das melancholische "Sunride" und das langsamere "Car Crash" passen nicht so ganz zwischen den Rest der nach vorne drängenden Stücke.
Davon, was für eine tolle Kollektiverfahrung ein Konzert der Truppe sein muss, bei dem das komplette Publikum etwa "Fuck this shit, I'mma do this / If I want, what I want, well, I want / I'mma get it" aus "Super Villain" singt, kann man derzeit zwar träumen. "Haiku Hands" ist aber dennoch ein gelungenes Debüt. Eine fette, fette Party, auf der auch relevante Themen angepackt werden.
1 Kommentar mit 3 Antworten
"[...]tanzbarer Hipster-Pop, der auf Partys in linken Studi-WGs gehört werden kann, ohne dass sich irgendwer an sexistischen oder sonst wie diskriminierenden Texten stören muss."
Fünf Sätze später Zitat:
"I manhandle your man handles / I down sample your man rambles / I lady vandal your man dangles / Damn, man, you're a man animal".
Der Großteil dieser Art des Diskurses interessiert niemanden mehr die Bohne, und diese ähnlich faulen Versuche zu behaupten, man entferne sich von Sexismus, während man sich gleichzeitig nur noch tiefer hineinreitet als der letzte Erwin vom Kegelklub, dürften auch ein Grund dafür sein. Um diese langweiligen Studentenparties aus den Zeiten Konrad Adenauers macht man zugunsten einer schöneren Welt besser einen Bogen.
Ach so: Musik ist auf den ersten Eindruck eigentlich ganz cool!
Ragism - hart geschissn.
Nö, mein Stuhl hat eine gute Konsistenz. Aber danke für die Sorge!
Ich freu mich nur auf den Tag, an dem Musikrezipienten klug genug oder wenigstens so nicht-dumm sein werden, daß sie Textzeilen mit "Frauen..." genauso aufregend oder öde finden wie "Kerle...". Solange Redakteure, Zeitgenossen und so manche User hier einer ähnlich saudummen Doppelmoral verfallen, werde ich mir bis auf Weiteres wie ein Zeitreisender aus der Zukunft vorkommen.