laut.de-Kritik
Die Maschinen sprechen wieder.
Review von Maximilian Fritz2015 gelingt Helena Hauff mit ihrem Debütalbum "Discreet Desires" ein waschechter Coup. Mit der rohen Melange aus Techno, Industrial, Electro und Wave liefert sie eine Antipode zum glatten, makellos ausproduzierten Techno-Status Quo dieser Tage und trifft damit offenbar einen Nerv.
Die Kritik überschlägt sich, Reviews werfen allerorten mit den gleichen Vokabeln um sich: maschinell, düster, rau, unangepasst, spontan, unvorhersehbar. All das gilt auch für Hauffs Zweitling "Qualm", der das Debüt in manchen Belangen gar noch übertrifft. Typischerweise agiert die Hamburgerin bei der Wahl des Titels wohl überlegt und arbeitet mit der deutschen und englischen Bedeutung des Wortes, das sich etwa als "Skrupel" oder "ungutes Gefühl" übersetzen lässt.
Die Formel, die Hauff seit ihren ersten Releases zur Musikproduktion verwendet, bleibt zunächst gleich: Spontane Jams in ihrem üppig ausgestatteten Park aus Drum-Machines und Synthesizern liefern das Fundament für ihre Tracks, die dann quasi unverändert den Weg aufs fertige Album schaffen. Daher rührt auch die unverfälschte, kantige Klangästhetik, die schon den Opener "Barrow Street Boys" auszeichnet. Dominiert von zahlreichen Claps, rauscht dieser fast schon provokant stark, setzt für den Anfang auf eine moderate BPM-Zahl und wirkt bis auf gelegentliche melodische Tupfer wie eine Drum Machine-Orgie.
Deutlich zügiger schließt "Lifestyle Guru" an, das mit seinem regelmäßigen 4/4-Beat auf den Dancefloor abzielt. Deutlich kommt hier erstmals Hauffs Vorliebe für zuckende Acid-Lines zum Tragen, die sich in verschiedener Intensität durch den Track winden. Schon jetzt gestaltet es sich als schwieriges Unterfangen, sich der Sogkraft des Albums zu entziehen.
Nach dem besonders für 808-Fetischisten bezirzenden "btr-revisited", das sich nach und nach doch als treibendes Stück entpuppt, folgt der Ambient-Exkurs "Entropy Created You And Me". Diesem wohnt eine eigentümliche Schönheit inne, die etwas zu grelle Töne immer wieder kontrastieren. Auf diese Weise wirkt es in Ansätzen wie eine entrücktere Version von Dasha Rush "Sleep Ballade".
Ein Lob verdienen auch die Übergänge von Track zu Track, die beweisen, dass Techno in Albenform keineswegs ein überholtes Format darstellt. Das außerordentlich düstere, experimentelle "Fag Butts In The Fire Bucket" funktioniert etwa gerade als Gegensatz zum zahmeren Vorgänger so gut.
Einen Preis für den einerseits klischeehaftesten und andererseits amüsantesten Namen für einen Techno-Track verdient sich dann "Hyper-Intelligent Genetically Enriched Cyborg", das bis dato am stärksten auf klar wahrnehmbare Melodien zurückgreift. Vor allem ab der Hälfte der etwa sechsminütigen Spielzeit kitzelt Hauff traumhafte Klänge aus ihren Synthesizern, die dem Kernstück des Albums teils ein fast schon poppiges Outfit verleihen, was in diesem Kontext keineswegs als Kritik verstanden werden darf. Hier gelang der Hamburgerin ein absolutes Ausnahmestück.
Einen ähnlichen Spannungsbogen hält das Epos "The Smell Of Suds And Steel", das ab der Hälfte auf kühle Flächen und ausufernde Bleeps setzt, ehe das maschinelle Ensemble sich auf der Zielgeraden nochmals aufrafft und zur tonalen Einheit formt. Nach dem kontrollierten Ambient-Stück "Primordial Sludge" bahnt sich der nur zweieinhalbminütige Titeltrack an. "Qualm" bekommt ebenfalls keinen Beat spendiert, was seiner ausgeprägten melancholischen Note aber zunächst entgegen kommt. Hauff ver- und entzerrt hier ruhige Spuren, die sie dann im von allem Zögern befreiten "No Qualms" mit einem Breakbeat unterlegt. Schlicht hervorragend.
Vergleichbare rhythmische Muster bedient auch "Panegyric", das mit sporadisch einsetzenden Hi-Hats und teils hymnischem Klangbild den so sperrig wie nachdenklich betitelten Closer "It Was All Fields Around Here When I Was A Kid" einläutet. Der schlägt zu einem verhältnismäßig übersichtlichen, trotzdem wandlungsfähigen Beatkonstrukt und schöner Synthie-Line regelrecht cineastische Töne an.
Helena Hauff serviert mit dem knapp einstündigen "Qualm" ein bombastisches Techno-Album. Das liegt aber keinesfalls nur an der nach wie vor attraktiven Soundästhetik, für die sich das Prädikat "erfrischend unperfekt" nach mehreren Jahren doch zusehends verbietet. Vielmehr überzeugen die mannigfaltigen Spannungsbögen, die teils vagen, teils konkretisierten Melodien und die stimmige, einheitliche Konzeption, mit der sich die passionierte Hamburgerin abermals Bestnoten verdient.
5 Kommentare mit 2 Antworten
Hui! Bin gespannt
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
Sehe jetzt auch nicht, was mich hier länger halten würde. Die Spannungskurve geht sicherlich ok, aber die Sounds finde ich selbst bei der letzten Ellen Allien um ein Vielfaches spannender und die war alles andere als technoide Stangenware, aber vielleicht geht mir Hauff auch einfach nicht genug auf die Zwölf zwischendurch. Rauscht mir zu gefällig durch letzten Endes.
Sehe jetzt nicht, was mich hier länger halten würde. Die Spannungskurve geht für Techno sicherlich ok, aber die Sounds finde ich selbst bei der letzten Ellen Allien um ein Vielfaches spannender und die war alles andere als Stangenware, aber vielleicht geht mir Hauff auch einfach nicht genug auf die Zwölf zwischendurch. Rauscht mir zu gefällig durch im Grunde.
da muss ich dir recht geben
Hauff hat mich ab dem zweiten Song positiv überrascht ...
also da muss ich tonitasten recht geben