laut.de-Kritik
Zwischen Moik und Riefenstahl: Die Rückkehr der Menschmaschine.
Review von Markus BrandstetterHelene Fischer, ein Dramolett in drei Akten
Personen:
Musikkritiker, Mitte Dreißig, mäßig erfolgreich
Helene Fischer, Menschmaschine und Schlagerstar, sehr erfolgreich
Redaktion
Bühnenrequisiten:
Konfettiregen
Lichtermeer
ERSTER AKT.
Tagada-Synthesizer und Beats erklingen. Das Orchester spielt den Song "Nur Mit Dir".
Enter: Helene Fischer.
Fischer (professionell euphorisiert): "Kannst du meinen Herzschlag spüren? Fühlst dich in mich hinein / Wenn ich am Boden bin fällt dir immer was ein / Drückst meinen Knopf zum Schleudersitz, lässt meine Fesseln fallen / Und wenn es dann nach oben geht, wird alles winzig klein. Und wir steigen höher zu zweit, steigen immer höher, sei bereit / Nur mit dir möcht' ich die Welt von oben sehen."
Musikkritiker (zu sich selbst, aufgewühlt und nicht ohne Gefallen an der Sache): Meine ganze selbst aufoktroyierte Musikkritiker-Ironie hat sie mir weggebiedermeiert. Was habe ich mir vorab nicht alles ausdenken wollen an vermeintlichen Spitzfindigkeiten über das Bekenntnis zum Harm- und Sorglosen in Zeiten des Prekariats und über Leni-Riefenstahl-Schlager-Megalomanie. "Mach du doch die Fischer", haben sie in der Redaktion gesagt, und wenn ich ehrlich bin, habe ich zu ihnen gesagt "Lasst mich doch die Fischer machen". Und jetzt lädt die perfekte Menschmaschine zur Endorphinsause, und alles ist vor lauter Wohligkeit vergessen, von der anstehenden Steuererklärung bis zur Apokalypse. Habe ich eigentlich einen Ruf zu verteidigen? (überlegt) Nein, ich habe eh keinen Ruf zu verteidigen. Haben nicht Die Toten Hosen auch gerade erst gesungen, dass sie die Welt von oben sehen wollen? Wieviele Punkte habe ich denen nochmal gegeben, vier? Oh Mann, bin ich Teil des Problems?
Das Orchester beginnt den Song "Sonne Auf Der Haut" zu spielen.
Helene (immer noch professionell euphorisiert): "Ich staune oft, was das Leben mit uns macht. Wir tauchen auf aus den Tiefen der Nacht. Wir schwimmen uns frei, vor uns liegt ne wilde Zeit. Immer mittendrin, die Wunden sind verheilt."
Musikkritiker (zu sich selbst, hadernd): Ach, schon wieder dieses "Nutze den Tag"-Gedöns. Habe ich da nicht bereits zwanzig Rezensionen darüber geschrieben? Andererseits, immer noch besser als die ganzen neuen deutschen Gefühloholiker wie Bendzko, Bourani, Poisel und wie sie nicht alle heißen. Fischer will wenigstens gar nicht verheimlichen, dass das alles Schlager ist, wie denn auch. Wobei, das ist doch schon fast Musical, Disneyparade, Kinderfernsehen, Erlösung, alles zusammen. Ist das jetzt eigentlich scheiße oder nicht? Wenn ich mehr als zwei Punkte gebe, frisst mich die Kommentarleistenkommentatorenschaft lebendig auf. Wahrscheinlich zurecht. Fünf Punkte oder einen, dazwischen kann es nichts geben.
Helene: "Wenn du lachst ist es wie ein Sommermorgen."
Musikkritiker (sinnierend): Singt sie das eigentlich tatsächlich für Florian Silbereisen? Ist Fischer nicht in Wahrheit über Emotionen erhaben, immun gegen solche Profanitäten, die der Professionalität im Wege stehen? Ist sie nicht so etwas wie ein Superstar-Cyborg? Oder spielt mir hier meine Phantasie einen Streich?
Das Stück "Flieger" ertönt. Es regnet Konfetti.
Musikkritiker: Oh, Konfetti! Spielt da Kuddel Gitarre? Das ist doch "Unter Den Wolken", oder? Textlich jedenfalls nahe dran. Oh, das ist doch die erste Single, oder? Soll ich jetzt schreiben, dass das definitiv nicht so catchy wie "Atemlos" ist? Ist schon irgendwie die gleiche Kerbe. Schlager-Pop.
Helene: "So gelöst frei, frei, frei, wir sind Flieger. Mach den Himmel klar, zähl den Countdown, wir sind da / Es geht nie vorbei, hey, lass uns fliegen. Einfach loszugehen, nur mit dir am Glücksrad drehen."
ZWEITER AKT.
Es wird elektronisch. Bässe, die wummernd sein wollen, moderne Beats. Der Synthesizer spielt das Lied "Herzbeben".
Helene: "Und ich nehme deine Hand, muss tanzen immer weiter / Ich vergesse den Verstand, der Horizont wird breiter."
Musikkritiker: Okay, ein bisschen verwegen soll das sein. Hedonismus. Aber kontrollierter Hedonismus. Entgrenzung in abgestecktem Territorium. Wieder so eine Tagada-Nummer, der knarzende Bass nervt halt ziemlich. Der Refrain auch. Singt sie tatsächlich "Mein Herzschlag ist versext?"? Unchiffrierter Sex, das ist irgendwie zu billig für Helene. Ach so, versetzt, nicht versext. Trotzdem, irgendwie ... (abgelenkt) Oh, ein Lichtermeer aus Mobiltelefonen! Minuten vergehen, die Songs verschwimmen langsam zu einer immer noch euphorisierten, aber austauschbaren Masse, textliche Motive wiederholen sich. "Schon Lang Nicht Mehr Getanzt" ertönt.
Musikkritiker (nachdenklich): "Schon Lang Nicht Mehr Getanzt" klingt dann halt doch sehr nach Musikantenstadl, zumindest bis zum Refrain. So als Zugeständnis an die alten Fans. Schon komisch bei Schlager, selbst wenn genug Produktionsbudget da ist, greifen viele dennoch zu billig klingenden Sounds. Das Akkordeon, das ist nicht gut.
Das vorherige Lied geht in das Stück "Viva La Vida" über.
Musikkritiker (mittlerweile eher ungeduldig): "Viva La Vida"? Okay, aber nicht der Coldplay-Song. Obwohl Coldplay ja auch gerne Tagada-Beats und Mallorca-Ästhetik drin haben. Wobei "Viva La Vida" von Coldplay besser ist als das von Helene. Bin ich einem Irrtum aufgesessen, hat mich Fischer, die Menschmaschine vielleicht geblendet? Jetzt wirds nämlich zu ziemlich billigem Schlager.
DRITTER AKT.
Das Album findet ein furioses Finale, zuerst eine Ballade, dann eine Tagada-Nummer. Nach Fertigstellung des eigentlichen Textes kommt eine Mail von der Redaktion.
Redaktion (mahnend): WTF? Den Entwurf im CMS gelesen, was soll denn das für eine Nummer werden? Dramolett? Freundchen, CD-Kritik war angesagt. Dramolett kannste deiner Mutter per Mail schicken, die freut sich sicher. Aber tob' dich woanders kreativ aus. Schick' bitte nochmal was anderes rüber, gerne per Mail.
Kritiker (resignierend, in den Laptop hämmernd): "CD-Kritik Helene Fischer "Helene Fischer". Helene Fischer vertont auf ihrem neuen Album gekonnt das Bekenntnis zum Harm- und Sorglosen in Zeiten des Prekariats. Die Gründe, warum ein Schlagerstar so überdimensional groß werden konnte, sind ebenso diffus wie die Trennlinie zwischen selbiger Musikrichtung und der aktuellen deutschen Popmusik. An Tagen wie diesen wünscht man sich nicht Unendlichkeit sondern Karl Moik – Gott habe ihn selig - in den Musikantenstadl zurück. Zwischen Schlager, Deutschpop und Musical bringt Fischer eiskalt die CD zur App zur Stadiontour auf den Markt. Die Handys werden wieder zu Lichtermeeren werden, die Gläubigen werden wieder gesegnet und die Charts werden wieder wochenlang mit diesem Nebenprodukt okkupiert werden. Vierzig Echos, beste Künstlerin, bestes Rock-, Pop-, Metal- und Rapalbum. Mindestens. Dass dabei kein Song vom Kaliber von "Atemlos" enthalten ist, wird wahrscheinlich gar niemandem auffallen. Fischers Stadionshows sind zweifellos ein religiöses Spektakel der kurzzeitigen Erlösung, nach drei Songs lenkt sie mit der nächsten Flug-Nummer sowieso davon ab, dass die Lieder nicht besser werden. Fischer ist perfekt, perfekt, perfekt. Und beängstigend. Nur über die Musik wollen wir an dieser Stelle nicht mehr reden, wir sollen ja schließlich den Tag nutzen und unser Leben leben. Ein Hoch auf uns, ein Hoch aufs Leben. Und immer wieder: Heilige Helene, bitte für uns."
Unter Konfettiregen klappt der Musikkritiker seinen Laptop zu, begibt sich zum nächsten Rummelplatz und fährt solange Tagada, bis er völlig orientierungslos und in geistiger Umnachtung vom Sicherheitspersonal des Geländes in die atemlose Nacht verwiesen wird. "Do not go atemlos into that good night", ruft ihm die Rummelplatzsecurity noch hinterher. Er kann sie nicht mehr hören.
ENDE
30 Kommentare mit 33 Antworten
diese vor plastik strotzende fischermaschinerie kotzt mich mittlerweile so dermaßen an, dass meine finger das übliche unbekümmerte "ungehört 1/5" vehement verweigern.
beschallung für bauernlümmel, biodeutsche und sonstiges lumpenpack.
Ich hab heut morgen auch instant Krebsaids bekommen, als ich bei der Arbeit eingelaufen bin und sich an der Kaffeemaschine zwei Bayernfans angeregt über das neue Helene Albung + die Neujahrsshow 2k18, für die sie Tickets haben, unterhalten haben.
inb4 c452h
sauberer comment
sauberer comment
Alter!
All hail the Brandstetter.
Hail
https://www.youtube.com/watch?v=Rts75laC124
Hier stimmt mal nicht der Satz: "Die Kritik ist leicht, die Kunst ist schwer.", sondern die Kritik ist die Kunst. Und das bei solch einem egalem Produkt.
Das Wort "Menschmaschine" sagt alles über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von "der Fischer".
Hab gestern im TV nen Auftritt einer 71-jährigen Cher gesehen, die tänzelt immer noch in High Heels über die Bühne und schnuddelt "If you believe" ins autotune`Mikrofon. hab irgendwie das Gefühl, dass Helene da selbe Schicksal trifft. Bin mir nicht einmal sicher, ob die den Florian überhaupt biologisch bräuchte, um Nachwuchs zu zeugen, so taff wie die ist. Oder Flori machts wie die Seepferdchen.
Schlager. Mehr muss man nicht sagen.
Wer das hört, sollte atemlos in den Knast wandern.
Das cover hat seltsamerweise eine Gewisse Ähnlichkeit mit diesem hier: http://www.laut.de/Fler-Jalil/Alben/Epic-1…