laut.de-Kritik
Willkommen in der Schlagerhölle.
Review von Toni HennigErst letztes Jahr stürmte Helene Fischer mit ihrem selbstbetitelten Album die Pole Position der deutschen Charts. Ende 2017 und Anfang 2018 spielte sie in den größten Hallen des Landes. Mit "Helene Fischer Live – Die Arena-Tournee" gibt es nun die Highlights dieser Konzertreise zum Nachhören.
Für ihre knapp dreistündigen Shows, die insgesamt rund 700.000 Zuschauer besuchten, arbeitete Helene mit einer Band sowie mit Tänzern und Akrobaten von 45degrees zusammen, einer Abteilung des Cirque du Soleil. So wirbelte sie bei ihren Auftritten durch die Luft oder sie ging am Trapez in die Höhe, während sie gleichzeitig ihre bekannten Hits sang. Zusätzlich wechselte sie nach jeder zweiten Nummer ihr Outfit. Selbstverständlich auch mit dabei: der Konfettiregen und ein lautes "Dankeschöööön" am Schluss der Songs.
Das ganze Spektakel hat der weltberühmte Regisseur Paul Dugdale (Coldplay, Adele, Toten Hosen, Rolling Stones) auch für Blu-Ray und DVD festgehalten. Im Autoradio kann man sich das auf Doppel-CD mit rund zwei Stunden Spielzeit zu Gemüte führen. Darüber hinaus erscheint eine limitierte Fan-Edition, die sämtliche Formate enthält. Ihr liegt eine Bonus-DVD mit Zusatzmaterial bei, die Einblick hinter die Kulissen gewährt.
Wenn man die ganze aufwendige Inszenierung ignoriert und nur die musikalische Seite betrachtet, bleibt erstaunlich wenig übrig. Die Mitglieder ihrer Band degradiert die Sängerin ohnehin zu Nebendarstellern. Bis auf ein Mark-Knopfler-Gedächtnissolo und den ein oder anderen Dance-Beat fügen sie den Songs kaum etwas Nennenswertes hinzu. Man könnte als Hörer auch zur Studio-Version greifen.
Das 25 Tracks plus einem "Hit Medley" umfassende Live-Paket eröffnet nach einem kurzen Intro mit "Nur Mit Dir". Zunächst setzt uns Helene in Kenntnis, wo die Aufzeichnung dieser Show überhaupt stattfand, wenn sie voller Enthusiasmus "Oberhauuuuusen" schreit. Dazu ertönen ein statischer Bummsbeat, ein lustloses Gitarrensolo, "oh-oh-oh"-Chöre, ihr markantes, helles Organ und ein austauschbarer Text, der genauso von Andrea Berg oder Vanessa Mai stammen könnte. Willkommen in der Schlager-Hölle.
Im weiteren Verlauf ändert sich an dieser Marschrichtung so gut wie gar nichts. Auf "Farbenspiel Live - Die Tournee" gab Fischer einige Cover-Versionen zum Besten, die im monotonen Sound-Gerüst zumindest etwas aus der Reihe tanzten. Nun stellt sie fast ausnahmslos ihr eigenes Studio-Material vor. Ihr Augenmerk richtet sie auf die Tracks ihres aktuellen Albums. Auf Kassenschlager wie "Ich Will Immer Wieder... Dieses Fieber Spür'n", "Und Morgen Früh Küss' Ich Dich Wach" und "Atemlos Durch Die Nacht", das sie am Ende als Höhepunkt dieses Konzertes spielt, muss man aber nicht verzichten.
Auf inhaltlicher Ebene ist nach zwei bis drei Songs alles gesagt. Es wird geliebt, gefeiert und das Leben zelebriert. Außerdem macht es Helene in den autobiographisch geprägten Klavier-Balladen wie "Du Hast Mich Stark Gemacht" und "Mit Jedem Herzschlag" zu sehr in der heilen Welt bequem, um nahbar und verletzlich zu wirken. Nur keine Schwäche zeigen.
Am Mikro präsentiert sich Fischer in hervorragender Form. Sie stemmt jede Tonlage mühelos und kann daher an der Stange ihre akrobatischen Fähigkeiten demonstrieren, ohne dass ihr dabei ein einziger Patzer unterläuft. Dass sie bei ihren Auftritten nicht genug Körpereinsatz investiert, kann man ihr kaum vorwerfen. Sie weiß schließlich, wie man ein Massenpublikum bedient. Entgegen ihrer simplen Message in "Fehlerfrei" verlaufen ihre Shows also völlig reibungslos ab. Live folgt sie demzufolge ihrem Credo: "Das Volle Programm".
Deswegen verlangt diese Schlager-Gala, die einer langen, nie enden wollenden Fahrt mit der "Achterbahn" gleicht, dem Hörer so Einiges ab. "Sowieso" und "Herzbeben" lassen zwar zu Beginn mit modernen Dance-Klängen aufhorchen, bewerben sich aber mit fortschreitender Dauer für das nächste Bierzelt irgendwo im Niemandsland. Klavier-Balladen wie "Weil Liebe Nie Zerbricht" und "Die Schönste Reise" ersaufen in Pathos und Scheingefühlen. Einzig mit der ausgelassenen Country-Nummer "Mit Dem Wind" verlässt die Sängerin ausgetretene Pfade. Der musikalischen Ödnis hätte sie durchaus entkommen können, wenn sie diese Seite auf der Bühne stärker betont hätte.
Weiterhin erzählt sie in ihren Ansagen zwischen den Stücken von den Hintergründen zu den einzelnen Songs. Auf CD fiel das allerdings der Schere zum Opfer. Bis auf das Geklatsche und die Gesänge des Publikums vermittelt "Helene Fischer Live – Die Arena-Tournee" insgesamt nur wenig Live-Feeling. Dadurch verkommt das Album im Grunde genommen zum seelenlosen Produkt, das bis zu den nächsten Stadionkonzerten im Sommer auf jeden Fall exzellente Verkaufszahlen einfährt.
1 Kommentar mit 2 Antworten
das teuflische an ihren nummern ist ja, dass sie unfreiwillig aber extrem lang im ohr bleiben. von der rezi des letzten studioalbums habe ich noch immer drei, vier tracks im gehörgang.
da lobe ich mir die gothschlagergrütze von blutengel oder l'ame immortelle. die hat man wenigstens drei sekunden später wieder vergessen.
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
Ja, leider. Ändert aber nichts daran, dass man, wenn die CD läuft, kurz zum Bäcker oder zur Tanke gehen könnte. Wenn man zurück ist, läuft ohnehin immer noch der gleiche Bumms-Beat.