laut.de-Kritik

Mit voller Kraft zurück in die Gegenwart.

Review von

Tandaradei mit Schellenkranz und Anfassen war gestern; heute ist Terror mit Knüppel aus dem Sack angesagt. In Extremo segeln volle Kraft zurück in die Gegenwart. Weniger Mittelalter, mehr Stahlbad. Mit "Kunstraub" machen die Vollendeten ihr reinstes Rockalbum. Gewohnt hymnisch, aber härter, schneller, weiter und voll Metal aufs Maul.

"Wir sind einfach eine echte Rockband, die auf mittelalterliches Instrumentarium als Ergänzung zurückgreift", erklärt Sänger Michael Robert Rhein im Gespräch mit laut.de. Diese LP geht dennoch weiter als je zuvor. Während sich die kommerziell einzig ernst zu nehmenden Kollegen aus dem deutschsprachigen, international relevanten Rockolymp sich ob ihrer schlagertösen Kirmesbudentauglichkeit ungebetenen Spießerpublikums von der Politikfront erwehren muss, schicken In Ex die alte Hure Radiotauglichkeit gepflegt zum Teufel.

Ihre großen Stärken, hymnische Melodiebögen, Gassenhauerei und den gelegentlich Autoscooter-tauglichen Drive verbinden sie mit einem Härtegrad, der mehr mit frühen Schweißer zu tun hat als mit gängigem Stadionrock (Anspieltipp: "Lebemann"). Das ist das Verdienst der ebenso rauen wie kompakten Edelproduktion des bewährten Produzententeams Jörg Umbreit und Vince Sorg (u.a. Kreator, ASP, Tote Hosen). Sehr druckvoll, ohne die Nuanciertheit dieses vielfältigen Insrumentalteppichs zu vernachlässigen.

Wie schon auf dem letzten Album "Sterneisen" erweist sich Drummer Specki als echter Glücksfall. Sein derbes Rhythmuskorsett gibt unverkennbar den Ton an, ohne den wichtigen Klangraum der anderen Instrumente einzuengen. Der Großteil dieser dreckig servierten Noten stammt dieses Mal aus der Feder von Gitarrist Basti Lange. Kein übler Schachzug. Der unter dem alias Namen "Van Lange" bekannte Saitenhexer erweist sich als abgezockter Songwriter.

Mit dem ganz eigenen Charme des Septetts verwandeln sie eigentlich indiskutable "Hu-Ha, Dschinghis Khan!"-Tracks ("Feuertaufe") in schmackhaftes Fastfood von der Partymeile of Song. Handwerklich perfekt gestrickt hört man den Spielleuten jede Sekunde die Leidenschaft für die eigene Musik an. Auch in eingängigsten Momenten ("Du Und Ich") glänzt die Truppe mit virtuos ausgefeilten Arrangements.

Zwei Lieder stechen aus der Brandung hervor. "Doof" bringt erstmalig kübelweise echte Verachtung und glänzt als zutiefst angepisster Kommentar zum gegenwärtig freiwilligen Verblödungskult in Kunst und Gesellschaft. "Wer doof ist, ist gefährlich, doch unterm Strich so ehrlich / Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der dümmste im Land?" Mit Killerbass bewaffnet und hart wie Kruppstahl hingekeult, doch ohne das Kettenhemd ganz abzulegen.

Emotionaler Höhepunkt der elften Studioscheibe ist sicherlich "Gaukler". Schöner Text über das ewige "der Clown ist traurig!"-Thema. So simpel und doch so effektiv. Die eher deprimiert als dramatisch klingenden Sackpfeifen transportieren samt Michas schmerzerfüllten Vocals eine wuchtige Trauer und echtes Gefühl.

Schön zu sehen, wie sich eine etablierte Veteranenband noch mal auf neue Pfade begibt, ohne sich untreu zu werden oder artsy-fartsy zu verkrampfen. In dieser Form gehören die sieben Verrückten beim Kampf um den Genrethron noch längst nicht zum alten Eisen. A Game of Thrones? Ihr "Kunstraub" stellt klar: Game over!

Trackliste

  1. 1. Der Sie Sonne Schlafen Schickt
  2. 2. Wege Ohne Namen
  3. 3. Lebemann
  4. 4. Himmel Und Hölle
  5. 5. Gaukler
  6. 6. Kunstraub
  7. 7. Feuertaufe
  8. 8. Du Und Ich
  9. 9. Doof
  10. 10. Alles Schon Gesehen
  11. 11. Belladonna
  12. 12. Die Beute

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LAUT.DE-PORTRÄT In Extremo

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10 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor 11 Jahren

    Das Album hat bei mir bis jetzt noch nicht wirklich einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Mal abwarten, die Songs waren sonst besser strukturiert. Oder ich bin grad nicht in der Stimmung für ein reines Rockalbum, Current 93 snd grad zu dominant. Ich glaube auch nicht, dass sie dieses mal auf Platz eins der Charts landen werden, da wird ihnen Casper einen Strich durch die Rechnung machen.

  • Vor 11 Jahren

    na, wenn du gerade bei david tibet bist, ist der kontrast womöglich zu groß. definitiv falscher moment.

  • Vor 11 Jahren

    Ist ja echt prima, wenn man möglichst verschachtelte Sätze mit möglichst vielen blumigen Schlagworten verfeinert, aber die Orthografie sollte darunter halt auch nicht leiden müssen. Sonst wird's unlesbar und dadurch uneffektiv. "Während sich die kommerziell einzig ernst zu nehmenden Kollegen [...] von der Politikfront erwehren muss, [...]" heißt es da. Sollte das nicht "müssen" heißen? :)

  • Vor 11 Jahren

    Im alten Lager treten die damit aber gewiss nicht mehr auf.

  • Vor 11 Jahren

    Mir gefällts. Wie auch schon in der Rezension geschrieben ist Gaukler auch der Höhepunkt des Albums. Ansonsten machts einfach Spaß anzuhören. Habs beim Radfahren heute schon die ganze Zeit vor mir hergesummt.
    Klar, der Mittelalterpart rückt arg in den Hintergrund (dabei ist In Extremo die Band, mit der ich überhaupt zu dem Genre kam). Aber die rockigere Musik passt Ihnen besser wie ich finde, gibt ja genug andere Mittelalterbands.

  • Vor 11 Jahren

    Härter als die meisten anderen wohlbekannten Genrevertreter (ich denke da u.a. an Schandmaul oder Subway to Sally) waren In Extremo ja schon immer. Die aktuelle Entwicklung ist natürlich nicht gerade geeignet, die nach Mittelaltermusik lechzenden alten Fans zu befriedigen, was ja bereits mit dem Mein Rasend Herz Album vorsichtig begann (Nur ihr allein) und im aktuellen Album den (vorläufigen?) Höhepunkt findet. Allerdings war auch schon bei In Flames anders nicht unbedingt schlechter (auch wenn das nicht jeder so sieht) und außerdem ist es irgendwann doch natürlich, dass man auch mal etwas anders machen will. Dass dabei der Fan eventuell auf der Strecke bleibt, ist ein Risiko, dass man als Kapitalist nicht eingeht, aber eine Band aus Künstlern wie In Extremo, geht das Risiko ein. Des weiteren ist ja nun auch der Rock/Metal taugliche Vorrat an Mittelalterstücken nicht unerschöpflich, von daher muss man sich früher oder später eben auch über eigene Kreationen Gedanken machen, die hier doch eigentlich gut gelungen sind. Siehe Saltatio Mortis, auch die kommen zurecht, ohne das halbe Album mit Stücken mittelalterlichen Ursprungs zu füllen. Ich finde das Album sehr gelungen, ganz im Gegensatz zum Vorgänger (hatte auch Lichtblicke..), der mich schlimmeres befürchten lies. Aber die neuen Stücke haben mich sehr positiv überrascht und stellen meiner Meinung nach auch eine gute musikalische Anpassung an die sich (leider doch stark und nicht unbedingt ausschließlich positiv) verändernde Stimme des Letzten Einhorns dar. Der von den alten Fans (ich kam auch bereits 2004 dazu) geforderte höhere Einsatz mittelalterlicher Instrumente kann ja vielleicht auf späteren Alben auch wieder erfolgen.