laut.de-Kritik

Deutschraps Mater Dolorosa feiert Geburtstag - jeden Tag.

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"Weiße Jungs bringen's nicht", nahm ein gewisser Berliner vor gar nicht allzu langer Zeit den Mund ganz schön voll - nur um kurz danach seinen Ausstieg aus dem Musikgeschäft bekannt zu geben. Kaum ist ein Jahr verstrichen, wäre er zwar gerne zurückgekehrt, stolperte jedoch über geltendes Namensrecht. Einen, den das Leben ordentlich durchgeschüttelt hat, hält das allerdings auch nicht mehr auf.

Reason war gestern, heute spricht Jalil. Was der zu sagen hat, dürfte etlichen seiner früheren Fans schwer zu schlucken geben. Das Kapitel 'harter Straßenrap' hat Jalil für sich offenbar so nachhaltig beendet wie seine Zugehörigkeit zu Flers "Südberlin Maskulin"-Umfeld. Er rennt mittlerweile mit D-Bos Wolfpack-Rudel. Es scheint, als müssen man den Titel seiner Debüt-EP ernst nehmen.

Jalils "Sinneswandel" begleiten absolut schonungslose Abrechnungen - mit sich, seinem Umfeld, dem Rest der Welt. "Ich hab' gar nichts zu beweisen", stellt er klar, verzichtet entsprechend auf die gängigen Posen und gestattet einen Blick in seine persönlichen Abgründe.

Seine verblüffend tiefe Stimme und ihre sehr eigene Klangfarbe ließen Jalil schon aus der Masse herausstechen, als er noch Reason hieß. Schmerz und Enttäuschung, die sich nun zusätzlich Bahn brechen, verleihen ihm eine neue Dimension. Erschütternd, erschreckend gar, wie viel schier greifbarer Erschöpfung aus einem gerade mal 24-Jährigen sprechen kann.

Ernüchtert und desillusioniert streift Jalil durch die rauchenden Trümmer, die ihm von seinen Luftschlössern geblieben sind. Nicht unbedingt Reue, eher späte Einsicht prägt seine Texte. Wunschdenken gegen Realität: Auf den Ausgang dieses ungleichen Kampfes wirft "Sinneswandel" einen unverstellten Blick.

Kaum Grimm verspürt Jalil, wenn er auf falsche Entscheidungen oder überschätzte Freundschaften zurückblickt, dafür tiefes Bedauern. Lässt er das Ende einer Beziehung Revue passieren, schwingt daneben stets das Wissen darum mit, dass sich die Uhren nicht zurückdrehen lassen.

Ein Klavier in Moll, ein theatralischer Synthie-Aufmarsch, ab und an eine gesungene Hookline: Ihre musikalische Umsetzung geht, wenngleich handwerklich untadelig, ebenso wenig als revolutionär oder originell durch wie die Themen selbst. Die Art des Vortrags macht hier allerdings den Unterschied aus.

Jalil erscheint wie die Mater Dolorosa des Deutschrap. Er trägt das Leid der Welt auf seiner Schulter und vollbringt zugleich das Kunststück, dabei nicht so zu wirken, als suhle er sich hemmungslos im Selbstmitleid. Am eindringlichsten demonstriert dies "Schütt Dein Herz Aus", wo die leise, zurückgenommene Instrumentierung beinahe zur Nebensache verkommt.

Von Weinerlichkeit in all dem Elend keine Spur. Statt dessen hinterlässt Jalil einen zähen, gestählten, im Grunde immer noch bewundernswert positiv gesonnenen Eindruck. "Wenn du ganz unten bist, kanns nur hochgehen, und jeder Tag ist wie Geburtstag." Herzlichen Glückwunsch. Da scheint viel Wahres dran zu sein.

Trackliste

  1. 1. Allein
  2. 2. Dieser Traum
  3. 3. Wenn Helden Sterben
  4. 4. Tausend Dinge
  5. 5. Straßenjungs
  6. 6. Schütt' Mein Herz Aus

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