laut.de-Kritik

Punk, Folk, Hip Hop, Scharfsinn, Poesie und Rotzigkeit: ein Geniestreich.

Review von

Hocus, Pocus ... und aus dem Zylinder ziehen wir einen kleinen Geniestreich. Jamie T., dieses rotzfreche sympathische Wimbledoner Großmaul, verarbeitet auf "Kings And Queens" einen dermaßen kreativen Output, dass man anfängt, an Magie zu glauben.

Wie um Himmels Willen schafft es ein 23(!)-Jähriger erneut, in Eigenregie ein Album auf den Markt zu bringen, das querbeet Musikgenres wie Ska, Post-Punk, Folk und Hip Hop vereint und dabei so erfrischend klingt, wie schon lange nichts mehr?

"Bang Bang Anglo Saxons At The Disco", lautete der Leitspruch seines Debüt-Albums "Panic Prevention". Mit genau dieser Schnoddrigkeit und Innovation reimt und singt sich Jamie Treays durch "Kings and Queens". Nein, er setzt sogar noch eins drauf: Zusammen mit seinem Freund und Produktionspartner Ben Bones kreiert er Disco-Kracher bis Piano-Balladen, deren Komplexität einem einmal mehr Erstaunen aufs Gesicht zaubert.

Das überrascht, denn nach "Panic Prevention" stellte sich die Frage: Wird ein 20-Jähriger, der angeblich unter Panik-Attacken leidet und die Musik als Therapieform wählte, mit dem plötzlichen Erfolg, dem unerwarteten öffentlichen Interesse, umgehen können?

Ja, er kann. Jamie zog sich, ausgebrannt nach 18 Monaten Touren, zunächst zurück. Er kaufte sich in Wimbledon ein Haus und entdeckte dort einen alten Helden: Bob Dylan. Dessen Einfluss ging an "Kings And Queens" nicht spurlos vorüber.

Am deutlichsten hört man diese Inspirationsquelle "Emilys Heart" an, einem ruhigen, folkigen Akustik-Gitarren-Stück. Jamie T. macht alles richtig. Statt sich die Vorlage groß auf die Fahne zu schreiben, fiept die Mundharmonika nur dezent im Hintergrund. Dazu singt der Bursche klar, wie nie zuvor. Auch bei "Jilly Armeen" schlägt er ruhige Töne an: ein wunderbares Sommer-Blumenwiese-Stück, bei dem Jamie verspielt vor sich hin pfeift.

Wer jetzt befürchtet, dass MC "Bang! Bang!" nur noch mit ruhigen Folksongs auf die Disco-Tanzfläche stürmt, sollte schnell "Castro Dies" anwählen. Die Anglo Saxons geraten außer Rand und Band - und nicht nur die: ein Ungetüm aus Elektro-Beats, Reimen, bei denen einem schwindlig wird, und gefühlten tausend übereinander gelegten Song-Spuren. Dazu gesellt sich der wahnwitzige Ratschlag, doch bitte Kuba zu besuchen, ehe Castro stirbt: Das Resultat spottet jeglicher Beschreibung.

Ob auf dem Opener "368", einem smoothen Hip-Hop-Stück, das am ehesten an The Streets erinnert, oder dem popigen Ohrwurm "Hocus Pocus": Nie wird Jamie T. belanglos, auch wenn sich seine Texte, wie schon bei "Panic Prevention", aus Alltagsgeschichten speisen. Mal geht es um Mädchen, mal um Prügeleien, mal um Bier. Die Worte sind scharfsinnig gewählt, poetisch aneinandergereiht und rotzig präsentiert.

Um wenigstens annähernd zu kapieren, wie soviel Genialität in ein Album fließen kann, müssen wir einen Blick auf Jamie T.s Vorgehensweise werfen: "Unser Arbeitsstil trieb Virgin in den Wahnsinn. Sie wollten etwas hören, und ich schickte ihnen fünfzig Tracks, von denen die Hälfte zehn Sekunden lang war. Damit konnten sie natürlich wenig anfangen, und ich sagte: 'Was? Ihr kapiert das nicht?' Die Art, wie Ben und ich arbeiten, ist von außen praktisch unverständlich."

Man möchte an dieser Stelle gerne in Jamie T.s Kopf schauen, um herauszufinden, wie er es schafft, all diese Fetzen zu einem Gesamtkunstwerk zusammenzufügen. Um eines muss man sich dabei offensichtlich keine Sorgen machen: Die Anglo Saxons werden auch in Zukunft durch die Disco bangen.

Trackliste

  1. 1. 386
  2. 2. Hocus Pocus
  3. 3. Sticks N' Stones
  4. 4. The Man's Machine
  5. 5. Emily's Heart
  6. 6. Chaka Demus
  7. 7. Spider's Web
  8. 8. Castro Dies
  9. 9. Earth, Wind And Fire
  10. 10. British Intelligence
  11. 11. Jilly Armeen

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14 Kommentare

  • Vor 15 Jahren

    yeah vor drei stunden review gelesen, dann album sofort gekauft, gerade wird's gehört und die welt is in ordnung..jamie T. rock die scheisse fett!!!! :phones:

  • Vor 15 Jahren

    ich finds besser als streets und ist sehr erfrischendes angenehmes album mit schönen melodien.

    dafür, dass ich kein hip hop fan bin, finde ich es überraschend gut und sehr "bodenständig" und nicht überproduziert.

    dennoch würd ich doch eher 4/5 geben, da so brilliant es nun doch nich is.
    dafür fehlen mehr songs, wie stick n stones.

  • Vor 15 Jahren

    Kannte Jamie T. vorher gar nicht. Ist wie so vieles wohl an mir vorbei gegangen.

    Hab mir das Album mal zugelegt und muss schon sagen: starke Scheibe.

    Bisher haben es mir 368, Hocus Pocus, Sticks'n'Stones, Castro Dies und Earth, Wind & Fire besonders angetan.