laut.de-Kritik
Wo das Paprika Edelsüß zweimal brennt.
Review von Yannik GölzMein Opa hat mir mal mit stolzer Brust erzählt, dass er in den achtzig Jahren seines Lebens nie mit irgendetwas anderem gewürzt hat als mit Salz und Pfeffer. Manchmal ein bisschen Thymian. Der Rest? Zitat: "Des isch nix." Irgendetwas sagt mir, dass Opa Wulf sich mit Joel Brandenstein verstehen würde. Der YouTube-Sänger, der inzwischen mit Samra und Vanessa Mai verkehrt und Musik über das ProSieben-Label droppt, macht Musik für Leute, bei denen Paprika Edelsüß zweimal brennt. Hinter dem zumindest vom Look her raubeinigen Fitness-Christen verbirgt sich die fadeste Gefühlsduselei der Deutschpopszene.
Wie bei jeder amtlichen Deutschpop-Schmonzette geht es natürlich viel um Trennungen. Brandenstein röhrt bereits nach dem ersten Drücken des Play-Buttons mit 180 Sachen: "Wenn das hier Liebe ist / und sie so tödlich ist / gib mir das Gegengift." Er habe nämlich "schon jeden Arzt gefragt", ob er ihm "was verschreiben kann", aber, nein, die Fühlis, sie sind zu übermannend, sie zwingen auch ein Mannsbild wie Brandenstein auf die Knie. Und da bleibt er auch für den Rest dieses Albums.
"Schwarz & Bunt" kann sich von den NPC-Vorwürfen nicht freisprechen. Die Gedanken und Reflexionen, die im Rahmen dieses bekenntnishaften Seelen-Stripteases geäußert werden, sind derartig seicht. Dieser Mann ist außerstande, irgendeine Zeile zu formulieren, die nicht irgendeiner der anderen Hanseln so schon genauso veräußert hat. Mit dem Vokabular aller Nachmittags-TV-Melodramen und der lyrischen Feinsinnigkeit eines Kundenservice-Chatbots baut er sich dann eine Herzschmerz-Ballade nach der anderen zusammen. Wollte man nett sein, würde man das unprätentiöse Hausmannskost nennen. Aber darf es nicht doch ein bisschen Kunst sein? Ein ganz kleines, winziges bisschen Poesie? Irgendetwas, das aus dieser öden, tristen, deprimierenden Alltags-Therapeuten-Sprache herausragt?
Am nächsten kommt dem die an die verstorbene Mutter gewidmete Nummer "Wegen Dir". Das ist nämlich der Song, bei dem es immerhin stilistisch passt, dass er so in Scherben wirkt, dass er nur simple, rührende und ein bisschen zerstreute Gedanken zum Thema hat. Und man glaubt dem Mann, dass er seine Mutter wirklich geliebt hat. Der Song verdient es, mit so viel Schmerz vorgetragen zu werden, sogar der Streicher-Breakdown am Ende wirkt vertretbar. Hier versteht man am ehesten, warum jemand sich mit der Musik von Brandenstein identifizieren könnte.
Es gibt nur ein Problem: "Wegen Dir" ragt im Laufe der Tracklist nicht heraus. Man sollte meinen, dass dieses Thema eine besonders schmerzliche Performance verdient – aber nichts da, der Mann singt jeden einzelnen Song so. Er könnte Songs übers Wäschewaschen oder den Müll runterbringen aufnehmen und würde sie in dieser bescheuerten "Rocker mit sanfter Seite und ganz viel Schmerz"-Stimme singen, weil sie sein eines und einziges Mittel gegen die ihn von allen Seiten attackierende Belanglosigkeit ist. Der Rest von "Schwarz & Bunt" ist endlos monoton. Aber statt den Fluss der immergleichen digitalen Balladenbeats irgendwie abzuwechseln, röhrt er nur Song für Song so viel rein, wie es geht.
Brandenstein ist wie die letzte Konsequenz von deutscher Castingshow-Logik, auch wenn er selbst nie daran teilgenommen hat. Als langjähriger Cover-Artist weiß er, wie man Effekt hascht, ohne zu wissen, wie man einen guten Song schreibt. Es ergibt durchaus Sinn, dass irgendein generischer Deutschpop-Fan über einen seiner Songs stolpert und kurz beeindruckt ist. Die Stimme klingt groß, die Delivery, als würde gerade etwas Wichtiges passieren, und der Text hat zumindest Form und Vokabular von irgendetwas Traurigem.
Aber auch nur einer kleinsten genaueren Betrachtung hält "Schwarz & Bunt" nicht stand. Brandenstein hat gelernt, welche Formel für ihn funktioniertn und fertigt seine Klientel so militant gleichförmig und fad ab, wie es von ihm gewünscht wird. Selbst ab und zu ein bisschen Thymian wäre da schon zu aufregend. "Schwarz & Bunt" ist einfach nur ein Bottich Pellkartoffeln. Bestenfalls mit einer Prise Salz, auf den ganzen Topf verteilt.
6 Kommentare mit einer Antwort
Mich würde echt interessieren, wie ynk Pellkartoffeln kocht. Ich brauche dazu auch nur zwei Zutaten - Kartoffeln und Salz - und hab mal kurz gegoogelt, das ist weitestgehend der Weg, wie man die macht. Ich könnte mir hingegen vorstellen, dass Bratkartoffeln mit Thymian schmecken.
Joel ... Nuff Said.
Er hat Soul in der Stimme. Und wenn er sagt, "Ich schöpfe für meine Songs aus meinen Gefühlen und Erlebnissen, die ich gern mit anderen Menschen teile", dann ist das die Essenz von HipHop - hat KRS One mal gesagt. Ist zwar nicht mein Genre, aber Deep ist der Dude.
Joel Nierenstein wäre die ideale Wahl als Künstlername, diese "Musik" bereitet starke Schmerzen.
Beim Hören des Albums setzte bei mir die Periode ein.
Und bei mir sprießen die ersten kräftigen Sackhaare
Großes Kino für alle, die außer Hunger und Durst jede Emotion fremd-konsumieren müssen und dabei immer nur heulen könnten.