laut.de-Kritik
Cashs Vermächtnis, für die Ewigkeit gefertigt.
Review von Michael SchuhEs sollte eine Jubiläumsbox werden: Zehn Jahre Johnny Cash und Rick Rubin. Ausatmen, zurückblicken und im Falle Rubins: Mischpult mal Mischpult sein lassen. Beflissen wühlte sich der Produzenten-Rasputin deshalb durch sein pralles Archiv voller Cash-Aufnahmen, schickte seine Vorauswahl immer brav nach Nashville/Tennessee und wartete auf die grollende Antwort des Meisters.
Der war kurz davor, ihm seinen Segen zur finalen Tracklist auszusprechen, als er am 12. September 2003 verstarb. Nun ist die 5-CD-Box "Unearthed" Johnny Cashs Vermächtnis. Und was für eins!
Schon die luxuriöse Verpackung ist für die Ewigkeit gefertigt: ein gebundenes, hundertseitiges Textbuch rekapituliert Cashs märchenhaften Höhenflug im Seniorenalter, liefert haufenweise Fotos und lässt zahlreiche Studio-Protagonisten zu den insgesamt 79 Songs zu Wort kommen. Kartonierte CD-Einfassungen in einem zweiten Buchformat komplettieren das edle Set.
Auf den ersten Blick ist die ganze Geschichte vor allem Audio-Futter für die Hardcore-Fanfraktion, schließlich reden wir von satten 70 Euro Anschaffungskosten. "Unearthed" ist dennoch als eigenständige Veröffentlichung zu verstehen, trotz der beiliegenden, obligatorischen "Best Of American"-Scheibe, falls jemand noch nicht alle vier Grammy-veredelte Cash/Rubin-Produktionen sein Eigen nennt. "My Mother's Hymn Book", Titel der vierten CD, beinhaltet ein unveröffentlichtes Gospel-Album, Cashs Lebenstraum, seit er 1955 bei Sam Philipps als Gospelsänger vorstellig wurde und eine Abfuhr kassierte.
Hier deutet sich vielleicht an, wie das geplante, zukünftige Cash/Rubin-Werk geklungen hätte, zumindest hatten der Mann in Schwarz und der Mann ohne Schuhe dem "Man Comes Around"-Nachfolger bereits den Arbeitstitel "The Black Gospel Album" verpasst. "My Mother's Hymn Book" sang Cash jedoch bereits 1996 während der Arbeiten an "Unchained" ein, als Hommage an seine Mutter, die ihm die meisten der Gospelhymnen bereits im Kindesalter vorgetragen hatte.
Manche eignete sich der notorische Radiohörer Cash auch selbst an, als Teenager auf den "cotton fields". Heraus kommen melancholisch-ruhige Songs rund um die unumstürzlichen Themen Jesus, Lord, Jordan und Heaven, von Cashs noch fester Stimme ausdrucksstark vorgetragen.
Die übrigen drei Scheiben geben dagegen Einblick, was sich in Rick Rubins Wohnzimmer in den 90er Jahren so abgespielt hat. Hier schaute der 60-jährige Sänger 1992 erstmals vorbei, nachdem ihn der Produzent kurz zuvor backstage nach einer Show überredete, mit ihm ein Album für "American Recordings" aufzunehmen.
Eine der unzähligen Booklet-Anekdoten weiß, wie Rubin während der "Wildflowers"-Aufnahmen Rat bei Tom Petty suchte: "Johnny Cash unterschreibt vielleicht bei mir. Was hältst du davon?" Worauf Petty nur stammelte: "Mein Gott, nimm ihn unter Vertrag, noch heute. Los, mach schon!"
Aus jenem magischen Wohnzimmer bekommen wir nun größtenteils knapp 50 Songs vorgelegt, die zur Hälfte meist unbekannte Cash-Nummern aus alten Zeiten und neue Song-Vorschläge Rubins beinhalten, die es nicht auf ein Studioalbum geschafft haben. Kolossal überstrahlt die "Heart Of Gold"-Coverversion Neil Youngs die gesamte Cash-Box, obendrein eine einzigartige Koproduktion mit den Chili Peppers: eingespielt bereits 1993 mit Flea und Chad Smith lagerte das Juwel jahrelang in Rubins Archiven, bis letztes Jahr zufällig John Frusciante vorbei schaute und gleich zwei seiner göttlichen Minimal-Soli aufs Band spulte.
Nicht minder herausragend ist Youngs mit Streichern versehenes "Pocahontas" oder die beiden mit Rock'n'Roll-Legende Carl Perkins eingespielten (!) Songs "Everybody's Trying To Be My Baby" und "Brown-Eyed Handsome Man". Groovender Geschichtsunterricht zweier Memphis-Boys. So ähnlich fühlten wohl auch die Mitmusiker von Tom Pettys Heartbreakern, die sich laut Rubin beinahe in die Hosen machten, als Perkins den Raum betrat.
Auch Clash-Legende Joe Strummer holte sich Rubins Anwesenheitserlaubnis ein, allerdings ursprünglich nur, um hinter der Studioglaswand kauernd seinem Idol beim Performen zuzuschauen. Bis Cash ihn zu einem Duett aufforderte. "Redemption Song" kann das hohe Cover-Level allerdings nicht ganz halten.
Dafür sprechen der knarzige Blues von "'T' For Texas" (Jimmy Rodgers), der erfrischende Rockabilly des Roy Orbison-Covers "Down The Line" oder das mit Nick Cave eingespielte "Cindy" eine eigene Sprache. Johnny Cash, a singer of songs. Und irgendwie kriegt man einfach nicht genug davon.
Was bleibt abschließend zu sagen? Vielleicht, dass sich jegliche Debatten über den Kaufpreis dieses Mammut-Werks schlichtweg verbieten. Der Mann aus Tennessee hatte selbst in schwächeren Momenten noch so viel Seele zu geben, dass ein Euro pro Song einem absoluten Dumping-Preis gleich kommt. Und dann noch die Aufmachung ... ach: Bow down and worship! In Ewigkeit. Amen.
19 Kommentare
Ein Lob für die schöne Rezension! Das Ding ist wirklich ein wahres Prachtstück, sehr liebevoll zusammengestellt. Die Erstauflage war schon nach wenigen Tagen vergriffen... und die Zweitauflage komischerweise teurer. Schnell muss man sein....
Eingeschweißt lassen und in 10 Jahren verkaufen, wär wohl kaufmännisch klug...aber wer kann schon so einen Schatz ruhen lassen?
kaufen und dann vom internet runterladen
Die Musik ist ja nur die eine Seite der Medaille, wenn auch die größere. Das 100seitige Booklet ist wirklich nicht zu verachten.
wow... ist das Teil edel...
Ach Leute
Fast schäme ich mich.....aber nur fast...