laut.de-Kritik

Obacht vor Orkanböen!

Review von

Im Zuge des Klimawandels werden wir bald neue Bezeichnungen brauchen. Was sich da gerade abspielt, kann man ja schlecht noch viel länger "April-Wetter" nennen - im August. Antäuschen mit lieblichen Schäfchenwolken und zarter Brise, im nächsten Moment bricht das Inferno los, mit tiefschwarzem Himmel, Blitz, Donner, Orkanböen und Sturzbachregen, unmittelbar gefolgt von schwüler Gluthitze, und dann das Ganze wieder von vorne: Ich beantrage die Umbenennung in "Jpegmafia-Wetter" ... zumindest fühlt sich sein "I Lay Down My Life For You" genau so an wie die meteorologischen Kapriolen vor dem Fenster.

Um in die Forrest Gump'sche Zitate-Pralinenschachtel zu greifen: "Du weißt nie, was du kriegst." Obwohl die Tracks größtenteils noch nicht einmal die Drei-Minuten-Marke reißen, legt jeder einzelne mindestens eine musikalische Kehrtwende hin, meistens eher zwei oder drei. Von melodischen, souligen Gesängen zu metallisch verzerrten E-Gitarren und Drumgewitter braucht Jpegmafia nur einen Wimpernschlag, genau wie von brasilianischem Funk zu Bleeps und Klickerklacker-Klingeling.

Eben zerhackt Peggy noch ein 2 Live Crew-Sample, und noch ehe jemand rafft, wie zur Hölle man aus dem Stripclub in dieses Gitarrengeschrappe geraten ist, hat "Sin Miedo" längst die nächste Metamorphose durchlaufen und sich in einen veritablen Synthiebanger verwandelt. Muss man nicht verstehen, kann man vielleicht auch gar nicht. "You think you know me" dürfte jedenfalls das passendste Producertag sein, das je ein Beatbauer gepickt hat. Jpegmafia feiert sich nicht umsonst gleich im ersten Track als Rekordhalter in Beatswitches pro Minute. Seinen Opener "I Scream This In The Mirror Before I Interact With Anyone" zu nennen: auch schon eine Ansage, nebenbei bemerkt.

Hemmungslos und ideenreich sprudeln die Referenzen. Nach den letzten Stationen seiner Diskografie, die in "Either On Or Off The Drugs" noch einmal unter dem Brennglas landen, sollte das eigentlich niemanden mehr verblüffen. Obwohl das keineswegs der erste Querverweis-Tsunami ist, den Jpegmafia über seinem Publikum entfesselt, platzt trotzdem fast die Rübe, wenn er, mal ziemlich, mal kaum, mal gar nicht verschleiert, auf Gott und die Welt deutet: auf DMX und Janet Jackson, Disturbed und Eminem, Tegan & Sara und Michael Jackson, Destiny's Child und 2Pac, Playboi Carti und Method Man, Basket-, Base- und Football, auf Wrestling natürlich, genau wie auf Peter Pan, Godzilla, King Kong und Streetfighter, und das teils im gleichen Atemzug.

"Put creativity back on the map", erklärt Jpegmafia in "I'll Be Right There" mit vollem Recht. Er bemerkt später aber auch, dass damit scheinbar keineswegs jede*r zurechtkommt: "N****s be beggin' for shit to be different until they get it, than they treat it indifferent", beklagt er. An seiner Seite hier, wie der Titel "Jpegultra!" schon ahnen lässt, wieder einmal Denzel 'Big Ultra' Curry. Der gibt seinen eigenen Hypeman, in "alligator shoes" und flankiert von Fanfaren und Drums, in denen sein eigentlicher Part beinahe untergeht.

Curry mit dem C für Charisma bleibt nicht der einzige Gast: In "New Black History" schaut außerdem Vince Staples vorbei, und die vollen ersten zwei Minuten von "Don't Put Anything On The Bible" gehören Buzzy Lee, mit der Jpegmafia schon mehrfach zusammenarbeitete. Dass sie die Tochter von Steven Spielberg ist, hatte ich allerdings nicht auf dem Schirm: wieder was gelernt.

Zwischen den ganzen akustischen Stromschnellen lässt Jpegmafia immer wieder durchaus tief blicken. Sein Ringen mit Depressionen, Alkohol und anderen Substanzen und den daraus resultierenden Beziehungsproblemen klingt durch. Internetsucht, anyone? "I'm so terminally online, goddamn, I gotta check myself." Auch den Liebesentzug, mit dem ihn Teile seiner Fangemeinde für seine Kooperation mit Kanye West abgestraft haben, scheint Peggy noch nicht restlos verdaut zu haben, zumindest rechtfertigt er sich mehrfach: "Some opportunities never come back", tja.

Ob man Jpegmafia für den zu engen Kontakt zu einem durchgeknallten Antisemiten jetzt verdammen und aus der eigenen Playlist verbannen sollte, muss wahrscheinlich, wie so oft, jede*r für sich selbst entscheiden. Ich hätte tatsächlich sehr bedauert, "Exmilitary" zu verpassen: Fünf Minuten lang flowt Jpegmafia da über den Beat, der auch wieder das komplette Spektrum von mellow Melodiegeklimper bis harte Gitarren-Drums-Klatsche abdeckt, aber immer wieder zu seinem Hauptmotiv zurückfindet: Ob Jpegmafia hier in "Tearz" badet, oder gleich in Wendy Renes wundervollem "After Laughter" aus dem Jahr 1964, auf dem der Wu-Tang-Klassiker fußt, weiß wahrscheinlich nur er selbst.

Auch um den Closer hätte es mir bitter leidgetan, hätte ich ihn mir aus Korrektheits-Gründen verkniffen. Hierfür liefert Janet Jackson das Intro: "Funny how times fly when you're having fun." Stimmt, genau wie Jpegmafias Conclusio: "Alright, that's it, man: I'm done, I finally finished this shit, finally. I've been workin' on this shit for a long time", q.e.d. Bleibt zu hoffen, dass sich der Tracktitel für ihn als genau so wahr erweist: "I Recovered From This". Schau an, es regnet gar nicht mehr. Im Moment.

Trackliste

  1. 1. I Scream This In The Mirror Before I Interact With Anyone
  2. 2. Sin Miedo
  3. 3. I'll Be Right There
  4. 4. It's Dark And Hell Is Hot
  5. 5. New Black History feat. Vince Staples
  6. 6. Don't Rely On Other Men
  7. 7. Vulgar Display Of Power
  8. 8. Exmilitary
  9. 9. Jihad Joe
  10. 10. Jpegultra! feat. Denzel Curry
  11. 11. Either On Or Off The Drugs
  12. 12. Loop It And Leave It
  13. 13. Don't Put Anything On The Bible feat. Buzzy Lee
  14. 14. I Recovered From This

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