laut.de-Kritik
Traurigkeit als Trend.
Review von Kerstin KratochwillAchtung Verwechslungsgefahr! Auf dem Cover meint man Lana Del Rey zu erblicken, der Albumtitel findet sich im Internet beispielsweise auf YouTube auch reichlich bei anderen Interpretinnen wieder, die allesamt einen "Sad Girl Summer" ausgerufen haben: Am eindrücklichsten wahrscheinlich Sophia Blenda, die bereits im Januar 2025 ihre erste Single aus ihrem Album so genannt hat.
Die Wiener Songwriterin und Sängerin der Band Culk, hat sich in ihrem Song jedoch kritisch mit diesem aktuellen Trend der "Sad Girls im Internet" befasst, die sich mit verschmiertem Kajal, traurigen Augen oder gar blauen Flecken am Körper inszenieren. Sie verehren Sylvia Plath oder Lana Del Rey, deren "Summertime Sadness" Pate für das Phänomen steht.
Blenda fordert in ihrem Song "Sad Girl Summer", dass Schmerz und Trauer von weiblichen oder queeren Musikerinnen ernst genommen und nicht als Label abgetan wird. Als Inspiration nennt sie unter anderem Künstlerinnen wie Billie Eilish, Phoebe Bridgers, Ethel Cain, Soko, Nico oder auch Kate Bush.
Und nun also auch noch ein Album mit dem Titel "Sad Girl Summer" von Kayla Shyx, auf dem Kinderkanal KiKa bekannt gewordene Schauspielerin, Influencerin und vielen in Erinnerung durch das im Jahr 2023 36-minütige viral gegangene YouTube-Video "Was wirklich bei Rammstein Afterpartys" passiert, in dem sie Missbrauchsvorwürfe gegen Till Lindemann und dessen problematisches Groupie-System thematisierte.
Jetzt also das Albumdebüt, auf dem sie in 17 Songs laut PR-Text "Schlaglichter aus ihrer Biografie der vergangenen vier Jahre" musikalisch verarbeitet. Als melancholischer Indie-Pop, zarter Dreampop oder düsterer Mumblecore gebrandet, inszeniert sich Kayla Shyx hier mit hauchender, brüchiger Stimme und somnambulen Sound als Sad Girl in Perfektion – eigentlich ein trauriges Paradoxon.
Ebenfalls im Presseschreiben steht, dass diese (persönliche, eigene) Klangwelt über anderthalb Jahre hinweg im Team entwickelt wurde. Entstanden sei so eine Musikerin, die ernsthaft als "Fee und Anti-Heldin" gepriesen wird. Dabei sind die Lyrics durchaus aus dem Leben von Kaya Loska, wie sie bürgerlich heißt, gegriffen – Textbausteine aus dem Tagebuch, die andere traurige Mädchen trösten und verunsicherte Seelen auffangen können, ähnlich wie schon Paula Hartmann oder Kati K mit ihrem stets flüsterartigem Melancholie-Pop.
Der bei Kayla Shyx dazugehörige weich-wabernde wirklich gut produzierte Sound zwischen Schlager-Seufzen und Mainstream-Pop bietet keine allzu sperrigen Hindernisse, sich hier nicht in watteweiche Kissen fallen zu lassen und sich in Realitätsflucht zu suhlen. "Tears On My Pillow"-Wehmut und "Therapy Speak"-Allgegenwärtigkeit fließen ineinander und lullen einen geradezu ein, sich der Sad-Girl-Sekte anzuschließen. Dieser Sepia-Welt täte dazwischen ab und an ein schriller Schrei einer Kate Bush ganz gut.
3 Kommentare mit 2 Antworten
"Blenda fordert in ihrem Song "Sad Girl Summer", dass Schmerz und Trauer von weiblichen oder queeren Musikerinnen ernst genommen wird"
Ein hoffnungsvoller Blick in die Musik enthüllt dann mal wieder das same old entrückte Genuschel. Wenn Schmerz und Trauer ernst genommen werden soll, sollte man vielleicht auch so singen, als meinte man es ernst.
Wow. Was für ein Genuschel.
"(...) oder gar blauen Flecken am Körper inszenieren."
Ernsthaft? Was für ein bekloppter Trend. Denkt vielleicht mal an die Frauen, für die blaue Flecken klein Fashion-Statement sind.
Vermutlich die logische Konsequenz von "Depression ist voll cool", was ja auch schon immer reichlich dämlich war.
*kein
Voll cool sich wertlos zu fühlen und zu denken, dass man allen zur Last fällt, bis man sich die unvermeidliche Frage stellt, ob nicht alle besser dran wären, wenn man einfach nicht existieren würde.
Ich hatte da schon so einige "Sad Boy Summers", die echt total Social Media kompatibel waren. Zu schade, dass ich mich nicht mal dazu motivieren konnte, das Telefon in die Hand zu nehmen, geschweige denn einen Song aufzunehmen.