laut.de-Kritik
Zwischen Heulboje und Rockröhre.
Review von Benjamin BuntzelWer hat Kelly Clarkson bloß erzählt, dass harte Gitarrenmusik zur Zeit gut ankommt? Welcher geldgeile Produzent es auch war, sie hat sich seinen Rat zu Herzen genommen und unter ihren süßlichen Gesang einen Haufen harter Riffs und Drums gepackt.
"My December" startet mit einem Kracher. Die Single "Never Again" präsentiert eine wütende Kelly Clarkson. Von einem Ex-Lover abserviert, antwortet sie nun auf musikalischem Wege. Bei der Zeile "Bet it sucks to see my face everywhere" kann man sich in die Position des Ehemaligen hinein denken, der nun wahrscheinlich ständig an Werbebannern mit dem Counterface des 'American Idols' vorbeigehen muss. Der Refrain hat einen sofort am Wickel und geht ins Ohr, löst aber im restlichen Nervensystem keine bemerkenswerten Reaktionen hervor.
Der Uptempo-Beat des nächsten Songs "One Minute" erinnert an die Sugababes und lässt der armen Kelly kaum Zeit zum Atmen. Einzig bei der mehrfach wiederholten Ansage "One minute goes fast" kennt der unerbittliche Rhythmus Erbarmen und lässt das Goldkelchen kurz verschnaufen. Der Song gestaltet sich recht kurzweilig, und nach seinen drei Minuten hat man schnell wieder den Kopf frei für den nächsten Track: "Hole".
Auch hier rotzt wieder eine schrammelige Gitarre vor sich hin, Kelly zeigt sich von abermals von ihrer bissigen Seite. Obwohl sie an einigen Stellen ihre Stimme in schwindelerregende Höhen treibt, schöpft sie bei weitem nicht ihr Potenzial aus. Wenn sie bei "Judas" und "How I Feel" dieselbe Nummer durchzieht, kommt langsam Langeweile auf, nur eine Prise Country befreit sie von dem Verdacht, sie wolle Avril Lavigne kopieren.
Dominiert eine Songwriter-Gitarre noch den Anfang von "Sober", übernehmen im Verlauf des Songs pompöse Streicher und verschmelzen zusammen mit Kellys Stimme zu einer All-American Ballade. Dieses Strickmuster verfolgen auch ein paar weitere Stücke des Albums, die getrost als Füllmaterial bezeichnet werden dürfen.
Gerade "Be Still" bin ich versucht, dilettantisch mit "Sei still!" zu übersetzen und auf die Interpretin zu münzen. Bei "Haunted" ist viel bei Evanescence abgekupfert, von Innovation in Sachen Songwriting oder Arrangement kann keine Rede sein. Ganz nach dem Motto "My December" wird hier der große Herzschmerz in die klassischen Phrasen verpackt und in gängigen Harmonieren abgearbeitet.
Als ich kaum mehr die Geduld zusammenbringe, mir mit "Irvine" auch noch den letzten Track des Albums anzuhören, zwinge ich mich zur Neutralität und Fairness und werde dafür belohnt. Kelly Clarkson verlässt die Zweidimensionalität zwischen Rockröhre und Heulboje und stellt eine Performance auf die Beine, die zeitweise an Feist erinnert. Gar nicht aufdringlich gesungen und von schlichter Rhythmusgitarre begleitet, schweben zarte Tönchen in die Ohrmuschel.
Davon angefixt warte ich sogar den Hidden Track ab und werde abermals positiv überrascht. Es wartet stimmungsvoller Lo-Fi Sound im Stil eines Jack Johnson, der bei diesem Song auch die Gitarre gespielt haben könnte. Die Zeilen "You are crap you should keep your eyes at on your new little brat" sind ganz nach meinem Geschmack und bieten einen versöhnlichen Abschluss.
Wie der so oft an den Pranger gestellte Exfreund haben auch die Produzenten bei "My December" leider aufs falsche Pferd gesetzt. Kelly Clarkson kann mehr, als die Klischees des Genres abspulen, das blitzt in dieser Scheibe immer wieder auf und lässt hoffen.
28 Kommentare
mir egal, was diese leute immer schreiben, dass jede platte in der ein paar pop-elemente vorhanden sind, auch gleich absoluter komerz ist.
ich find das album KLASSE und kanns nur empfehlen.
Prinzipiell würde ich meinem Vorposter zustimmen.
Das Problem ist nur: Wenn man alle Alben von Avril Lavigne gehört hat, ein Bisschen von Hoobastank, dazwischen Reamonn und insgesamt so 10 Pop-Platten oder mehr, fällt einem auf, dass die Riffs und Melodien und Ideen immer die gleichen sind.
Und dann kickt so ein Album auch nicht mehr.
vielleicht liest die kelly c. auch nur laut.de kritiken?
darf ich aus der kritik zur letzten cd zitieren?:
"Und die Rolle der aufsässigen Rockröhre liegt ihr doch deutlich eher als das Simulieren großer Gefühle - insofern ist der von ihr eingeschlagene Weg eindeutig der richtige."
bin kein clarkson fan- aber im vergleich zu deutschen popostars und dsds gesichtern ist sie hochglanz (und ob das alles authentisch ist spielt bei pop eh keine rolle).
fürs radio während der arbeit reicht es.
alte, für sowas ist joe strummer nicht gestorben.
@paul. (« dafür das viele kommentare hier soo anti sind- und sich viele nicht mit "mainstreamkacke" oder was auch immer anfreunden könnt- klicken ganz schön viele auf die cd kritik von kelly clarkson. und lassen auch noch zeit bei drauf gehen- für einen kommentar. »):
Sehr richtig
Das denke ich mir bei allen "Mainstreamkacke" - Kritiken, bei denen sich die "Mainstream-Antis" dazu hinreissen lassen, nen Kommentar abzugeben
Auch wenn es Mainstream ist, ich höre Ihre Scheiben hin und wieder recht gerne. My Dezember ist wenn man die beiden anderen Scheiben kennt anfangs sicher etwas gewöhnungsbedürftig. Doch sie kann singen und damit hat sie gegenüber einem guten Anteil der üblichen "Chartbevölkerung" etwas gut bei mir.