laut.de-Kritik
Zwei Treffer und zwölf Entwürfe als Füllstücke.
Review von Philipp KauseKerstin Ott fühlt, es sei alles wie früher. Wenn sie die Jukebox anwerfe, kämen Erinnerungen an "damals" zurück. An die gute alte Zeit. Ihre Stimme klingt reichlich jung dafür, dass sie früher Münzen in die Jukebox geworfen haben will. Wo das wohl gewesen sein mag? "Für Immer Für Dich" heißt ihr fünftes Album, und es handelt von der Zeit.
Von früher, denn "Alte Liebe Rostet Nie", von heute, im Hier und Jetzt "An Diesen Tagen", außerdem auch von Nächten: "Und Ich Lieg Wach". Vollumfänglich deckt die Platte die Zeitspanne von morgen oder sogar "Morgen Morgen" und "Irgendwann Vielleicht" ab, bis zum Lebensende: "Das Letzte Hemd Hat Keine Taschen". Und obwohl die alte Liebe nie rostet, denn "Liebe Macht Blind", und obwohl "Mein Herz Klopft", heißt es doch glatt "Bye, Bye".
Na, "Wenn Das Alles Ist", dann ist dieses Album ja doch thematisch sehr ernst für "die, die immer lacht / immer lacht". "Musik ist unsere Droge" bekennt die 42-Jährige zu einem gepitchten Stimm-Schnippsel aus dem Soul-Klassiker "Stand By Me". Wer Ben E. Kings Vermächtnis so grob vergewaltigt, führt die Aussage des Liedes gleich ad absurdum: Der Song erinnere an den ersten Kuss und Paartanz und bedeute der Protagonistin daher soooo viel. Die Leute, die dazu ihren ersten Kuss hatten, sind schätzungsweise heute jenseits der 80.
"Ich frag mich, was wär, wenn ich dich einfach schnapp", erläutert Ott das Herzklopfen in "Mein Herz Klopft", zu einem handelsüblichen Schlager-made-in-Germany-Wabbel-Beat aus dem Synthesizer. Da ging ihrem Producer-Team erschreckend schnell der Soul aus. Vielleicht gab es keine weitere Erlaubnis für geschmacklose Samples. Ist ja nachvollziehbar. Denn stellt euch vor, ihr würdet Musik machen und erhieltet eine Nutzungsanfrage für ein Stückchen aus einem eurer Songs, würdet dann Kerstin Ott googeln und ihre bisherige Musik hören. Damit wird man in anderen Genres nicht unbedingt gerne in Verbindung gebracht. Trotzdem bekennt sich die Künstlerin dazu, für ihre altertümlich orientierten Musik-Präferenzen als Teenager belächelt worden zu sein. Nun ist es ein Unterschied, etwas gut zu finden oder es selbst zu tun.
Getreu dem Slogan und Songtitel "Ganz Oder Gar Nicht", lautet die Killer-Frage hier, ob Otts Gesangstechnik überhaupt mit melodieseligen Sixties-Hits kompatibel ist. "Stand By Me" hat so wenig Dynamik zwischen Höhen- und Tiefentönen wie kaum ein anderer Oldie jener Ära. Das bissig betextete "Bye, Bye" glückt dennoch als eine Art deutschsprachiger Motown-Soul und als ein Versuch, diese Zeit zurück zu holen. Ein erster Anspieltipp! "Das Letzte Hemd Hat Keine Taschen" ahmt zudem die warmen String-Arrangements von Motown nach. Doch die Vollendung dieses Stücks scheint nicht geglückt, es klingt wässrig, seicht, deutsch und verkopft.
Eine ganz nette Stimme hat die gelernte Malerin und Lackiererin durchaus, "An Diesen Tagen ft. Ben Zucker" klingt trotzdem brutal. Die Strophen pirschen sich noch ganz unschuldig an, Kerstin spricht mehr, als das sie singen würde. Sie bleibt da noch ganz ruhig. Im Refrain fängt sie dann das Plärren an, trifft die Töne unsauber und eher nur so halb, und ihr Duettpartner Ben Zucker schreit sie und uns unerbittlich nieder. Als stünde er an der Nordseeküste und wolle uns ein Krabbenbrötchen für zehn Euro verkaufen. "Hey, das Chaos ist groß", stellt Kerstin fest, und da hat sie völlig Recht, angesichts des Wirrwarrs aus unruhig kreisenden Hack- und Schepper-Beats, zu vielen Effekten und zwei mäßig kompatiblen Stimmfarben. "Und egal, was es wird, es wird gut", versichern die beiden einander im Chor.
Aber das wird es nicht. Die Ausgelassenheit wirkt aufgesetzt und Bens Vokal-Kunst gebrechlich. In den Fremdscham-Momenten, in denen man solche Musik nüchtern auf sich wirken lässt, stellt sich die Frage: Wissen die Musikfans in unseren Nachbarländern, zu welchen Peinlichkeiten die beliebtesten deutschen Musikschaffenden fähig sind? Oder bekommen andere das nur zum ESC mit?
Was die Schweiz und Österreich betrifft, drang noch das "Best Ott" in beider Länder Top Ten vor. Alle nachfolgenden Singles floppten dort hingegen, zum Beispiel "Rockstar", die Ben E. King-Verhöhnung und das Zucker-Duett.
Der flockige Folktronic-Pop "Wenn Das Alles Ist" als innerer Monolog über eine beabsichtigte Trennung tut schon weniger weh in den Ohren. Außer man reagiert empfindlich auf Klacker-Beats. Mein Nachbar, ein Drogeriemarkt, bekommt freitagabends immer eine große Lieferung, für die zwei Stunden lang voll beladene Paletten auf die Straße knallen. Ungefähr so hört sich dieser Song an, aber rhythmisch. Es gibt sogar Sechzehntel-Noten im Taktmaß. Fraglich, ob das "Fernsehgarten"-Publikum dann noch mitklatschen kann.
Sympathisch zeigen sich der geschliffene und kompakte Text wie auch die eingängige Melodie, aber in diesem Mastering wäre es trotzdem hart, hier noch von Musik zu sprechen. Sogar DJ Khaled hat schon erheblich bessere Riddims bauen lassen, und ein Label wie Polydor sollte schon noch Budget für einen Toningenieur mit Grundkenntnissen haben. Dass Bassisten knapp sind, wusste man schon vorm Fachkräftemangel aus den Kleinanzeigenblättern vieler Städte, aber dass nirgends Schlagzeuger:innen für diese Platte aufzutreiben waren, glaube ich nicht.
Entsprechend fehlt einer "Rockstar" betitelten Nummer die Überzeugungskraft. Hier geht's um den Mut und die Entschlossenheit, sich aus Fesseln der Vergangenheit zu befreien, zu den eigenen Macken zu stehen, sogar "sonderbar" zu sein und quasi rebellisch wie ein Rockstar raus aus der Komfortzone, rein in die Wildnis der Selbstverwirklichung zu ziehen. Leider erscheint überhaupt kein Symbol für irgend etwas Rockiges in dem Lied, dessen Harmonie sich süßlich und ein bisschen einfältig anfühlt. Hört man die Instrumentierung, wird man DJ Bobo im Vergleich zur Klangkunst adeln. Wenn schon Dancebeats in einem Rocksong, wieso muss es dann Ramsch sein? Solange drüber geklatscht wird, fällt die Machart nicht auf. In manchen Kreisen vermisst niemand eine Band, und Playback ist die akzeptierte Normalität.
"Sie lässt los, wird heut nicht f-a-llen", müht sich Ott in ihrer Geschichte über die nicht self-empowerte Frau, die noch kein "Rockstar" ist, und bei 'fallen' sollte die Stimme fallen, so geht die Akkordfolge. Aber das gelingt nicht so gut. Allgemein klingt Kerstin nur treffsicher, wenn sie mit der Melodie nach oben geht. In der Gegenrichtung landet sie oft nicht auf dem angepeilten Ton. Immer noch authentischer als die metallischen und affektierten Töne von Helene Fischer, aber wer nicht zufällig hardcore unbeirrbar auf Schlager-Pop steht, den wird das hier alles nicht beeindrucken. Oft bescheidet sich die Norddeutsche, indem sie vor allem spricht und nur in ganz kleinen Tonsprüngen singt.
Dabei entstehen etliche Texte der Künstlerin, die ja auch Ko-Autorin ist, aus einer gewissen gedanklichen Tiefe heraus, wie einstmals schon "Die Immer Lacht", und es sind mitunter interessante und klar geschilderte Szenarien, deren Niveau weit übers Genre hinaus reicht. Sie wären eine gute Performance wert. Auch auf Tanzflächen hat die Sängerin schon 'funktioniert', doch den Schritt zu brauchbaren Club-Mixes wagte man hier trotzdem nicht.
Nun wollen wir, wenn wir Musik hören, keiner Sammlung von Entwürfen lauschen. Sondern das Gefühl haben, dass die Beteiligten mit ihren Gefühlen bei der Musik sind und nicht nur Grafiken von Sound-Kurven auf einem Bildschirm verschieben.
Zumindest eine Geschichte über Obdachlose, Junkies und Menschen, die vor Sorgen und "Gedankenkarussell" nicht schlafen können, zeigt in allen Disziplinen, dass zumindest etwas guter Wille in diesem Album steckt und es wenigstens für zweieinhalb Minuten anzurühren vermag. "Und Ich Lieg Wach" heißt dieses zweite gelungene Stück. Es versteckt sich inmitten eines Scherbenhaufens guter Ideen, die fatal dilettantisch zusammen gekittet wurden und deren Sollbruchstellen sofort nachgeben, sobald man die Ohren zu weit aufsperrt. Bei allem Respekt und bei aller Sympathie für die Person, wären die handwerklichen Mängel dieser Scheibe zwar behebbar, sie sind aber im fertigen Produkt zahlreich vorhanden und gravierend.
10 Kommentare mit 13 Antworten
Kerstins Ott würde mich mehr interessieren.
Hat auch keine bessere Musik gemacht als sie noch Sebastian Krumbiegel hieß.
lachkick bre
danke für diesen ausgezeichneten scherz
arbeitet systemrelevant daher nur liebe, egal was sie für musik macht
Als Malerin und Lackiererin?
Da verwechselt er was mit dieser Amigosbrut (oder so) die ist Wohl Krankenschwester oder Altenpflegerin.
Was die Musik aber auch nicht besser macht.
Na; kurzes Stromern durch Gala, Google und Co.
Ausbildung bei der Polizei abgebrochen, dann Malerin und Lackiererin bis zum Durchbruch. Das einzige was ich zu Pflege finden konnte war ihre eigene Kindheit in einer Pflegefamilie.
Dazu weiß ich nun auch dass sie vegan, nicht mehr spielsüchtig und ein Ausnahmetalent ist.
das ist nicht die altenpflegerin? ?
Die hieß Daniela Alfinato oder so
Als Altenpflegerin Schlagermusik zu machen ist aber auch eine besondere Form der Ausbeutung. Da muss die Frau Alfonso ja nur einmal fragen, ob sie nicht einmal ihre Musik, die sie in ihrer Freizeit gemacht hat, vorspielen darf. Die grundguten Senioren werden schon aus Höflichkeit nicht nein sagen und sobald der Schunkeltakt einsetzt, sind diese Menschen doch vollkommen wehrlos. Da wippen die Beine und öffnen sich die Geldbörsen dann von ganz alleine. Also moralisch vertretbar finde ich das nicht!
Enkeltrick 2.0
Kann man die Frau endlich mal zu einem Gesangstrainer oder neudeutsch "Vocal Coach" schicken? Singen kann man das ja nicht nennen was Kerstin Ott da ins Mikro trällert.
Ganz oder Gar nicht ist doch auch nur Liebficken.
Ich rede für Dich, schweig für Dich
Ich geh' und ich bleib für Dich
Ich streich den Himmel blau für Dich
Aber dieses Album, das geb ich mir nicht.