laut.de-Kritik
Das große Aufatmen - nach dem Luftanhalten.
Review von Josef GasteigerZwischenstand in Hamburg: Nach drei Alben voller Erkenntnis, dass das Leben eigentlich nur selten abläuft wie im Film (und Kühe schnell vom Eis müssen), kommen Kettcar im Jahr 2012 mit einer Platte um die Ecke, die die zentnerschwere Decke des Trübsals etwas aufrollt und zum Lüften auf den Balkon hängt. "Zwischen Den Runden" ist das Aufatmen nach dem zornigen Luftanhalten auf "Sylt". Die frische Luft tut ausgesprochen gut.
Kettcar besingen ihre Themen heute um einiges leichtfüßiger. Der in die Wolken gesteckte Kopf wird freier, die teilweise erdrückende Schwermut hellt hörbar auf. Zu mehr Mut zum Leisen verhalf sicher die Unplugged-Tour, die Stromgitarren gegen Streicher tauschte und den betörenden Popsongs mehr Raum zur Schönheit gewährte.
So bringen Kettcar Streicher- bzw. organische Synthies flächendeckend an den Mann, haben soviel Keyboard wie nie im Mix. Daraus machen sie auch kein Geheimnis. "Und wo, bitte, bleiben die Geigen?", fragt Sänger Marcus Wiebusch passenderweise in "Weil Ich Es Niemals So Oft Sagen Werden", einem Song, der erneut die Deckungsgleichheit zwischen Realität und Filmfiktion abklopft.
Es ist einer dieser Momente, der einen mit seiner tiefen Ehrlich- und Einfachkeit auf dem falschen Fuß erwischt. So romantisierend und doch geradeheraus wie Kettcar verpackt in der deutschen Rockpopwelt niemand die simpelsten Alltagssituation in ergreifende Popsongs.
Dazu gehört auch "Rettung": Rettung nach dem Absturz in Lokalen, vor dem Kater danach. Die wahre Liebe schleppt man gern spätnächtens vom Club nach Hause und pflegt sie auch wieder gesund. Weil: "Liebe ist das, was man tut." Schon beim ersten Song möchte man einfach nur zustimmend und froh mitnicken.
Ohne überbordende Musikuntermalung stehen diese Texte noch mehr im Mittelpunkt. Viel Zwischenmenschliches beschäftigt Marcus Wiebusch und fünfmal auch Bassist Reimer Bustorff, der die Songwriterlast nun auf seinen Schultern mitträgt. Gut Geschichten erzählen kann der Herr am Tieftöner ebenso, das klappt über das ganze Album einfach wunderbar. Zeiträume spielen große Rollen, solche zwischen Beziehungsanfang und –ende ("In Deinen Armen"), bei einem Krankenhausaufenthalt ("Nach Süden") oder das bloße Warten auf einen Zug, bei dem man nicht genau weiß, wohin er fährt, Hauptsache weit weg ("Erkenschwick").
Kettcar haben sich scheinbar damit abgefunden, dass das Älterwerden zum Leben dazu gehört und sind bereit für einen neuen Lebensabschnitt. Wo man alles etwas gelassener ansieht, weil die Sturm-und-Drang-Zeiten früher einmal waren. Es ist ein Album der Versöhnung, anders noch als der Vorgänger.
Was auf "Sylt" Motto war, ist zwischen den Runden nur mehr Ausbrecher: "Schrilles Buntes Hamburg" aus der Sicht der Eingeborenen, wo die Unfreude über das ach so hippe Image in dröhnenden Gitarren versinkt. "Auf Champagner-Vernissagen, bei den brennenden Barrikaden" - eine Ode der anderen Art an Hamburg wie damals bei den Landungsbrücken.
Etwas flotter im Tempo werden sie noch in "R.I.P." oder im grandios betitelten "Der Apokalyptische Reiter Und Das Besorgte Pferd", die den Blick weit über den Horizont schweifen lassen, die Verzerrer bleiben weitgehend außen vor. Dagegen fahren Kettcar Streicher auf, locker-flockiges Piano, zupfen an leisen Gitarren, schrammeln Akkorde und beschwören leise Weisheiten.
Dass das trotz aller Reduziertheit immer noch tiefe Wunden ins Seelenfleisch reißt, beweist der traurige Abschluss "Zurück aus Ohlsdorf". Fast zu spät zum Begräbnis eines alten Freundes, den man zuerst aus den Augen verlor, dann aus dem Leben. Mit "Lass uns noch einmal um die Häuser ziehen wie früher" klingt das Album aus. War das Leisewerden vielleicht gar nicht so einvernehmlich? Ziemlich egal, großen Eindruck machen Kettcar mit "Zwischen Den Runden" allemal.
6 Kommentare
Ich finde es bis auf "Zurück aus Ohlsdorf" leider ziemlich fade. 2/5
Ich konnte es kaum fassen, aber ich bin der Einzige. Und ich bin verdammt stolz drauf
http://prntscr.com/63ket
@ mad season: toll, Du bist ein hater; da hast Du ja wirklich Großes geleistet.
Warum sagst Du nicht, daß Du die Musik nicht gut findest, und noch besser, warum?
Ich hatte mich sehr auf das neue Album gefreut, da ich Wiebuschs Texte seit ... But Alive sehr schätze. Leider hat mich bei ZdR kein Titel wirklich mitgenommen und auch das mehrmalige Anhören hats nicht besser gemacht.
Keine großartige Weiterentwicklung, nur noch Streicher, Texte wie aus dem Setzkasten. Mir hats nicht gefallen.
Das Album ist einfach wieder wundervoll!!! Nach langer Wartezeit und der Dürre die uns begleitete hat kettcar einfach ein tolles Album hingelegt. Die Gedanken sind frei und die wahnsinnig melancholische Stimme mit den kleinen Ecken und Kanten zieht sich schön wie ein Faden durch den Gehörgang!
Ein klares MUST-HAVE in jedem CD Regal!!!!!
..einfach nur wunderschön..weckt erinnerungen an 12..