laut.de-Kritik

Höchste Zeit, dass Nero zum Streichholz greift.

Review von

Irgendwann 2006, nachts, an einer süddeutschen Kleinstadt-Tankstelle und zugegebenermaßen nicht ganz nüchtern versuche ich, einem guten, aber Hip Hop komplett abgewandtem Freund, dieses unfassbare neue Ausnahmetalent namens Kollegah nahezubringen, diesen Neubeginn von Deutschrap, den Boss der Bosse. Vergebens. Eine Mischung aus stoischem Unverständnis, Desinteresse und Cola-Rum weht mir entgegen.

Heute, zehn Jahre später, informiert mich ebenjener Freund, sich wohl meiner damaligen Begeisterung erinnernd, immer umgehend, wenn die Regenbogenpresse wieder herausfindet, dass da einer wahnsinnig schnell reimen kann und angeblich mal Zuhälter war. Dieser kleine persönliche Exkurs dient bestens als Metapher dafür, wo Kollegah mit seinem sechsten Album heute zurecht steht.

Gestartet mit nichts als einem einzigartigen sprachspielerischen Talent, einer mitunter gnadenlosen Unbeirrbarkeit in Sachen Musikstil und einem hartnäckigem "Fokus" aufs Geschäftliche bahnt sich der Knabe in einer Dekade seinen Weg, heraus aus der Anonymität der Internetforen, hin an die Spitze des florierenden Wirtschaftszweiges Deutschrap und damit in die breite Öffentlichkeit. Kaum jemand, der Kollegah heute nicht kennt. "Imperator" hört man das an – im besten wie auch im weniger guten Sinne.

Obwohl sein neuestes Werk erstmals nicht mehr beim langjährigen Labelpartner Selfmade Records erscheint, ändert sich am inhaltlichen Konzept zunächst rein gar nichts: nicht registrierte Kriegswaffen größtmöglicher Kaliber, sich in Edelboutiquen spiegelnde Cabriolets, Schiffsladungen voll schwer verzollbarer Waren und Penthäuser voll leicht bekleideter Damen, mittendrin: der goldbehangene, unzerstörbare, alles zerberstende und jeden dominierende Übertitan himself.

Verpackt in seinen souverän-arroganten, vor Zweideutigkeiten und Punchlines wie eh und je strotzenden Vortrag und ergänzt um die perfektionierten Trademarks Doubletime und Quadrupel-Reimschemata operiert Kollegah technisch weiterhin unangefochten in seiner eigenen Rap-Liga, kein Zweifel.

Das Ganze unterbrechen, auch das Usus, wenige nachdenklichere Stücke: So wünscht sich der Reallife-Multimillionär mehr "Zeit" für Wesentliches, ist vom struggle der eigenen Biographie müde wie ein "Assassine" und stellt schließlich im Duett mit MoTrip fest, dass jeder von uns "Einer Von Millionen" ist. Das ist mathematisch so korrekt wie es musikalisch auf den ZDF-Fernsehgarten schielt.

Das Produzententeam, bestehend unter anderem aus David X Eli, Hookbeats und Phil Fanatic, hüllt den "Imperator" dabei, passend zur restlichen Feldherren-Inszenierung, in majestätisch-atmosphärische, hier treibende, dort ausgebremste, aber immer synthetisch-tief wummernde Beatkolosse. Das klingt alles sehr rund, beeindruckend und – speziell in Fällen wie "Nero" und "Kaiseraura" – auch professioneller denn je. Leider aber auch erschreckend austauschbar.

Dieses Phänomen trat schon auf "King" zutage und kulminiert auf "Imperator" nun zusammen mit etwas anderem zum echten Problem: Kollegahs Rapstil und die immer noch breitwandigere Ego-Projektion kommen langsam aber sicher in die Jahre, das Spiel mit den Übertreibungen hat spätestens LGoony durchgespielt. Sprich: Imperiale Langeweile schleicht sich ein in die überlebensgroßen Spiegelhallen, die sich der ultimative Endmagnat mit jedem neuen Release immer noch ein Stück pompöser errichtet.

"Dein Mix der Woche"-Hörern mag derlei hi-endiger Dienstleistungsrap™ zur Abwechslung zwischen Jason Derulo und Mark Forster ja bestens reinlaufen. Insofern wird "Imperator" sowohl betriebswirtschaftlich wie auch chartstechnisch wieder erstklassig abschneiden. Künstlerisch ist vom disruptiven Moment eines früheren Zuhälter-Toni auf 2-Unlimited-Basis aber leider kaum noch etwas zu spüren.

Freilich, gegen genau diesen Vorwurf hat sich der volksnahe Mogul vermittels Amazon-Pappschachtel-Dreingabe in weiser Voraussicht gewappnet: Freunde des alten Kirmesbeat-Posers kommen beim "Hoodtape Vol. 2" für den Moment voll auf Ihre Kosten, stimmt. Nur ist auch ein noch so kurzweiliges Revival eben nur ein Revival und "Imperator" nun mal das vorliegende Primär-Werk.

Herausstechen mag bei diesem am ehesten "24 Karat": Wenn da inmitten all der zu Tode perfektionierten Hochglanz-Megalomanie plötzlich ein schwer entspannter Felix Blume im herrlichsten Scheißegal-Modus und gefühlt one take über nicht sehr viel mehr als einen monotonen Vocal-Loop mit simpel brummenden Bumm-Tschack-Fundament schlendert: Ganz klarer Aha-Moment.

Ebenfalls an alte Zweitlings-Großtaten anzuknüpfen versucht die "Rapkoryphäe". Hier bleibt es leider beim Versuch einer gelungenen Reminiszenz. Songs wie "Cold Blooded" oder dem "JBG3"-Vorboten "American Express" fehlt neben der Abwesenheit von F. Bang zum Hit letztlich die musikalische Idee: Sich auf Piano-Loops verbal aus dem Fenster lehnen war halt schon anno '96 nicht mehr der allerfresheste Scheiß.

Versöhnlich stimmt letztlich wieder das "Siegerlächeln", das dieses Mal die legendäre Outro-Funktion übernimmt: Ein paar lockere Sprüche auf einem haarsträubenden EDM-Sample zum Abschied, fertig ist die Segeljacht. Sicherlich kein Klassiker-Abgesang wie noch auf "Kollegah", aber in seiner bis heute aufrechterhaltenen Konsequenz seit den Anfängen durchaus eins der willkommeneren Selbstzitate.

Es wird sich also mit den kommenden Releases zeigen müssen, ob der Künstler-Kaiser den "Nero" konsequent durchzieht und sich traut, das erschaffene Imperium im Sinne der Erneuerung zumindest ein Stück weit abzufackeln, um an seiner statt etwas wirklich Neues zu errichten. An der Zeit wärs. Nicht, dass die jungen, nachrückenden Töchter und Söhne der Republik Deutschrap den Imperator auf dem selbsterrichteten Thron ermorden. Soll ja schon vorgekommen sein.

Trackliste

  1. 1. Kaiseraura
  2. 2. Hardcore
  3. 3. Aventador
  4. 4. American Express feat. Farid Bang
  5. 5. Nero
  6. 6. Cold Blooded
  7. 7. 24 Karat
  8. 8. Rapmoney feat. Summer Cem
  9. 9. Assassine
  10. 10. Zeit
  11. 11. Pharao
  12. 12. Pythonleder feat. KC Rebell
  13. 13. Rapkoryphäe
  14. 14. Schwarze Rosen feat. Ali As
  15. 15. James Bond
  16. 16. Fokus
  17. 17. Einer von Millionen feat. MoTrip
  18. 18. Siegerlächeln

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27 Kommentare mit 109 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Album ist besser als King meiner Ansicht nach, der Stil aber spätestens seit eben jener LP überholt. Von diesen "Aha"-Momenten lebt(e) Kolles Rapstil. Ist der erstmal weg, wird es schwer mit guter Unterhaltung.

    Enttäuscht bin ich übrigens von dem lauen Hoodtape 2. Stellenweise ganz nett, stellenweise aber auch ungewohnt unlustig und anstrengend.

  • Vor 7 Jahren

    "Imperiale Langeweile schleicht sich ein in die überlebensgroßen Spiegelhallen" :-D Lieber ein Satz, der brennt, als zehn Absätze verschwendet

  • Vor 7 Jahren

    Ging mir bei den ersten 2 Durchläufen schon mal sehr gut rein. Voraussetzung ist, dass man diesen wirklich brechreizfördernden Track mit MoTrip skippt. Ob es 3/5 oder 4/5 werden, stellt sich noch raus. Aber wie immer weit entfernt von der Totalkatastrophe, die hier seit Jahren murmeltiermäßig vor jedem seiner Releases herbeigeredet wird.

    Hoodtape habe ich mir noch nicht angehört.

  • Vor 7 Jahren

    oh das album is ja schon längst draußen, is ja komplett an mir vorbeigegangen

  • Vor 7 Jahren

    Hab ich neulich dann doch mal aus dem Schnäppchenregal gezogen. Finde, es ist noch hinter Bossaura sein schwächstes Album, obwohl man es sicher noch eher unfallfrei durchhören kann. Die Gründe und Ausnahmen fasst die Review ja sehr treffend zusammen. Nur ob es wirklich sein Stil an sich ist, der sich so abgenutzt hat? Da hab ich als jemand, der mit ZHT4 den direkten Vorgänger fürs seinen besten Output überhaupt hält, dann doch meine Zweifel.
    Naheliegender scheint mir umgekehrt, dass er halt zu den Textern gehört, denen ein enges Konzept-Korsett bei aller Begabung einfach besser steht als freie Entfaltung.

    So oder so werd ich wohl auch in Zukunft nicht drum rum kommen mir sein Zeug früher oder später zu geben, alleine für die ein oder andere spektakuläre Punchline. Dass Farid Bang hier mit seinem Ästhetik-Verständnis meinen größten Lacher auf seiner Seite hat, ist für dieses Album aber leider bezeichnend.