laut.de-Kritik
Die Dekonstruktion der Kylie Minogue.
Review von Kerstin KratochwillMit Dauerwelle, Latzhose und Schraubenschlüssel wurde Kylie Minogue als Tomboy Charlene durch die australische Seifenopfer "Neighbours" berühmt. Schon bald landete sie auch als Popstar einige Welthits wie "I Should Be So Lucky" oder "The Loco-Motion" aus der damaligen Hitschmiede Stock Aitken Waterman, die Ohrwürmer wie am Fließband für Acts wie Rick Astley, Bananarama oder Samatha Fox züchteten. Die erfolgreiche, aber stets belächelte Zusammenarbeit mit den Produzenten und ihre Anfangszeit als Sängerin führte dazu, dass Minogue den wenig schmeichelhaften Spitznamen "Singing Budgie" ("singender Wellensittich") verpasst bekam.
Mit ihrem fünften 1994 erscheinenden Album, selbstbewusst "Kylie Minogue" benannt – nicht zu verwechseln mit ihrem späteren Album "Impossible Princess" aus dem Jahre 1998, das in Europa ebenfalls unter dem Namen "Kylie Minogue" vermarktet wurde, weil der Name wegen des tragischen Unfalltodes von Prinzessin Diana nun als pietätlos galt – änderte sich die Wahrnehmung als Wellensittich, denn es begann die Dekonstruktion der bisherigen Minogue. Das Album erschien passenderweise auf dem Indie-Label "Deconstruction Records", und Indie-Kylie war geboren. Label-Chef Pete Hadfield sagte zum damals überraschenden Signing ziemlich prophetisch: "Kylie gilt als trashige Disco-Sängerin, wir sehen sie als potentielle radikale Dance-Diva".
Radikal und beeindruckend vom ersten Ton des – wahrscheinlich besten Kylie-Tracks aller Zeiten – "Confide In Me", wird diese Wandlung dann auch durch den Rest des Albums getragen. Der Opener hypnotisiert mit Trip-Hop-Elementen und orientalisch klingenden Percussions. Im Text singt Kylie über ihre Fähigkeit zur Manipulation, und dass man ihr dennoch vertrauen soll. Sie offenbart damit, dass sie mittlerweile beides gut spielen kann: Sowohl die Puppenspielerin als auch die Pop-Puppe als die sie oftmals geschmäht wurde.
Mit diesem Image kokettiert sie dann auch weiter auf dem Album-Cover, auf dem sie bisher ungewohnt in Hosenanzug und mit Brille in die Kamera blickt und dabei aber ziemlich kampfeslustig aussieht – eine Künstlerin, die ernst genommen werden möchte. Eine Künstlerin, die aber dennoch nicht auf ihr bisher sexy Image verzichtet und dies ab jetzt clever einsetzt.
Bei diesem Album gelingt dies am frappierendsten im Video zum lasziven "Put Yourself In My Place", in dem sie die legendäre Eröffnungsszene aus "Barbarella" nachspielt, in der Jane Fonda einen sprachlosmachenden Striptease im Spacecraft hinlegt. Erotik und Emanzipation spielen hier zusammen, nicht umsonst wurde das Album musikalisch mit Madonnas Soft-R'n'B-lastigen "Bedtime Stories" und in Sachen Empowerment mit Janet Jacksons "Control" verglichen. Thematisch durchzieht die Frage nach dem Frausein das Album, musikalisch wird dies vielfältig verarbeitet: Kylies Dance-Pop erhält viele Facetten, ihre Stimme neue Nuancen.
"Kylie Minogue" integriert Elemente von R'n'B, House, Ambient, Balearic, Acid-Jazz, Funk und Club-Sounds und ist inspiriert von Massive Attack oder Portishead. In frühen Aufnahmesessions zum Album arbeitet Kylie mit der britischen Indie-Band Saint Etienne zusammen, was leider nicht funktionierte – es wäre so interessant zu hören, wie deren Sixties-Sound und Synth-Pop das Werk geprägt hätten.
Stattdessen werkelten aber letztendlich andere illustre Musikerinnen und Musiker mit. Darunter Inga Humpe, die als Songschreiberin zusammen mit Minogue das entspannte "Automatic Love" schriebt, während die Pet Shop Boys das funkig fluffige "Falling" für sie lieferten. Und der soulige sophisticated Schlusstrack "Time Will Pass You By" wurde von den Label-Kollegen und Dance-Act M People produziert. Eklektisch und experimentell wie die Mitstreiter bei dem Album ist dann auch die Musik selbst, ohne die Kylie Minogue heute niemals den Status erreicht hätte, den sie inzwischen als Pop-Chamäleon mit unzähligen zeitlosen Songs innehat. Your disco needs you forever, Kylie!
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
2 Kommentare
Ich mag deinen Schreibstil, Fr. Kratochwill. Und deinen Musikgeschmack
"Confide in me" ist wahrscheinlich eines der ersten Lieder, dem ich ungezwungen (und damals noch heimlich) einen Perfect-Pop-Pass ausstellen konnte. Und das lag definitiv nicht nur an den Folgen, welche das Anschauen des seinerzeit schwer rotierenden Videos bei frisch MTV-süchtig gewordenen und ebenso frisch Pubertierenden mit sich bringen konnte und kann. Ich kann mich erinnern, dass es damals schon einen ungewohnten Mix aus Anziehung und Abstoßung in Verbindung mit den Lyrics und Assoziationen des Gesamtpakets (war das erste, was ich medial bewusst von Kylie Minogue mitbekam) zu käuflicher Liebe, käuflicher Sexualität, käuflichem Vertrauen in mir auslöste.
Auf musikalischer Ebene fand und finde ich den Beat für sich genommen halt super stumpf classic 90s Plastic Pop, wurde aber ebenfalls auch damals schon sofort durch diese orientalischen Einsprengsel, insbesondere in Harmonie mit Kylies Gesangsmelodie im Refrain, wunderbar vereinnahmend abgeholt.
Bis ich mal offen und genreübergreifend zu meiner selektiven Alleshörer-Attitüde stehen konnte war diese Single mein gut verstecktes, (un)heimliches guilty Pop pleasure. Muss gestehen, dass ich das Album so als Ganzes nie nachgeholt habe, aber dein Text hat mich dazu animiert, es auf die "Wenigstens 1x komplett durch!"-bucket list zu nehmen.
Tatsächlich das erste Mal, dass mir etwas von Kylie absolut gut gefallen hat. Vorher war mir das alles eher egal. Und im Jahr darauf hat sie die Kollaboration mit Nick Cave ja dann völlig legitimiert/rehabilitiert. Bis heute ein großer (kleiner) Popstar mit vielen Ideen und Durchhaltevermögen. Respekt.