laut.de-Kritik

Das kleine Schwesterchen von Nirvanas "Nevermind".

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Fettige Haare, dreckige Fingernägel und zerschlissene Flanellhemden: Die fleischgewordene Antwort auf den Spandex-tragenden Hair-Metal-Sturm, der sich Ende der Achtziger flächendeckend ausbreitete, sorgte in diversen konservativen Haushalten rund um den Globus für mittelgroße Angstzustände. Der Grunge war da; und mit ihm eine stetig wachsende Gefolgschaft, die mit ihrer Anti-Attitüde Erinnerungen an Zeiten weckte, in denen gefärbte Haare, Nietengürtel und geschwollene Mittelfinger der Disco-Generation den Kampf ansagten.

Mittendrin: L7. Vier junge Mädels aus Los Angeles, die sich – so die Legende – während ihrer ersten Konzerte einen Spaß daraus gemacht haben sollen, das eine oder andere Lee Aaron- oder Lita Ford-Vinyl-Produkt als Urin-Tellerchen zu benutzen.

Doch Jennifer Finch, Suzi Gardner, Donita Sparks und Roy Koutsky haben Anfang der Neunziger noch weit mehr in petto, als das bloße Umherschwingen dreckiger Slips und das rotzige Auftreten eines trotzigen Riot-Grrrls-Kollektivs.

Den Beweis dafür liefern die seit 1985 im männerdominierten Hartwurst-Business mitschwimmenden Damen spätestens mit der Veröffentlichung ihres dritten Studioalbums "Bricks Are Heavy", das sich im Sommer 1992 im Windschatten von Nirvanas "Nevermind" mal eben so an die Pole Position der Billboard Heatseekers-Charts setzt.

Das von Seiten der Presse und der Promotion suggerierte Poster-Girls-Image der vier Kalifornierinnen hat mit dem Erfolg des Albums jedoch nur wenig zu tun. Zahllose Konzertbesucher, die während der dutzendfachen Stagediving-Momente von Suzi und Co aufgrund des unerotischen Austretens diverser Körperflüssigkeiten lieber das Weite suchen, sind ein Beleg dafür. Vielmehr beeindruckt das Quartett im Jahr des Amtsantritts von Bill Clinton mit einer wuchtigen Metal-Grunge-Punk-Melange, bei der selbst einem Kurt Cobain die Ohren flattern: "Als ich die beiden Songs "Pretend We're Dead" und "Everglade" zum ersten Mal hörte, war ich völlig geplättet", so der Nirvana-Chef im Sommer 1992.

Die Rede ist von den beiden Eckpfeilern des Albums, zwei hymnischen Midtempo-Bulldozer, gesättigt mit simplen Powerchords und treibenden Drums. Der Erstgenannte macht sich bereits wenige Wochen nach der Veröffentlichung des Albums auf den Weg in nahezu jeden Alternative-Club von L.A. bis Melbourne. Überall hüpfen die Horden umher wenn sich das Schwesterchen von "Smells Like Teen Spirit" durch die Boxen schält.

In Form gegossen von "Nevermind"-Produzent Butch Vig (Sonic Youth, Smashing Pumpkins) hinterlassen aber auch die restlichen neun Songs des Albums große Spuren auf dem mittlerweile in Richtung Mainstream führenden Grunge-Pfad. Mit breitbeinigem Psycho-Punk ("Wargasm"), abgedämpftem Gestampfe ("Scrap", "Diet Pill") und düsteren Ramones-Anleihen ("Slide") lassen L7 ihre Kolleginnen von Babes In Toyland und Bikini Kill mit offenen Mündern im Regen stehen. Da tanzt sogar Nine Inch Nails-Mastermind Trent Reznor vor Begeisterung im Dreieck und parkt die schallende Ohrfeige für unerwünschte Zeitgenossen namens "Shitlist" auf dem Soundtrack von Oliver Stones Kill Em All-Romanze "Natural Born Killers".

Mit "Bricks Are Heavy" thronen L7 im Sommer 1992 ganz oben. Was auch heute noch immer wieder gerne aus dem Archiv gekramt wird, wenn es um musikhistorischen Allgirl-Rock mit Durchschlagskraft geht, markierte für die Band jedoch gleichzeitig den Absturz ins Niemandsland. Keines der nachfolgenden Alben erreichte auch nur ansatzweise die substanzielle Grundenergie von "Bricks Are Heavy". Keines hatte mehr die Kraft und die Unbändigkeit zu bieten, mit der sich das dritte L7-Schaffen für jeden Freund alternativer Rock-Klänge unentbehrlich machte.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Wargasm
  2. 2. Scrap
  3. 3. Pretend We're Dead
  4. 4. Diet Pill
  5. 5. Everglade
  6. 6. Slide
  7. 7. One More Thing
  8. 8. Mr. Integrity
  9. 9. Monster
  10. 10. Shitlist
  11. 11. This Ain't Pleasure

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