laut.de-Kritik
Baby, wo ist dein Drink?
Review von Giuliano Benassi"Dear Heather, please walk by me again, with a drink in your hand and your legs all white from the winter", trägt Leonard Cohen im Titellied seines vierzehnten Studioalbums gebetsmühlenartig vor. Die Strophe scheint ihm so wichtig zu sein, dass sie das ganze Lied stellt und er sie vier Mal wiederholt. Handelt es sich um das Stottern eines greisen Mannes, der hoffnungslos einer jungen, hübschen Frau hinterher starrt?
Eine Blindenorgel und die begleitende Frauenstimme weisen eher auf die Selbstironie hin, die Cohens Werke seit den 80er Jahren kennzeichnen. Die Stücke drehen sich wie gewohnt um Liebe, Beziehungen und existentielle Themen, dennoch sorgt der Poet aus Kanada immer wieder für ein Schmunzeln. Wie etwa in "Nightingale", wenn er seine Maultrommel auspackt und einige Takte auf ihr spielt.
War "Ten New Songs" (2001) ein eher missglückter Versuch, eigene Gedichte von einer anderen Person vertonen und ausführen zu lassen, reißt Cohen das Ruder dieses Mal wieder an sich. Sharon Robinson darf zwar Hand anlegen, aber nur bei "Go No More A-Roving", "The Letters" und "There For You". Ansonsten traut sich der Meister neben der Produzentin Leann Ungar seiner langjährigen Backgroundsängerin Anjali Thomas an. Sie sorgen dafür, dass im Studio anstelle von Keyboards echte Instrumente den Ton angeben.
Dass sich das Ergebnis nicht anhört wie "Suzanne" oder "Bird On A Wire" versteht sich von selbst – schließlich ist seitdem über ein Drittel Jahrhundert vergangen. Ja, Cohens Stimme ist tiefer geworden, so tief, dass er sich stellenweise eher wie ein rezitierender Schauspieler als wie ein singender Musiker anhört. Und ja, es wäre bestimmt nett, ihn wie damals alleine mit Gitarre hören zu dürfen. Bis sich Rick Rubin seiner annimmt, muss man halt die eine oder andere Schwachstelle großzügig überhören. Dafür gibt es aber auch gelungene Arrangements wie etwa in "Nightingale" oder dem abschließenden Country-Stück "Tennesse Waltz", das aus einem Liveauftritt von 1985 stammt.
"On That Day" liefert den wahrscheinlich intelligentesten Kommentar zum 11. September, wenn man ihn mit den Ergüssen vergleicht, die Cohens Kollegen hervorgebracht haben. "Manche sagen, es ist das, was wir für unsere Sünden gegen Gott und unsere Verbrechen in der Welt verdienen. Ich weiß nicht, ich halte nur die Stellung … Beantworte diese Frage, ich werde dich nicht verklagen: Bist du verrückt geworden, oder bist du zur Arbeit gegangen, an dem Tag, an dem sie New York verwundet haben?"
Es ist eben eine Menge vonnöten, um einen mehr oder weniger funktionierenden Status Quo ins Wanken zu bringen. Das Leben geht weiter. Was auch für Cohen selbst zutrifft. "Ich habe ein bestimmtes Territorium besetzt und versucht, es mit all meinen Möglichkeiten zu verwalten und zu pflegen. Ich werde es weiterhin tun, so lange meine Kräfte es zulassen. Hier kenne ich mich aus", erzählte er 1994 in einem Interview. "Dear Heather" stellt Leonard Cohen im Alter von 70 Jahren dar: Einen intelligenten Menschen, der immer noch etwas Interessantes zu sagen hat, das Leben mit einem Schmunzeln betrachtet und sich von nichts und niemandem von seiner Stellung verdrängen lässt. Wenn ab und an eine hübsche junge Frau mit einem Drink vorbei schlendert, ist er um so zufriedener.
1 Kommentar
krass was für Banausen! Sir Cohen ist ein Genie würdigt ihn