laut.de-Kritik

Ein Album wie Philadelphia.

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Kann eine Platte wie eine Stadt klingen? Ich glaube, ja. Denn "Private Lives", das neue Album von Low Cut Connie, atmet den spezifischen Grit Philadelphias. Ein Underdog, durchwebt vom Geist früherer Größe, voller Stolz in der Brust - trotz des Niedergangs in den vergangenen Jahrzehnten im Schatten des großen, glänzenden Nachbarn namens New York. Mehr Absturzkneipe als Rooftop Bar. Hier stößt man nicht auf den abgeschlossenen Deal an, hier wird das Leben mit billigem Alkohol für eine Nacht schöngetrunken. Und genau da fühlt sich Adam Weiner, Songwriter und Bandfokus, am wohlsten. Bei all den Ausgestoßenen, die nicht "Teil der glänzenden, sexy ein Prozent sind".

Jenen setzt "Private Lives" ein Denkmal: Sie sind nicht allein. Weder die Blue-Collar-Arbeiter, die vom Strukturwandel zurückgelassen wurden, noch die Freaks der Stadt, die ihre eigene Identität abseits tradierter Rollenmuster suchen und finden. Der Opener blickt voller Hingabe und Zuneigung auf die "Town freaks and the sleazies". Ihrer Theatralik und Problemen fühlt sich Weiner verbunden, bei ihnen möchte er sein. Als gemeinsame Charakteristik identifiziert er eine simple Wahrheit: "At the end of the day we got love to give". Diese hinreißende Hymne auf die Außenseiter kleidet er in sonnigen, verspielten 70s-Classic Rock.

Solche selbstbewussten, breitbeinigen Rocker stehen oft reduzierte, getragene Piano-Balladen gegenüber. "Look What They Did" ist die mit Abstand beste von ihnen. Weiners Klavier hüllt sich in leichte Streicher, während der Sänger einen melancholischen Blick auf die zerplatzten Träume des glitzernden Atlantic City wirft, wie anno 1982 der Boss.

Doch während Springsteens Casinostadt zumindest anfangs ein Hoffnungsschimmer im Leben des "little guy" darstellt, sieht Weiner diesen Optimismus nicht mehr. Er steigt direkt ein: "Tough shit for the little guy / livin' like a chump with his back to the wall". Von dort führt er immer weiter hinein in die Welt der Desillusionierten. Mit angemessenem, nicht unangenehmem Pathos klagt er: "Donald Trump made half a billion / what have we got to show?" Nichts.

Auch das Musikvideo zu "Look What They Did" verweist auf den Boss. Im Stil des legendären "Streets Of Philadelphia"-Video fährt Weiner einsam durch ein deprimierendes Atlantic City. Aus diesem führt "Charyse" wieder heraus. Als straighter Road Trip-Rocker im Stil von The War On Drugs (übrigens auch aus Philadelphia) angelegt, begeistert vor allem die Gitarre. Das Solo im Outro überschlägt sich selbst, zeigt ein atemberaubendes Tempo und wirkt dennoch nie reiner Selbstzweck. Weiners Lyrics vom Aufbruch liefer währenddessen nichts Besonderes, mit einer kleinen Ausnahme: "I saw this thing on TV / about these kids in California / who ended up with HIV / they didn't have any family / it scared the shit outta me / I'm still thinkin about it six months later".

"Nobody Else Will Believe You" zeigt eine konsequente Referenz der Platte auf: Das queere Außenseiter-Denkmal "The Rocky Horror Picture Show". Weiners manisches Klavierspiel besitzt die gleiche, atemlos verspielte Energie wie 1975 "Time Warp". Voller Genuss zieht Wiener Vokale gefühlvoll in die Länge, und klingt dazu noch herrlich nasal nach den 70s.

"If I Die" hingegen zieht seine Inspiration aus Rolling Stones-Blues. Ein schwerer Stampfer, mit perkussiv zirkulierender Gitarre und akzentuiertem Schlagzeug. Vor dieser Kulisse scheint Weiner seine Zeilen aus dem Brustkorb hervorzustoßen und will nur eines wissen: "If I die / would you cry for me?" Auch "It Don’t Take A Genius" stampft bluesig vor sich dahin, angereichert mit dezentem Funk.

Am offensichtlichsten wird der Bruce Springsteen-Bezug auf "Take A Little Ride Downtown". Der 70er-Rocker kommt mit gniedelndem Gitarrensoli, einem Barpiano und druckvollen Drums. Atmosphärisch wäre er auf "Born To Run" nicht allzu sehr aufgefallen. Ihn durchwebt dasselbe Gefühl eines endlosen Sommerabends auf der Veranda. Nur das charakteristische tiefe Grummeln des Bosses bekommt Wiener nicht emuliert. Das macht weiter nichts, das Problem des Songs liegt an anderer Stelle: Er ist schlicht und ergreifend nicht vollständig ausgeführt. Dieses Manko findet sich immer wieder: Die Songs klingen wahnsinnig spannend, verlieren im Verlauf nicht an Qualität und enden trotzdem häufig unter der zwei Minuten-Marke.

"Take A Little Ride Downtown" erreicht deshalb nie die Opulenz der wahrhaft großartigen Springsteen-Songs. Die sanfte Ballade "Run To Me Darlin" setzt wirkungsvoll Streicher ein, birgt Potenzial für eine große, tränenreiche Eruption der Gefühle mit seiner Geschichte von zwei ehemaligen Liebhabern. Dazu kommt es nur leider nicht, der Song endet bereits zuvor.

Dennoch bieten Low Cut Connie eine nostalgisch wärmende Umarmung an. "Private Lives" fungiert als eine Art zeitloser Raum, 54 Minuten fern der Realität. Deshalb ist es allzu passend, wenn Weiner in der bezaubernden Ballade "Stay As Long As You Like" ganz zum Schluss singt: "Stay with me a long time / stay for just one night / stay as long as you desire / you can stay as long as you like".

Trackliste

  1. 1. Private Lives
  2. 2. Help Me
  3. 3. Now You Know
  4. 4. Run To Me Darlin
  5. 5. Take A Little Ride Downtown
  6. 6. Wild Ride
  7. 7. If I Die
  8. 8. It Don't Take A Genius
  9. 9. Look What They Did
  10. 10. Tea Time
  11. 11. The Fuckin You Get (For The Fuckin You Got)
  12. 12. Quiet Time
  13. 13. Charyse
  14. 14. Nobody Else Will Believe You
  15. 15. What Has Happened To Me
  16. 16. Let It All Hang Out Tonite
  17. 17. Stay As Long As You Like

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