laut.de-Kritik

Musikalische Wandtattoos für die Wagenburg, ey!

Review von

Hinter Mark Forster stehen echte Marketing-Genies. Es muss einfach so sein. Um seine bocklangweiligen Liedchen so schwungvoll unters Volk und diesen noch langweiligeren Typen auf jede gerade irgendwie verfügbare Bühne zu bringen, braucht man eine unglaublich gut funktionierende Verkaufsstrategie.

Ich trau' mich gar nicht, den Gedanken weiterzuverfolgen, dass eine offenbar gar nicht einmal so kleine Zielgruppe für diesen banalen Mist existiert. Was, bitte, sind das denn für Leute, die sich diese Plattitüden vom Grabbeltisch als persönliche, tiefgehende Texte andrehen lassen? Vermutlich die gleichen, die nachdenkliche Sprüche, hinterlegt mit mit stimmungsvollen Naturfotografien, auf ihre Facebook-Seite zimmern und sich philosophisch-rebellisch fühlen wie eine Mischung aus Kant und Che Guevara, kaum dass sie in Tine Wittlers Einrichtungsshop ihre verschnörkelten Wandtattoos bestellt haben. "Latte Macchiato" für die Küche, das wirkt international und weltgewandt und passt thematisch auch noch total gut. Ins Wohnzimmer kommt "Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum."

"Tape" fühlt sich an wie ein Musik gewordenes Wandtattoo. Ganz grauenvoll. "Leben ist Veränderung!", ruft Mark Forster, obwohl sich nirgends etwas verändert, seiner Zuhörerschaft entgegen. Eingeleitet von einem "Ey!!", das vermutlich aufrüttelnd und mitreißend rüberkommen soll, so gerne und häufig, wie er es benutzt. "Ey! Keiner sagt, dass es leicht ist." "Ey, die Zeit ist knapp!"

Ey, ich wirke, wie ein Animateur im All-Inclusive-Ferienclub! Aber, ey! Dort machen die Käufer meiner Platten ja auch Urlaub. Ey! Jedes Jahr in der gleichen Hotelanlage, ey, denn da weiß man, was man kriegt, für sein gutes Geld. Das allerdings weiß man bei Mark Forster auch: Zumindest schürt das Coverartwork keine falschen Hoffnungen.

"Ey, stranges kleines Leben!" Vor allem klein, ja. Ich fasse einfach nicht, wie jemand mit so wenig Persönlichkeit einen dermaßenen Geltungsdrang spazieren tragen kann. Mark Forster hat nichts zu erzählen (falls doch, hält er es jedenfalls virtuos unter Verschluss), trotzdem kreisen alle seine Texte um ihn selbst. Der arme, missverstandene Mark, der in Wirklichkeit natürlich ganz anders ist, als es nach außen hin den Anschein hat. Guck' doch mal, sein "Selfie", da zeigt er es dir doch!

So ein Lied, wie es die Toten Hosen vor ein paar Jahren hatten, das hätte er aber auch gern, der Mark. So eins, dessen Refrain sie beim Public Viewing von Deutschland-Spielen mitsingen können, so Bourani-mäßig. Is' ja schon wieder EM. "Wir fliegen weg, denn wir leben hooooooch! Gewinnen alles und gehen K-Oooooo! Wir brechen auf, lass' die Leinen loooooooooos. Die Welt ist klein, und wir sind groß." Yepp, das sollte funktionieren, auf den Fanmeilen.

Den Kulturschock, den der Wechsel von Kaiserslautern ins große Berlin bedeutet hat, hat Mark Forster immer noch nicht richtig verkraftet. Darin mag der eine oder andere schwäbische Mediengestalter den Soundtrack zu seiner nach dem Umzug in die Hauptstadt jetzt unerhört individuellen Existenz erkennen. Jeden anderen muss das Rotieren um uninteressante Befindlichkeiten eigentlich nahezu ins Koma befördern.

Das ewige Ich-ich-ich erweitert Forster allenfalls zu einem hübsch biederen "wir". Das kulminiert ganz gruselig in "Für Immer Forever", einer dermaßen schlaffen Liebesgeschichte, dass man ihr eigentlich den Zusatz "-geschichte" aberkennen müsste: Junge trifft Mädchen, wird brav und sesshaft, jetzt "lass' ma langsam Kinder machen". Na, halleluja! Familienpolitik aus dem Wahlprogramm der Konservativen. Du und ich gegen den Rest der Welt, verstehste? In unserer gemütlichen Wagenburg. Dekoriert mit Wandtattoos! "Ey, wir sind nicht verrückt." Nein, ihr seid im ödesten aller Sinne normal.

Die Frechheit, mit der einem 08/15-Stangenware-Binsenweisheiten als individuell gestaltete Maßanfertigungen angedreht werden sollen, sollte alleine schon empören. Noch mehr in Rage bringt mich allerdings der finanziell wie personell unfassbare Aufwand, den alle Verantwortlichen betrieben haben, um diese gesangliche wie lyrische Einöde musikalisch in Szene zu setzen.

Klavier- und Streicheroverkill reicht nicht mehr aus. "Tape" verheizt außerdem unter anderem von Djorkaeff und Beatzarre programmierte dicke Drums und mit Jason & The Angry Notes wahrhaftig arschcoole Bläser. Bitter schade drum. "Du bist das Ding für mich, und die Chöre singen für dich." Nicht irgendwelche Chöre, nö, es müssen schon die Harlem Gospel Singers sein. All dieses übertriebene Bohei lässt den unscheinbaren Mark Forster noch unscheinbarer erscheinen - und seine Erbsenzähler-Poesie noch bemitleidenswerter.

Trackliste

  1. 1. Spul Zurück
  2. 2. Sowieso
  3. 3. Schöner Scherbenhaufen
  4. 4. Was Ernstes
  5. 5. Wir Sind Groß
  6. 6. Da Fährt Ein Bus
  7. 7. Chöre
  8. 8. Weiter (Right Now)
  9. 9. Willkommen Zurück
  10. 10. Natalie
  11. 11. Selfie
  12. 12. Die Beste Nacht
  13. 13. Für Immer Forever
  14. 14. Flüsterton

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